„Wenig aus den Anlagen gemacht“

Severin Holzknecht über Nationalismus, Antisemitismus, Texte und Bekanntheitsgrad von Albert Ritter.
Sie sind bei Ihren Recherchen zu Hans Nägele auf Albert Ritter gestoßen. Was ist so spannend an ihm, dass Sie ihm gleich ein ganzes Buch gewidmet haben?
Severin Holzknecht: Er ist mir aufgefallen, weil er einen sehr breiten Wissenshorizont hatte. Ritter hat nicht nur über Vorarlberg geschrieben, sondern sich auch mit Deutschland, Österreich-Ungarn, Europa, der ganzen Welt beschäftigt, mit Religion und Philosophie und er hat Romane geschrieben. Das fand ich sehr ansprechend – nicht inhaltlich, aber als Thema, weil ein deutschnationaler Intellektueller für mich etwas Neues war.
War das so ungewöhnlich?
Holzknecht: In Vorarlberg damals schon eher. Ritter hat sich mit Größen der deutschsprachigen Kultur auseinandergesetzt – oft konfliktreich. Ich glaube, er war ein Mensch, der gern gestritten hat und sehr überzeugt von sich selbst war.
Seinen Nationalismus hat er immer wieder angepasst, oder?
Holzknecht: Ja und nein. Er hat sich zwangsläufig anpassen müssen, weil sich die Welt verändert hat. Aber im Kern blieben seine Theorien relativ konstant. Der größte Unterschied ist in der Rolle zu sehen, die er für Österreich vorgesehen hat. Vor 1918 sah er Österreich als Ordnungsmacht auf dem Balkan mit der Aufgabe der dortigen Germanisierung – auch wenn er es sehr selten so offen ausgedrückt hat. Nach dem Krieg sah er das Land als „Ostmark“ des deutschen Volkes und deutschen Reiches, quasi als „Brandmauer“ gegenüber den nicht-deutschsprachigen Völkern auf dem Balkan. Aber das deutsche Volk war für ihn immer den anderen kulturell überlegen ist.
Wobei sein Antisemitismus nicht so ausgeprägt war?
Holzknecht: Ritter war eindeutig Antisemit, aber er hat das nie so offensiv vor sich hergetragen oder in seiner Theorie als so zentral gesehen wie ein Georg von Schönerer oder später Adolf Hitler. Für ihn war der Antisemitismus ein politisches Werkzeug.

Sie haben vorher gesagt, dass Albert Ritter jemand war, der sehr überzeugt von sich selber war. Wie greifbar ist er für Sie als Mensch im Zuge der Recherche geworden?
Holzknecht: Er war sehr von sich selbst überzeugt und dann fiel er auch wieder in Phasen größter Depression, in denen er darüber nachgedacht hat, sich selbst umzubringen. Ich bin kein Experte auf dem Gebiet, aber es scheint, als ob er ein bisschen manisch-depressiv war. Grundsätzlich kann man sagen, dass ihm seine Freunde treu ergeben waren und er seinen Freunden. In politischen Dingen war er aber ein unsicherer Verbündeter, der sich in seinen letzten Lebensjahren mit allen überworfen hat.
Von Ritter gibt es politische, literarische und religionsphilosophische Texte. Wie würden Sie die jeweils bewerten?
Holzknecht: Die religionsphilosophischen Bücher und die Romane kann ich nicht als Experte beurteilen. Die Romane sind furchtbar zu lesen. Er hatte kein Talent dafür, Fiktion zu schreiben. Seine politischen Schriften sind hochinteressant. Seine religionsphilosophischen Werke sind indes 08/15 aus der Zeit. Die Werke wurden nicht ohne Grund vergessen.
Gibt es Texte von Ritter, die heute noch Relevanz besitzen?
Holzknecht: Abgesehen vom Historischen, nein!

Wie groß war Ritters Bekanntheitsgrad zu seinen Lebzeiten?
Holzknecht: Für einen Vorarlberger damals vergleichsweise groß. Ich habe Reaktionen zu seinen Büchern vor allem aus dem österreichischen und dem süddeutschen Raum gefunden, vereinzelt auch aus dem Norden. Bis 1914 hatte er eine gewissen Bekanntheit, vor allem im deutschsprachigen nationalistischen Milieu. Durch seine „Kriegsschriften“ während des Krieges erreichte er einen relativ großen Bekanntheitsgrad auch im Ausland. Nach dem Krieg verläuft sich das allerdings relativ schnell, nachdem er sich da vor allem mit religionsphilosophischen Fragen beschäftigt hat. Als Gegner der Anschlussbewegung an die Schweiz hat er eine tragende propagandistische Rolle gespielt, allerdings selten unter seinem eigenen Namen. Er war in den 1920ern vermutlich relativ lethargisch, extrem frustriert von der politischen Lage, von seinem persönlichen Schicksal. Erst mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus hat er wieder eine gewisse Tätigkeit entwickelt. Auch wenn er bis zu seinem Tod 1931 relativ kritisch gegenüber den Nazis war.
Er ist somit also schon zu seinen Lebzeiten, in seinen letzten Jahren, aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden?
Holzknecht: So ziemlich. Es gab einen Zwischenfall 1922, wo es um die Südtirol-Frage ging. Um quasi Österreich für Deutschland zu sichern wollte er Südtirol auf Zeit preisgeben. Das wurde in den großdeutschen Kreisen nicht sehr wohlwollend aufgenommen wurde. Ab dem Zeitpunkt hat er dann mit den Großdeutschen auch in Österreich gebrochen.

