Ein Kampf um Identität und Ideale

„Die Entführung des Thomas G.“ von Benjamin Blaikner.
Im sogenannten Deutschen Herbst kam es 1977 in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Reihe von Anschlägen der Rote Armee Fraktion (RAF). Mit der Entführung des Industriellen Walter Palmers im November desselben Jahres wurde Österreich zu einer Art Nebenschauplatz dieses linksextremen Terrors. Die Fäden dafür wurde von deutschen Terroristinnen gezogen, die Ausführenden für diese Geldbeschaffungsaktion waren drei junge österreichische Studenten, darunter auch der Vorarlberger Thomas Gratt.
Auf seine Spuren hat sich nun der Salzburger Benjamin Blaikner im neuen Stück für das Theater Kosmos begeben und in Text und Inszenierung eine Ännäherung an die Person von mehreren Seiten versucht. Die Uraufführung von „Die Entführung des Thomas G.“ ging am Samstagabend im ausverkauften Theater über die Bühne.

Ein großes Zelt mit einem Riss dominiert das zweckmäßige Bühnenbild. Ketten, die von der Decke baumeln, liefern Interpretationsspielraum. Torsten Hermentin verkörpert die Figur des Thomas Gratt, ohne dass der Name genannt wird – einmal wird aber ein Bild des jungen Vorarlbergers auf eine Zeltwand projiziert.
Die zumeist monologartigen Reden des Protagonisten sind Bilanz und Versuch einer Erklärung eines Lebens, dessen Akteur letztlich vermutlich auf der Suche nach dem Richtigen war. Leidenschaft und Ernüchterung spiegeln sich in den Aussagen der Figur wider, spürbare Resignation zieht sich allerdings als roter Faden durch.

Philosophische, ideologische Gedanken, konkrete Aussagen zu den realen Ereignissen, aber auch ein biblisches Gleichnis oder linke Parolen bilden das Textkonstrukt von Blaikner, das auch Originaltexte von Gratt enthält. Die zwei Frauenfiguren (Sonja Kreibich und Agnieszka Wellenger) fungieren größtenteils als Stichwortgeberinnen für die männliche Figur.
Sie schlüpfen je nachdem in die Rolle von Schwester, Freundin, deutsche Terroristinnen, stellen Fragen und bringen ein wenig Dynamik in die ansonsten eher statische Aufführung. Manchmal nur aus dem Off und als Schatten an den Zeltwänden sichtbar, aber auch im Spiel auf der Bühne, ergänzen die beiden stimmig die Darbietung des Protagonisten.

Unterstützt wird die Darstellung durch den Musiker Jonatan Szer, der sich im Hintergrund auf der Bühne befindet. Stärker als die Musik werden allerdings die Videoprojektionen von Remo Rauscher Teil der Aufführung. Mit ihnen wird teilweise der gesamte Theaterraum bespielt, nicht nur das Zelt fungiert als gute Projektionsfläche.
Die Liveprojektionen liefern spannende Bilder, die die Darstellung zumeist schlüssig ergänzen. Dafür werden mobile Leinwände und Projektoren auf der sich zumeist im Dunkeln befindenden Bühne auch einige Male hin- und hergeschoben.

Ist Idealismus ein Verbrechen? Wann ist Gewalt legitim?, sind einige der Fragen, die in diesem Stück verhandelt werden. Für den Protagonisten scheint es Antworten darauf zu geben, allgemeingültig sind sie wohl nicht. Zu sehen ist ein Mann, der nicht zuletzt mit sich selber kämpft, die Frage nach seiner Identität stellt („Wer bin ich?“), aber seinen Idealen ein Leben lang treu zu blieben scheint – auch wenn Ernüchterung eintritt. Einen wirklichen Platz im Leben scheint er aber nicht mehr gefunden zu haben.
Am 29. März 2006 hat sich Thomas Gratt in Wien das Leben genommen – nach Abschluss der Dreharbeiten zum Dokumentarfilm „Keine Insel“ von Alexander Binder und Michael Gartner, in dem die Entführung aufgearbeitet wird.
Weitere Aufführungen unter www.theaterkosmos.at