Das Comeback der Kohle wirft viele Fragen auf

2020 wurde das letzte Kohlekraftwerk Österreichs stillgelegt.
Der Standort hat auch Symbolwirkung von der Energievergangenheit in die Energiezukunft“, betonte Verbund-Vorstandschef Michael Strugl vor ziemlich genau einem Jahr mit Blick auf den Kraftwerkspark im steirischen Mellach südlich von Graz. Dort war bereits 2014 das Ölkraftwerk stillgelegt worden, im Frühjahr 2020 folgte dann das Aus für das Kohlekraftwerk.
Raus aus der fossilen Vergangenheit, hinein in neue, alternative Energieprojekte lautete die Devise. Denn am Standort wurden zahlreiche Forschungsinitiativen gestartet. „Wir haben jetzt Platz geschaffen für Zukunftstechnologien und die fossile Vergangenheit dort abgestreift“, betonte Strugl im Vorjahr. Die „Hotflex“-Pilotanlage kann überschüssigen Wind- und Sonnenstrom aus dem Netz entnehmen und in Wasserstoff umwandeln, auch großvolumige Batteriespeicher wurden in Mellach für den Einsatz als Puffer getestet.
Als Notfall bei drohender Gas-Knappheit
Das riesige Gas- und Dampfkraftwerk mit seiner Leistung von 838 Megawatt nimmt indes seit Jahren eine zentrale Rolle für die Netzstabilisierung ein – wenn Wind und Sonne auslassen, wird es angeworfen. Zur Sicherheit wurde auch das frühere Kohlekraftwerk auf der Brennstoffbasis Erdgas betriebsbereit gehalten. Nun wird in diesem Kraftwerk der Retourgang eingelegt. Es soll für den Fall einer drohenden Gas-Knappheit im Notfall wieder Strom und Wärme aus Kohle erzeugt werden können.
Diese Ankündigung von Bundeskanzler Karl Nehammer und Energieministerin Leonore Gewessler sorgt naturgemäß für Gesprächsstoff. „Kohle ist die klimaschädlichste Energie und führt zu gesundheitsschädlichen Quecksilberemissionen und Feinstaub“, sagt etwa Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher von Global 2000. „Wenn jetzt über einen möglichen Einsatz des Kohlekraftwerks in Mellach diskutiert wird, sollte klar sein, dass es sich nur um zeitlich begrenzte, akute Notfälle handeln darf.“
Adaptierung dauert drei bis vier Monate
Von einer „Notlösung, für den Fall, dass nicht ausreichend Gas zur Verfügung steht“ spricht man auf Anfrage auch beim Verbund. „Unsere Priorität bleibt weiterhin der Ausbau der heimischen erneuerbaren Erzeugung – nur dieser Weg kann uns mittelfristig aus Abhängigkeiten und in eine erneuerbare Energiezukunft führen.“
Wie lange die Adaptierungen des Kraftwerks dauern werden, ist noch unklar. Technisch sei die Herausforderung überschaubar, sagt Werksgruppenleiter Christof Kurzmann-Friedl vom Verbund. Eigentlich handle es sich nun um keine Umrüstung, sondern eine „Komplettierung“, denn die nötigen Teile seien weitgehend noch am Standort. Ein „größerer Brocken“ sei die Instandsetzung und Servicierung der Kohlemahlanlage, auch die Kohlehalde sei 2020 vollständig geräumt worden. Unterm Strich könne man technisch in drei bis vier Monaten soweit sein.
Kosten und Anschaffung noch unklar
Die Gretchenfrage sei aber, wo die Kohle für den Einsatz herkommen könne, „wir brauchen in Mellach eine spezifische Kohle, die wir früher in der Regel aus dem schlesischen Raum in Polen bezogen haben“. Die Steinkohle mit dem richtigen Brennwert könne aber grundsätzlich weltweit zugekauft werden. Es geht um beachtliche Mengen, früher lag der Jahresbedarf bei rund 400.000 Tonnen.
Wie teuer das alles kommt, ist ebenfalls noch unklar, die Kosten würden derzeit evaluiert, heißt es beim Verbund. Im Energieministerium stellt man klar: „Für die Kosten wird zur Gänze der Bundeshaushalt aufkommen.“
Offene Fragen
Herausfordernd dürfte auch das Personalthema sein. Mit der Schließung 2020 ist Know-how abhandengekommen, „hier müssen wir jetzt sehr schnell mit Einschulungen beginnen“, sagt Kurzmann-Friedl.
Und schließlich stellt sich die Frage, ob das Kohlekraftwerk im Falle seiner Reaktivierung auch die Fernwärmeversorgung für den Großraum Graz übernimmt, wie es mehr als 30 Jahre lang der Fall war. Gespräche dazu habe es noch nicht gegeben, heißt es beim Wärme-Abnehmer, der Energie Steiermark. „Dazu sind die Pläne noch zu jung“, sagt Sprecher Urs Harnik-Lauris.
Fest steht: Sollte das Gas aus Russland knapp werden oder ganz ausfallen, braucht das heute hauptsächlich aus der Erdgasverfeuerung gespeiste Wärmenetz alternative Erzeugungsquellen. Neben der Kohle könnte das Öl sein. „Technisch ist es machbar, das Heizwerk in Graz auch im nächsten Winter mit Heizöl zu betreiben“, sagt Harnik-Lauris. Eine Sicherheitsreserve von rund 2,5 Millionen Litern habe die Energie Steiermark bereits eingelagert, größere Mengen könnten folgen.
Von Manfred Neuper und Günter Pilch