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Armutskonferenz gegen Einsparungen

22.06.2020 • 19:10 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
In der Krise sollte nicht gespart werden, sagt Michael Diettrich, Sprecher der Armutskonferenz.<br><span class="copyright">apa</span>
In der Krise sollte nicht gespart werden, sagt Michael Diettrich, Sprecher der Armutskonferenz.
apa

Diettrich: Soziales und Gesundheit wichtig für Arbeitsmarkt.

Vor Sparmaßnahmen im Sozial- und Gesundheitsbereich warnen die Verantwortlichen der Vorarlberger Armutskonferenz. In einem offenen Brief wenden sie sich diesbezüglich an Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) und die Landesrätinnen Martina Rüscher (ÖVP) und Katharina Wiesflecker (Grüne). Ausgabenkürzungen, Nulllohnrunden für Landesbedienstete und die Verschiebung von Bauprojekten seien in der aktuellen Krise „völlig kontraproduktiv“, argumentiert der Sprecher der Armutskonferenz, Michael Diettrich. Angesichts historisch niedriger Kreditzinsen seien die angedachten Maßnahmen auch nicht argumentierbar.

Michael Diettrich ist Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Michael Diettrich ist Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz. Klaus Hartinger

Seitens des Landes werde zum Jahreswechsel ein Schuldenstand von 150 Millionen Euro erwartet. Dies seien rund acht Prozent des Landeshaushaltes und Vorarlberg bewege sich damit im unteren Bereich dessen, was europaweit an Löchern in den öffentlichen Haushalten erwartet werde. Beim derzeitigen Zinsniveau betrage die zu erwartende jährliche Zinsbelastung rund 400.000 Euro, rechnet Diettrich vor. Dies entspreche in etwa den Leistungen für 18 Familien mit einem Kind oder 27 Alleinstehenden im Vollbezug der neuen Sozialhilfe. Mit Maßnahmen, die ein Abrutschen von Menschen in die Sozialhilfe verhindern sollen, könnte die zu erwartende Zinsbelastung ausgeglichen werden. Ein Konjunkturprogramm mit Impulsen für den Arbeitsmarkt wäre dabei hilfreich, meint Diettrich.

Arbeitsplätze geschaffen

Der Sprecher der Armutskonferenz weist auch darauf hin, dass gerade der Sozial- und Gesundheitsbereich ein wichtiger Faktor in Sachen Beschäftigung ist. So seien in den vergangenen 20 Jahren fast doppelt so viele Arbeitsplätze geschaffen worden wie in der Warenproduktion beziehungsweise Industrie. Ein Vorteil dabei sei, dass man nicht von der Auslandsnachfrage abhängig sei, wie etwa der Tourismus oder die Industrie. Sozial- und Gesundheitswesen dürften nicht mehr länger als Kostentreiber gesehen werden, sondern als wichtiger Faktor für den Arbeitsmarkt.

Für höhere Lohnabschlüsse

Diettrich spricht sich zudem gegen die angekündigte Nulllohnrunde für Landesbediens­tete aus. Es gehe darum, die Nachfrage anzukurbeln und dabei seien Lohnerhöhungen ein wichtiger Beitrag. Dies müsse auch im Herbst bei den Lohnverhandlungen berücksichtigt werden. Die Abschlüsse müssten sich „am oberen Rand des betriebswirtschaftlich Machbaren“ bewegen.

Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker kann die Kritik nicht nachvollziehen. <span class="copyright">Oliver Lerch</span>
Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker kann die Kritik nicht nachvollziehen. Oliver Lerch

Kein Verständnis hat der Sprecher für die angedachte Verschiebung von Bauprojekten. Der überwiegende Teil der Aufträge gehe bei diesen an Vorarlberger Betriebe, wodurch Arbeit geschaffen werde. Anstatt die Vorhaben zu verschieben, müssten diese vorgezogen werden, um die Wirtschaft anzukurbeln. Aus Sicht des Armutsbekämpfungsexperten wären nicht die jetzt aufgenommenen Schulden eine Belastung für kommende Generationen, sondern Einsparungen, die die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern.

Reaktion der Soziallandesrätin

Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker betont in einer Reaktion auf den offenen Brief der Armutskonferenz, dass im kommenden Budget mehr Mittel für die Mindestsicherung beziehungsweise Sozialhilfe vorgesehen sein werden. Sie rechne derzeit mit einem Mehrbedarf von 20 bis 30 Prozent, heißt es in einer Aussendung. Allerdings müssten die Entwicklungen im Herbst abgewartet werden.

Aus heutiger Sicht werde das Budget für den Sozialfonds im kommenden Jahr in einer ähnlichen Größenordnung wie heuer liegen. Bei einem zu erwartenden Einbruch der Einnahmen von 20 bis 25 Prozent sei dies keine Selbstverständlichkeit.

Es gebe derzeit Gespräche mit den Sozialinstitutionen, ob diese sich je nach Größe an der Bewältigung der Krise beteiligen können. Dabei gehe es etwa um Strukturveränderungen, die Reduktion von Overhead-Kosten oder die Auflösung von Rücklagen.

Unterstützung gab es für die Forderungen der Armutskonferenz von der SPÖ. „Unsere Krankenhäuser, das Gesundheitssystem und die sozialen Einrichtungen sind wichtige Auftraggeber für kleine und mittlere Unternehmen und zählen zudem zu den größten Arbeitgebern im Land. Alleine schon aus diesem Blickwinkel sollte jetzt in diesen Bereichen investiert statt gekürzt werden“, teilte Parteichef Martin Staudinger in einer Aussendung mit.