Mit einem Bein auf Pilgerfahrt

Trotz Handicap legte Johannes Ritter ein Teilstück des Jakobswegs zurück.
Einmal im Leben den Jakobsweg entlang wandern. Davon träumen viele. So auch Johannes Ritter aus Dornbirn. Schon in jungen Jahren war die Pilgerreise immer schon ein Thema für den 32-Jährigen. „Vor 20 Jahren machten sich mein Patenonkel und zwei seiner Freunde zum Jakobsweg auf. Von Vorarlberg aus liefen sie los und waren drei Jahre lang unterwegs. Das hat mich immer schon total fasziniert. Wie gerne hätte ich es ihnen gleichgetan.“

Vergänglichkeit des Lebens
Und doch sollte der einstige Traum immer mehr in Vergessenheit geraten. Denn durch einen schweren Verkehrsunfall sollte sich sein Leben im Alter von nur 15 Jahren für immer verändern. „Ich war gerade auf dem Weg zu meinem Ferialjob, als ich mit meinem Moped frontal in ein Auto krachte. Dabei verlor ich mein Bein.“ Es sollte nicht der letzte verheerende Vorfall in dem noch jungen Leben Ritters sein: Nur vier Jahre später wurde der heute 32-Jährige in einen schweren Autounfall verwickelt. „Als ich im Krankenhaus lag, mit inneren Blutungen, einem Schädel-Hirn-Trauma und gebrochenen Halswirbel, wurde mir nochmal vor Augen geführt, wie vergänglich doch das Leben ist und wie schnell alles vorbei sein kann.“

Mit diesem neuen Blickwinkel auf das eigene Dasein, begann der ausgebildete Jugendarbeiter jeden Moment seines Lebens zu schätzen. So schnallte er sich einen Rucksack auf den Rücken, nahm seine Krücken und machte sich auf und davon, um die Welt zu bereisen. „Auf diesen Reisen wurde mir bewusst, dass mein Handicap für mich keine wirkliche Beeinträchtigung darstellt. Ich konnte immer noch tun, was immer ich wollte, war immer noch Herr über mein eigenes Leben“, erklärt der Dornbirner.

Eine Idee war geboren
Diese positive Lebenseinstellung wird auch jedes Jahr zur Faschingszeit deutlich. Anstatt sein fehlendes Bein zu kaschieren, baut der 32-Jährige sein Handicap bewusst in sein Kostüm mit ein. So kam es auch, dass Ritters Plan von der Reise zum Jakobsweg mit einem Flamingo-Kostüm seinen Anfang nahm: „Auf dem Bludenzer Faschingsumzug fiel dem aus Nüziders stammenden Künstler Marcel Dengel (MasiRati) meine Kostümierung auf und er sprach mich an.“ Dengel erzählte dem Dornbirner, dass er mit einigen seiner Skulpturen eine Tour entlang des Jakobswegs plane. Im Zuge derer solle außerdem der Prototyp eines von der Firma LUF in Thüringen hergestellten Elektro-Rollstuhls getestet werden.

„So fragte er mich, ob ich Lust hätte, ihn auf diesem motorisierten Rollstuhl zu begleiten – und sofort willigte ich ein.“ Doch dann kam Corona und der Plan lag lange Zeit auf Eis. Bis der 32-Jährige im Dezember 2020 einen Anruf des Künstlers erhielt, der ihm mitteilte, dass die Reise endlich stattfinden solle. Und tatsächlich, vor wenigen Wochen machte sich Ritter zusammen mit Dengel und dem Hersteller des Elektro-Rollstuhl-Prototypen, Bruno Walter, endlich auf den Weg nach Portugal, wo die gemeinsame Pilgerreise ihren Anfang nehmen sollte.

