Erdogans Pokerspiel mit der Nato

Der türkische Präsident blockiert den Beitritt Schwedens und Finnlands.
Beim Nato-Gipfel von Madrid sollten eigentlich die designierten neuen Mitglieder Finnland und Schweden im Mittelpunkt stehen. Doch nun richten sich alle Augen auf die Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan blockiert den Beitritt der beiden Nordländer und bringt weitere Krisen mit in die spanische Hauptstadt: Er hat einen neuen Einmarsch in Syrien angekündigt, damit die Nato-Führungsmacht USA verärgert und facht den Dauerstreit mit dem Nato-Partner Griechenland an. Rasche Lösungen sind unwahrscheinlich. Kurz vor Gipfelbeginn bleibt Erdogan stur, wie Diplomaten sagen.
Türkei in starker Position
Weil die Entscheidung über die Aufnahme neuer Nato-Mitglieder einstimmig fallen muss, sieht sich die türkische Regierung in einer starken Position. Sie wirft Schweden und Finnland vor, Mitglieder der kurdischen Terrororganisation PKK auf ihren Staatsgebieten zu dulden und den PKK-Ableger YPG in Syrien zu unterstützen. Ankara fordert von Helsinki und Stockholm die Auslieferung von 33 türkischen Regierungsgegnern, mehr Waffenlieferungen und eine Verschärfung der Terrorgesetze. Telefonate von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson mit Erdogan blieben erfolglos. Die Türkei sieht sich am längeren Hebel, denn sie weiß, dass die Nato in Signal der Einigkeit an Russland schicken will.
Stoltenberg räumt “legitime Sicherheitsinteressen” der Türkei ein. Doch die Nato-Verbündeten der Türkei haben den Eindruck, dass Erdogan den Preis für seine Zustimmung zur Norderweiterung hochtreibt, weil er Zugeständnisse der USA herausschlagen will – doch Washington weigert sich, darauf einzugehen. Erdogan verlangt ein Ende der amerikanischen Zusammenarbeit mit der YPG, die von den USA als wichtiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien gesehen wird. Ankaras angekündigte Militärintervention soll sich jedoch gegen die syrische Kurdenmiliz richten. Zudem will Ankara die Lieferung von US-Kampfflugzeugen und die Aufhebung von amerikanischen Sanktionen wegen ihres Kaufs eines russischen Flugabwehrsystems durchsetzen.
Erdogans Blick auf die Innenpolitik
Erdogan nutzt den Streit mit dem Westen ein Jahr vor den nächsten türkischen Wahlen innenpolitisch. Seine Regierung ist wegen der Wirtschaftskrise in der Defensive, doch laut Umfragen wächst die Zustimmung seit Beginn des Nato-Streits. Er will sich als Sieger in diesem Ringen präsentieren. So könnte er es seinen Wählern als Erfolg verkaufen, wenn sich US-Präsident Joe Biden in Madrid mit ihm treffen würde. Biden meidet Begegnungen mit Erdogan, den er als Autokraten kritisiert.
Wie eine Lösung der Krisen aussehen könnte, weiß kurz vor dem Gipfel niemand. Die Türkei könne ganz schön “stur” sein, zitierte die Denkfabrik International Crisis Group einen europäischen Regierungsvertreter. Ein US-Vertreter sagte, es sei unklar, wie weit Erdogan gehen wolle. Das Gezerre schadet dem Ruf der Türkei in der Allianz, doch das scheint Erdogan nicht zu stören.
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