Aber spätestens nach 1945 hat wohl kein Mensch mehr Albert Ritter gekannt?
Holzknecht: Genau. Hans Nägele hat als Chefredakteur des „Vorarlberger Tagblatts“ und vor allem als Macher der Beilage „Feierabend“ versucht, Ritter am Leben zu halten. 1938 wollte er ihn als Künder des Nationalsozialismus umschreiben, was mit dem, was Ritter über die Nazis von sich gegeben hat, nicht vereinbar war. Inhaltlich waren sie sich natürlich in vielen Dingen sehr ähnlich.
Worin haben sie sich unterschieden?
Holzknecht: Abgesehen von diesem radikalen Antisemitismus, den Ritter nicht praktiziert hat, in der „Kolonisationsfrage“. Ritter ist zeitlebens dafür eingetreten, dass die „Deutschen“ den Nahen und Mittleren Osten kolonialisieren, während die Nazis bekanntermaßen Osteuropa bevorzugt haben. Das ist ein alter Streit, der seit den 1880er-Jahren in diesem Milieu ausgefochten wurde, aber zu Ritters Zeiten eigentlich schon relativ eindeutig für die sogenannte Ostsiedlung entschieden war. Auch hier ist er ein bisschen gegen den Strom geschwommen. Nach 1945 konnte er natürlich nicht mehr als Künder des Großdeutschen Reiches beschrieben werden, weshalb sich Nägele darauf reduziert hat, die lokalhistorischen, heimatkundlichen Werke von Ritter zu „recyceln“. Die sind zum Teil recht interessant. Er war abgesehen von den Romanen ein recht guter Literat.
Wobei die in Ihrem Buch abgedruckten Gedichte jetzt nicht von großer Qualität zeugen …
Holzknecht: Das ist vermutlich Geschmackssache, aber zu seiner Zeit sind sie sehr gut angekommen. Er hat bereits als Gymnasiast ein Gedicht über Franz Michael Felder geschrieben, das noch 50 Jahre später verwendet wurde. Ich persönlich finde seine Gedichte auch schwulstig und nationalistisch geladen. Nach dem Krieg wurde er aber vergessen. Ab und zu tauchte dann noch auf, wenn es um die Geschichte der Vorarlberger Literatur ging. Ritter hat Dante übersetzt, er konnte mehrere Sprachen fließend, Englisch, Französisch, Italienisch und die klassischen Sprachen. Er war ein sehr hochgebildeter Mensch, der aus den Anlagen, die er hatte, sehr wenig gemacht hat.

Der intellektuelle Deutschnationale
Mangelnden Fleiß kann man dem 34-jährigen Schwarzacher Historiker Severin Holzknecht nicht vorwerfen. Im Vorjahr widmete er dem Journalisten und Autor Hans Nägele (1884–1973) eine Biographie. Zuvor waren in knappem Zeitabstand weitere Bücher erschienen. Nun ist es der Schriftsteller Albert Ritter (1872–1931), der im Mittelpunkt der neuen Publikation steht. Der Titel „Der Dichter als Kämpfer seines Volkes“ (nach einem Zitat des nationalsozialistischen Juristen und Schriftstellers Hans Friedrich Blunck) weist schon auf die Persönlichkeit des 1872 in Weiler geborenen Bauernsohns hin, den Holzknecht als „intellektuellen Deutschnationalen der Jahrhundertwende“ beschreibt.
Auf rund 250 Seiten Seiten wird das Bild eines Menschen voller Widersprüche skizziert, der beruflich und privat immer wieder scheiterte und vielerorts aneckte. Holzknecht beschreibt einen Mann, der häufig zwischen schweren Selbstzweifeln und maßloser Selbstüberschätzung changierte. Während seiner Gymnasiumszeit in Feldkirch schrieb Ritter erste Gedichte, später folgten Romane, Theaterstücke und Erzählungen. Er war Mitglied der deutschnationalen Schülerverbindung Nibelungia und Einjährig-Freiwilliger.
Wirtschaftlich gescheitert
Ritter studierte in Graz hauptsächlich Germanistik und Geschichte und promovierte. Prägend war für ihn das mitbegründete Corps Vandalia Graz, schreibt Holzknecht. Auch in Graz fand der Vorarlberger schnell Anschluss an die deutschnationalen Kreise. 1897 kehrte er nach Vorarlberg zurück, baute in Weiler ein Haus, heiratete die Steirerin Laura Kirchmayr, mit der er zwei Söhne hatte, und wurde gemeinsam mit seinem Bruder zum Textilunternehmer – wobei er wirtschaftlich scheiterte.
1911 wurde Albert Ritter Schriftleiter der radikal-völkischen Zeitschrift „Hammer“ in Leipzig, noch im selben Jahr Geschäftsführer des Alldeutschen Verbandes in Mainz. Während des Krieges war er als Oberleutnant im Einsatz. Nach dessen Ende war er in Vorarlberg als Gegner der Anschlussbewegung an die Schweiz und Mitbegründer des Schwabenkapitels aktiv und schrieb für mehrere österreichische Zeitungen.
München
1922 zog er nach München, um im Zentralarchiv für Politik und Wirtschaft zu arbeiten. In den folgenden Jahren kam er nur noch selten nach Vorarlberg. Am 7. Juni 1931 starb Albert Ritter in München an den Folgen eines Schlaganfalls. Beerdigt wurde er in Weiler.
Die Fülle an Material, die Holzknecht bearbeitet hat, bringt er im Buch in eine gut und spannende zu lesende Form. Mit zahlreichen Bezügen zu politischen Entwicklungen der damaligen Zeit nähert sich der Historiker der Person des Albert Ritter und schafft ein vielschichtiges Porträt eines Mannes, der wohl als Ausnahmeerscheinung im Vorarlberg der damaligen Zeit gelten kann.
Severin Holzknecht: „Der Dichter als Kämpfer seines Volkes“. UVW Innsbruck 2022, 256 Seiten, 34,90 Euro.
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