Eindrücke der Reise
634 Kilometer legte das Trio innerhalb eines Monats auf dem Jakobsweg zurück, zwischen 30 und 100 Kilometern waren es pro Tag. Über Stock und Stein führte sie ihr Weg von der portugiesischen Hauptstadt Lissabon bis hin zur spanischen Pilgerstätte Santiago de Compostela, dem Ziel des Jakobswegs. Für den ausgebildeten Jugendarbeiter eine Reise voller unvergesslicher Eindrücke und Erfahrungen. „Eine der schönsten Momente war, als wir uns zum Anbruch des Morgengrauens mit kleinen Kanus zu den Benagil Caves im Süden Portugals aufmachten, um dort eine von MasiRati‘s Skulpturen aufzustellen. Stück für Stück paddelten wir die insgesamt 250 Kilogramm schwere Skultur über das Meer bis tief in die Höhlen hinein. Das atemberaubende Bild, das uns dort erwartete, war jedoch allemal jede Mühe wert.“

Nicht das einzig schöne Fleckchen Erde, das der Pilgergruppe auf ihrer Reise begegnen sollte – sehr zur Überraschung Ritters selbst. „Natürlich hatte ich mich im Vorfeld ein wenig über Portugal informiert und das Bild, das ich dadurch gewonnen hatte, fiel eher dürftig aus. Hitze, Dürre und viele Waldbrände.“ Doch das am Atlantischen Ozean liegende Land sollte den Dornbirner von sich überzeugen: „Meine schlimmen Befürchtungen sollten sich nicht im geringsten bewahrheiten. Ganz im Gegenteil sogar: Wunderschöne Natur mit vielen Flüssen, Seen und ruhigen Plätzen von malerischer Schönheit erwarteten uns.“ Doch es liegt in der Natur der Sache, dass auf solch einer großen Reise auch nicht alles glatt laufen kann. Schmunzelnd erinnert sich der 32-Jährige an jenen Moment zurück, als er und seine Kumpanen unwissentlich in einem Privathaus nächtigten, welches sie für eine Pension gehalten hatten – bis sie früh morgens von der Polizei und wutentbrannten Hausbesitzern geweckt wurden.

Ein Hoch auf die Technik
Und wie es nun einmal fast schon so kommen musste, sollte auch das motorisierte Gefährt Ritters der Gruppe einen kleinen Strich durch die Rechnung machen – wenn auch nur ein einziges Mal. Nach 100 Kilometern Fahrt bei knapp 35 Grad Außentemperatur war die Batterie des Elektro-Rollstuhls überhitzt. Doch nach einem kurzen Abkühlen im Schatten, konnten der Dornbirner und seine beiden auf E-Bikes fahrenden Begleiter ihre Reise ohne weitere technische Probleme fortsetzen. „Diesbezüglich muss ich vor Bruno Walter und dem LUF-Team meinen Hut ziehen. Aus der Vision heraus, auch beeinträchtigten Menschen derartige Reisen ermöglichen zu wollen, war damals der Elektro-Rollstuhl entstanden. Und egal ob in der Stadt, am Strand oder auch auf unwegsamen Gelände, er brachte mich tatsächlich unsere gesamte Reise über jederzeit sicher von A nach B.“

Wie viel Herzblut in der Aufbereitung des Fahrzeugs steckt, wird auch an den technischen Details sichtbar: Ausgestattet mit Heck-Antrieb sowie einem zuschaltbaren Allrad-Antrieb, bringt es das Elektro-Fahrzeug auf eine Kraft von 2000 Newtonmeter. Die Lenkung des motorisierten Rollstuhls, welcher mit nur einer Akkuladung eine Reichweite von bis zu 75 Kilometern schafft, erfolgt via Joystick und Lenkrad. Mehrere sicherheitstechnische Details, wie etwa die verstellbare Fahrerkabine, um das Umkippen zu vermeiden, runden das kleine Technik-Wunder ab. „Allem voran hab ich dem Elektro-Rollstuhl eine der schönten Reisen meines Lebens zu verdanken. Daher möchte ich mich nochmal gebührend bei Bruno Walter und der Firma LUF bedanken.“
