Brexit: Eine Frage der Vorbereitung

Ländle-Firmen haben Übergangsphase zum Austritt gut genutzt.
Anfang des Jahres ist vorerst das letzte Kapitel in einer vermeintlich unendlichen Geschichte geschrieben worden. Mit 1. Jänner 2021 ist Großbritannien endgültig aus dem Binnenmarkt der Europäischen Union und der Zollunion ausgetreten. Die elfmonatige Übergangsphase nach dem Austritt aus der EU Anfang des Vorjahres ging zu Ende. In letzter Minute wurde auch noch ein Handels- und Partnerschaftsabkommen ausgehandelt. Dieses soll die Trennung verträglicher gestalten. So gelten im Warenhandel auch künftig keine Zölle und Mengenbeschränkungen. Zudem regelt der knapp 1250 Seiten starke Vertrag viele weitere Themen, darunter Fischfang und Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei. Großbritannien bleibt an viele europäische Standards gebunden.
„Papierkrieg“
Dennoch ist der Bruch zwischen der EU und Großbritannien nicht ohne Folgen geblieben. Vor allem die Zollformalitäten, Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit und der damit verbundene „Papierkrieg“ haben auf der Insel vielerorts für Ernüchterung gesorgt. Beispielsweise haben in dieser Woche Fischer in der Hauptstadt London demonstriert. Sie haben Schwierigkeiten, ihre Waren rechtzeitig an die europäischen Kunden zu liefern. Manche britischen Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen stellten den Handel aufgrund von Unsicherheit bezüglich der geltenden Bestimmungen oder des höheren Aufwands ein. Umgekehrt setzte ein deutsches Logistikunternehmen vorübergehend Lieferungen nach Großbritannien aus.
Das Vereinigte Königreich ist auch für Vorarlberg ein bedeutender Handelspartner und Wirtschaftsraum. Die NEUE am Sonntag hat sich umgehört, wie Vorarlberger Unternehmen mit dem Brexit umgehen.

Das Logistikunternehmen Gebrüder Weiss mit Sitz in Lauterach hat traditionell einen starken Großbritannien-Verkehr – speziell auch aus Vorarlberg, berichtet Stefan Oberhauser, Niederlassungsleiter in Lauterach. Seit dem 1. Jänner 2021 habe sich der administrative Aufwand für Transporte nach Großbritannien deutlich erhöht. Seit dem Ende der Übergangsfrist unterliege nunmehr jeder Transport einer Zollabwicklung. Allerdings seien die britischen Unternehmen teilweise noch nicht auf die neuen Gegebenheiten vorbereitet. Auch das Zollsystem auf der Insel laufe noch nicht stabil. Erschwert werde die Situation durch die Corona-Pandemie. Viele Kontaktpersonen bei Absendern und Empfängern im Vereinigten Königreich seien im Homeoffice und entsprechend schwer erreichbar.
Wie Oberhauser erklärt, wurden die Kunden des Lauteracher Logistikunternehmens bei allen möglichen Austrittsdeadlines „intensiv begleitet“. Durch die Nähe zur Schweiz seien den Vorarlberger Unternehmen zudem die zolltechnischen Vorgänge bekannt. „Aktuell ist es für unsere Mitarbeiter dennoch eine große Herausforderung, diesen reibungslosen Prozess auch für Transporte aus und nach Großbritannien einzuhalten“, fügt der Niederlassungsleiter an.
Flaschenhals
Die derzeitige Situation ist für ihn wenig zufriedenstellend. Die neu eingeführte Zollabwicklung sei derzeit der Flaschenhals. Auch die diversen Corona-Maßnahmen in Europa seien herausfordernd. Verzögerungen bei den Transporten seien umso schlimmer, da hinter jedem Lkw auf der Straße auch ein Mensch – sprich der Fahrer – stecke. Bezüglich der Transportabwicklung hofft der Niederlassungsleiter, dass sich die Situation in den kommenden Wochen einspielen wird. Wie sich der Brexit langfristig auswirken wird, werde sich erst noch zeigen.

Auch beim Dornbirner Leuchtenhersteller Zumtobel hat die endgültige Trennung des Vereinigten Königreichs von der EU langfristige Folgen. Da sich die Brexit-Verhandlungen über die vergangenen Jahre erstreckt haben, habe man sich intensiv mit möglichen Auswirkungen befassen können, heißt es seitens des Unternehmens. Unter anderem kommt es für die Zumtobel Group zu Änderungen bei den „Warenverkehrszeichen“, da im Vereinigten Königreich ab sofort eigene Richtlinien gelten. Das bekannte CE-Prüfzeichen wird daher nur noch übergangsweise akzeptiert. In weiterer Folge muss dieses durch ein „UK-CA Zeichen“ ersetzt werden. Die Verantwortlichen des Konzerns gehen daher davon aus, dass es neue Anforderungen bei der Erfüllung von produktbezogenen Normen und Vorschriften geben wird. Von Änderungen betroffen sind auch die Mitarbeiter der Gruppe. Britische Staatsbürger, die in der EU im Einsatz sind, und EU-Bürger in Großbritannien müssen sich registrieren lassen, um Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen zu erhalten.
Gut gerüstet
Teil der Zumtobel-Gruppe ist auch die Marke Thorn, die ihren Hauptsitz in Großbritannien hat. Diese habe dort auch einen großen Lieferanteil – sprich: Lampen werden dort produziert und verbleiben auch dort. Daher werde sich hier auch nur wenig ändern. Die Abwicklung von Lieferungen von Thorn in die Republik Irland oder von Zumtobel aus Europa nach Nordirland werde jedoch aufwendiger, heißt es vonseiten Zumtobels. Man habe sich innerhalb der Unternehmensgruppe zuletzt auf einen harten Brexit ohne ein Handelsabkommen eingestellt. Daher sei man nun entsprechend gut gerüstet.

