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„Schubert hätte sich im Grab umgedreht“

04.08.2022 • 21:19 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
"Fräulein Else" von Franui und Maschek im Festspielhaus. <span class="copyright">Anja Koehler</span>
"Fräulein Else" von Franui und Maschek im Festspielhaus. Anja Koehler

Maschek und Franui präsentierten live ihr Remake des Stummfilmklassikers „Fräulein Else“.

Arthur Schnitzler schrieb im Jahr 1924 eines seiner bekanntesten Werke „Fräulein Else“, in dem er moralische Konflikte in der gehobenen Gesellschaft verurteilt. 1929 wurde der Stoff erstmals von Paul Czinner in Zusammenarbeit mit Carl Mayer verfilmt. Auf die zahlreichen Änderungen im Stummfilm reagiert Schnitzler in einem Brief: „Der Anfang nicht übel; das letzte Viertel dumm und schlecht. […] Die Leistung von Elisabeth wundervoll – nur ist es (durch den Filmtext) – eine ganz andere Else als ich gedichtet hatte.“

Die Musicbanda Franui im Festspielhaus.   <span class="copyright">Anja Koehler</span>
Die Musicbanda Franui im Festspielhaus. Anja Koehler

Ein Film, der sich selbst nicht an die Vorlage hält, scheint wie gemacht für die parodistische Neusynchronisation des Maschek-Duos Peter Hörmanseder und Robert Stachel, in der Else nun wirklich zu einer ganz anderen Else wird, nämlich zu Elsa. Interessant, was Schnitzler dazu geschrieben hätte.
Die Vorlage wäre eine tragische Geschichte von einer 19-Jährigen, die sich zwischen den Verlogenheiten ihrer Familie und einer privilegierten Gesellschaft wiederfindet. Der drohende Verlust des sozialen Status zwingt sie dazu, den Kunsthändler Dorsday um Geld zu bitten, um damit ihren Vater zu retten. „Der Schuft“ Dorsday verlangt als Gegenleistung von ihr, sich ihm nackt zu zeigen. Die junge Frau zerbricht innerlich am Verantwortungsgefühl und der verwerflichen Forderung des alten Mannes und sieht in ihrer ausweglosen Situation den Selbstmord als Möglichkeit. Am Ende ist nicht ganz klar, ob sie wirklich an einer Überdosis des Schlafmittels Veronal stirbt oder lediglich von der narkotisierenden Wirkung einschläft.

Peter Hörmanseder und Robert Stachel<span class="copyright">Anja Koehler</span>
Peter Hörmanseder und Robert StachelAnja Koehler

In der Neuzusammenstellung von Maschek wurde der Filmtext fast komplett rausgenommen, und die fatale Geschichte eines Selbstmords wird eher beiläufig erzählt, denn die Kabarettgruppe Maschek legt den Figuren ihre Stimmen in den Mund. Gewohnt witzig kommentieren sie im Wiener Dialekt live die schwarzweißen Filmszenen, synchronisieren Geräusche wie das Quietschen der Angestellten bei der Tellerpolitur oder das Furzen der Schuhe. Dahinter untermalt die Musicbanda Franui den Stummfilm mit klassischer Musik. Darüber auf der großen Leinwand läuft der neu collagierte Stummfilm von 1929.

Kritisch-humoristisch

Maschek verbindet die alten Szenen mit der Lebensrealität unserer heutigen Zeit auf sehr abgedrehte Weise. Diese Gleichzeitigkeit der Ereignisse, in dem oft Zusammenhangloses in einem neuen Kontext verbunden wird, verlangt auch vom Zuschauer ein aktives Erleben.

Die Handlung spielt nicht in den sommerlichen Dolomiten wie in der literarischen Vorlage, sondern in St. Moritz im Winter zur Zeit des Börsencrashs. Maschek greift die klischeehaften Erzählweisen des Stummfilms auf und kommentiert das Geschehen mit aktuellen Verweisen und macht auf kritisch-geistreiche Weise auf die Gewohnheiten der damaligen Zeit aufmerksam.

Ganze Szenen erhalten durch die humoristischen Vertonungen andere Bedeutungen, nicht alles ergibt Sinn, Figuren verändern sich und auch der Autor selbst wird in die Geschichte miteingefädelt. Schnitzler hat einen Pakt mit dem „Teufel/Netflix“ geschlossen und kommt aus dem Deal nicht mehr heraus, so springt eine gealterte Else als seine Haushälterin ein und schreibt das Drehbuch aus ihrem Leben als dessen Geliebte. Dorsday wird zum Vertreter für geräuschlose Schuhe und versucht, Else als Influencerin anzuwerben, während ihr Vater kein Patent auf seine Erfindung des E-Mails bekommt, weil die Briefträger sonst ihre Arbeit verlieren würden. Eine Aussicht, die seine Frau zu Tränen rührt.
Das Publikum unterhält sich prächtig über erfundene Schmähs, Anspielungen zu negativem Coronatest, der Sprachassistentin Alexa oder gekonnte Wortspielereien, so wird ein scheinbar ratloser Moment im Film zum englischen „What Else“. Eine Aneinanderreihung und Wiederholung von Werbeslogans fasst die substanzlosen Gespräche einer besseren Gesellschaft beim Dinner.

Das Publikum bedankt sich mit großem Applaus.<span class="copyright">Anja Koehler</span>
Das Publikum bedankt sich mit großem Applaus.Anja Koehler

Später wird dann doch wieder in veränderter Form auf die verwerflichen Forderungen Dorsdays Bezug genommen und Else droht ihm, per WhatsApp alles öffentlich zu machen. Zum sechsten Akt lässt Maschek es dann doch gut sein und überlässt den emotionalen Moment, wenn Else im Film das Veronal nimmt, sich vor der versammelten Gesellschaft (und Dorsday) schließlich nackt zeigt und daraufhin stirbt, Franui, die mit ihrer durchdringenden und ausgefallenen Musik die verschiedenen Gefühlszustände erklingen lassen. Mit „traurig-schaurig, bittersüß im Schmerz auch komischer“ Musik, wie sie selbst beschreiben nähern sie sich der skurillen Welt Mascheks.

Maschek und Franui schaffen mit dem einfallsreichen und belustigenden Remake des Stummfilm-Klassikers einen Zugang zu einer fast 100-jährigen Novelle, deren Kritik an der Vergegenständlichung der Frau auch heute noch aktuell ist.

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