Aufarbeitung der verdrängten Kapitel

Die Johann-August-Malin-Gesellschaft feiert ihr 40-Jahr-Jubiläum. Ein Gespräch mit Obmann Werner Bundschuh.
Die Johann-August-Malin-Gesellschaft feiert heuer ihr 40-jähriges Bestehen. Erinnern Sie sich noch an die Anfänge?
Werner Bundschuh: Sehr gut.
Wie waren sie?
Bundschuh: Sehr schwierig. 1982 hat Meinrad Pichler die „Nachträge zur neueren Vorarlberger Landesgeschichte“ herausgegeben. Das war der erste Band. Dann kam bald danach „Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933-1945“. Damit war ein Thema auf dem Tisch, das die Anfänge geprägt hat, nämlich Verfolgung in Vorarlberg durch die Nationalsozialisten, und das hat Widerstand hervorgerufen.
In welcher Form?
Bundschuh: Es gab heftigen Widerstand der Leitmedien, vor allem der „Vorarlberger Nachrichten“. Der damalige Landesarchivar Karl Heinz Burmeister hat damals gesagt, die Forschungen dieser jungen Historiker seien nicht von der Hand zu weisen. Daraufhin wurde der Landeshauptmann aufgefordert, ihn des Landes zu verweisen.
Wie waren die Reaktionen vonseiten der Politik?
Bundschuh: Wenn man es hart formuliert, dann hatten diese „Junghistoriker“, Meinrad Pichler, Kurt Greussing, Harald Walser, Werner Dreier, Gernot Egger-Kiermayr oder Markus Barnay fast den Status von „Landesfeinden“.

Warum wurde dann ein Verein gegründet?
Bundschuh: Wir waren alle in der gleichen Situation. Wir waren Lehrer, die Mitte der 70er-, Anfang der 80er-Jahre ins Land kamen und Geschichte unterrichten sollten. Die Ausbildung in Zeitgeschichte war allerdings sehr rudimentär bzw. hat es nicht gegeben. Die Schulbücherwiesen gewisse Lücken und Einseitigkeiten auf. Gleichzeitig haben wir die Vorarlberger LehrerInneninitiative gegründet, weil es auch um den Demokratiebegriff ging. Wir haben uns mit den vorgegebenen Strukturen nicht abgefunden. Zudem gab es persönliche Erlebnisse.
Zum Beispiel?
Bundschuh: Ich sollte in einer vierten Klasse zu Dollfuß unterrichten und habe auf die Tafel geschrieben „Dollfuß und der Austrofa …“ Genau so weit bin ich gekommen, als der Landesschulinspektor, der mich gerade inspizierte, aufgesprungen ist und gesagt hat: „Herr Kollege, das heißt bei uns in Vorarlberg „die andere Demokratie“. Damit hatte ich ein Thema, das mich nicht mehr losgelassen hat.
Und einige andere auch nicht, oder?
Bundschuh: Das Besondere an der Malin-Gesellschaft ist, dass dieselben Personen vier Jahrzehnte später immer noch aktiv sind. Die Themen haben uns nicht losgelassen. Die verdrängten, vergessenen Kapitel haben unsere Arbeit geprägt. Antisemitismus vor Ort, Opfer und Täter, die Geschichte der Arbeiterbewegung und Zwangsarbeit, die es auch in Vorarlberg gab. Oder Barnays Studie „Die Erfindung des Vorarlbergers“ als Initialzündung für die Migrationsgeschichte. Das sind nur einige der Themen, die in den 80er-Jahren aufgekommen sind und deren Erforschung bis heute andauert. Die Malin-Gesellschaft führte zu einem Aufbrechen der Landesgeschichtsschreibung.
Zur Person
Werner Bundschuh
Geboren 1951 in Dornbirn. Studium Deutsch und Geschichte an der Universität Innsbruck. 1975 bis 2011 Lehrer am BG Dornbirn. Seit 1983 bis heute Lehrbeauftragter am Studienzentrum in Bregenz. Seit 1991 Obmann der Malin-Gesellschaft. 2009 bis 2016 Mitarbeit bei erinnern.at. Verheiratet, drei Kinder, fünf Enkel. Lebt in Dornbirn.
Welche Bedeutung hat der Verein somit Ihrer Ansicht nach für Vorarlberg?
Bundschuh: Er hat das Geschichtsbild verändert. Es sei nur auf die Gründungsgeschichte des Jüdischen Museums hingewiesen. Die verdrängten und vergessenen Kapitel wurden sukzessive aufgearbeitet. In den vier Jahrzehnten hat sich das Geschichtsbild grundsätzlich verändert. Das ist sicher das historische Verdienst, wenn man das als Generationenprojekt anschaut. Wir haben ja auch keine Universität im Land, aber die Malin-Gesellschaft hat sich früh mit diesen Themen befasst. Das führte dazu, dass auch in den Regionen Heimatmuseen entstanden sind, die sich mit Zeitgeschichte beschäftigen. Dieser Blick hat sich durch das Wirken der Malin-Gesellschaft sicher verändert.
Sie sind seit 30 Jahren Obmann des Vereins, eine lange Zeit. Wie hat sich da der Verein verändert?
Bundschuh: Personell hat sich der Verein im Kern wenig verändert. Das zeigt schon eine Obmannschaft von 30 Jahren. Wir hatten drei Obleute, Gernot Egger, Harald Walser und seit 1991 mich. Wir haben eine personelle Kontinuität im Verein, und da gab es wenig Veränderungen. Man kann aber auch manches bedauern.
Was bedauern Sie?
Bundschuh: Dass es wenige aktive Frauen im Verein gab.
Warum ist das so?
Bundschuh: Das weiß ich nicht so genau, aber es gibt leider auch wenig Historikerinnen, die sich der Zeitgeschichteforschung widmen. Eine Ausnahme ist Margarethe Ruff, mit der ich seit einem Vierteljahrhundert die Zwangsarbeit erforsche.