Gleich in mehrfacher Hinsicht hat sich der Ausstieg Großbritanniens aus der EU auf das Liebherr-Werk in Nenzing ausgewirkt. Einerseits werden am Standort Baumaschinen wie Raupenkrane, Hydroseilbagger sowie Ramm- und Bohrgeräte für den Spezialtiefbau gefertigt.
Andererseits ist in Nenzing auch der Sitz der Spartenobergesellschaft der Liebherr-MCCtec GmbH (MCCtec: Maritime Cargo Construction Technology), die eine Steuerungs- und Konsolidierungsfunktion wahrnimmt. Das Produktprogramm der Sparte umfasst Lösungen für jegliche Art von Güterumschlag im Hafen, Schiffs- und Offshore-Bereich – zum Beispiel Hafenmobilkrane, Containerkrane oder Schiffs- und Offshore-Krane. Die Sparte verfügt über vier Produktionsstätten in Killarney (Irland), Nenzing (Österreich), Rostock (Deutschland) sowie Sunderland (Großbritannien).
Die Verantwortlichen in Nenzing haben sich nach Angaben von Pressesprecher Wolfgang Pfister unter anderem auf neue Bedingungen im Personen- und Warenverkehr eingestellt – beispielsweise auf mögliche Behinderungen durch Zollkontrollen am Nadelöhr zwischen Dover und Calais. Außerdem wurden zusätzliche Ressourcen für die Zollabwicklung aufgebaut, da sich der administrative Aufwand erhöht hat.
Sicherheitsbestände
So muss nun etwa anhand eines Ursprungszeugnisses nachgewiesen werden, dass 50 Prozent der Komponenten eines Produktes entweder in Großbritannien oder in der EU hergestellt wurden, erklärt Pfister. Allerdings müssten Artikel aus dem EU-Raum in Großbritannien in einem gewissen Rahmen bearbeitet werden, um zollfrei gehandelt werden zu können. Diesbezüglich stehe man auch in engem Kontakt mit den Lieferanten. Im Kundendienst wurden zudem punktuell Sicherheitsbestände für die kurzfristige Belieferung aufgebaut. Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, wurden zudem vereinzelt auch Komponenten von Lieferanten aus Großbritannien auf Vorrat angelegt.
Die weiteren Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Brexit-Abkommen wollen die Verantwortlichen in Nenzing intensiv beobachten, um sich frühzeitig auf veränderte Bedingungen einstellen zu können. Langfristig gesehen, ist man bei Liebherr zuversichtlich, dass die Position und Präsenz auf dem britischen Markt weiter sichergestellt werden kann. Vor dem Hintergrund des Brexit-Abkommens seien auch keine Nachteile gegenüber anderen Herstellern zu erwarten, meint Pfister. Denn kein Mitbewerber verfüge über eine Fertigungsstätte in Großbritannien.

Zusätzlichen bürokratischen Aufwand – vor allem in der Logistik – verursacht der Austritt Großbritanniens aus der EU bei der Julius Blum GmbH mit Hauptsitz in Höchst. Dies sei nicht nur eine Herausforderung für die Verantwortlichen des Unternehmens und der Kunden, sondern auch für die Speditionen, erklärt Geschäftsführer Philipp Blum. Die Situation an der Grenze werde zudem genau beobachtet, da es durch die neuen Kontrollen kurzfristig zu Verzögerungen kommen könne.
Keine Unterbrechungen
Obwohl es durch das Handelsabkommen mehr Bürokratie gibt, überwiegt beim Geschäftsführer Erleichterung, „da wir einen Großteil unserer Produkte für unsere Kunden weiterhin zollfrei ins Vereinigte Königreich liefern können“. Man habe sich bereits im Vorfeld des Austritts eng mit den Kunden abgestimmt und sich auf die Situation vorbereitet. Im neuen Jahr seien nur noch einige Details angepasst worden. Die Kunden in Großbritannien konnten bisher ohne Unterbrechung weiter beliefert werden. Aus Sicht von Philipp Blum ist es ein Vorteil, dass man vor Ort mit dem Tochteruntenehmen Blum UK gut aufgestellt ist.