Wo sehen Sie die zukünftigen Aufgaben des Vereins?
Bundschuh: Ende März wird bei der Jahreshauptversammlung der Generationswechsel vollzogen. Johannes Spiess vom Netzwerk erinnern.at soll mir als Obmann nachfolgen. Damit ist die Aufgabe vorgezeichnet. Der Schwerpunkt wird weniger auf Forschung, sondern mehr auf der Vermittlung liegen. Das heißt, wie transportiert man die Erkenntnisse der Malin-Gesellschaft in die nächste Generation. Da ist die Zusammenarbeit mit erinnern.at wichtig, die Aufbereitung dieses Forschungsstandes. Vermittlung, Methodik, Didaktik wird sicher im Zentrum der neuen Generation, die den Verein übernimmt, stehen.
Hat die Malin-Gesellschaft eigentlich genügend Nachwuchs?
Bundschuh: Es wird einen komplett neuen Vorstand geben, nachdem die bisherigen Aktiven das Pensionsalter erreicht haben. Das Interesse an der Zeitgeschichte ist da. Die Angst, dass die Malin-Gesellschaft ein reines Generationenprojekt bleibt, habe ich nicht. Ich finde es sehr positiv, dieses Projekt an die nächste Generation weiterzugeben, und dann wird man schauen, was sie daraus machen. Darüber, dass diese Arbeit wichtig ist, glaube ich, muss man nicht sprechen.
Zum Jubiläum gibt es ein von Ihnen herausgegebenes neues Buch über Vorarlberger NS-Täter. Warum genau dieses Thema?
Bundschuh: Man könnte einen Bogen spannen. Wir haben mit der Opferforschung begonnen, und die ist in Vorarlberg sehr intensiv verlaufen. Wir wissen viel über die Vorarlberger Opfer, und auch im öffentlichen Raum sind sie anhand von Denkmälern und Mahnmalen sichtbar. Wer über die Opfer spricht, muss aber auch über die Täter sprechen. Leichter ist es, über Opfer zu sprechen, aber Täter waren natürlich immer im Hintergrund vorhanden. Standen am Beginn die Opfer im Fokus, steht jetzt am Schluss noch ein Buch zu den Tätern.
Sieben Vorarlberger, die zu NS-Tätern wurden
„Menschenverächter“ heißt der Band, der zum 40-jährigen Jubiläum der Malin-Gesellschaft erschienen ist.
Menschen aus Vorarlberg, die während der NS-Zeit zu Tätern wurden, stehen im Mittelpunkt von „Menschenverächter”. Vorarlberger als Akteure bei Entrechtung und Vernichtung im Nationalsozialismus“. Eine systematische Täterforschung gibt es in Vorarlberg bis dato nicht, und die kann auch der neue Band nicht liefern. Aber das war gar nicht die Intention, sagt Werner Bundschuh. Im Buch sind Aufsätze zu sieben Tätern, deren Biografien entweder ergänzt wurden oder die bislang noch gar nicht im Fokus der Forschung standen.
Bundschuh hat sich mit Ferdinand Ulmer und Josef Hämmerle befasst. Ulmer war ein führender Kopf der „Reinhard-Heydrich-Stiftung“, die „rassische“ Forschungen durchführte. Hämmerle hatte eine wichtige Funktion in der Gettoverwaltung Litzmannstadt. Werner Dreier widmet sich Harald Eberl, dem Bruder des NS-Arztes und KZ-Kommandanten Imfried Eberl, der während der NS-Zeit in Vorarlberg zu viel Geld und Macht kam. Gernot Kiermayr berichtet über den Chirurgen Walter Vogl, der im Sanatorium Mehrerau in Bregenz rund 30 Prozent aller im Gau Tirol-Vorarlberg durchgeführten Zwangssterilisierungen durchführte. Kiermayr schreibt weiters über den Juristen Herbert Möller. Meinrad Pichler untersucht die SS-Karriere des Himmler-Verwandten Herbert Kiene, und Harald Walser beleuchtet die Tätigkeit des NSDAP-Landeshauptmannes Anton Plankensteiner als Laienrichter am Volksgerichtshof.
Buchpräsentation: Mittwoch, 9. März, 19 Uhr, vorarlberg museum Bregenz. Anmeldung erforderlich.
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