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„Wir rauschen von einer Krise zur nächsten“

05.11.2022 • 19:39 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Betten in der Notschlafstelle des Dowas in Bregenz.  <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Betten in der Notschlafstelle des Dowas in Bregenz. Klaus Hartinger

Die Notschlafstellen im Land erwarten sich nicht unbedingt mehr Menschen – aber die Anzahl der Beratungen ist gestiegen.

In einigen Bundesländern wurde mit November wieder das Caritas-Kältetelefon aktiviert. Dort kann angerufen werden, wenn man obdachlose Menschen in der Kälte auf der Straße sieht. Ein mobiles Team rückt dann aus, um zu schauen, ob es sich um eine Notsituation handelt – und um bei Bedarf Hilfe zu leisten.

Ein Kältetelefon mit einem mobilen Team hat die Caritas hierzulande nicht. Allerdings könne man sich sehr wohl an deren Einrichtungen wenden, wenn man obdachlose Menschen in der Kälte sehe, sagt Christian Beiser von der zuständigen Caritas-Beratungsstelle Existenz & Wohnen in Feldkirch. Dort gibt es acht Schlafplätze für Menschen ohne Unterkunft.

Christian Beiser von der Caritas.  <span class="copyright">Caritas Vorarlberg</span>
Christian Beiser von der Caritas. Caritas Vorarlberg

In Vorarlberg gibt es insgesamt drei Einrichtungen, in denen wohnungslose Erwachsene übernachten können. Die Einrichtungen verfügen jeweils auch über eine Beratungsstelle. Daneben gibt es seit vergangenem Jahr die Jugendnotschlafstelle anker in Dornbirn. Auf die Notschlafstelle der Caritas in Feldkirch wirke sich die kalte Jahreszeit nicht unmittelbar aus, informiert Beiser. „Derzeit haben wir freie Betten, aber das kann sich schlagartig ändern. Eine Prognose ist hier schwierig.“ Sehr wohl merke man aber, dass die Teuerung bei vielen Menschen durchschlage.

Starke Zunahme

Zehn Prozent mehr Haushalte als im Vorjahr wurden heuer beraten, bei den Erstkontakten gab es eine Zunahme um 34 Prozent. „Es kommen Menschen, die uns bisher nicht gebraucht haben“, so Beiser. Die Teuerung sei für viele deutlich spürbar. Der Caritas-Mitarbeiter geht davon aus, dass es noch mehr werden, die von ihrem Einkommen nicht mehr leben können. Er bestätigt aber auch – was ebenso von anderen Sozialeinrichtungen zu hören ist –, dass die Hilfen von Bund und Land ankommen. Die Frage sei aber, ob das längerfristig reiche, so Beiser. Mit der erhöhten Wohnbeihilfe zum Beispiel gebe es zwar längerfristige Regelungen. Allerdings brauche es noch mehr Maßnahmen, die strukturell seien und eine längerfristige Entlastung schaffen, sagt er.

Peter Brunner vom Dowas in Bregenz.      <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Peter Brunner vom Dowas in Bregenz. Klaus Hartinger

Eine weitere Notschlafstelle gibt es beim Dowas in Bregenz, das elf Plätze bereithält. Dessen Geschäftsführer Peter Brunner erwartet sich in den kommenden Monaten nicht unbedingt mehr Menschen, die ein Bett für eine Nacht brauchen. Zwar möchte man meinen, dass im Winter diese Anzahl steigt. Das ist aber den langjährigen Erfahrungen im Dowas zufolge erstaunlicherweise nicht der Fall.

Letzte Lösung

„Allerdings sind wir das ganze Jahr über immer gut ausgebucht“, berichtet Brunner. Manchmal müsse man auch Menschen abweisen bzw. versuche man dann, sie an andere Einrichtungen zu vermitteln. Manchmal klappe auch das nicht. Derzeit gebe es allerdings eine Reihe von Maßnahmen von Land und Bund, die vor einem Wohnungsverlust schützen, sagt er. Zudem würden die Menschen alles versuchen, um andere Lösungen zu finden, etwa bei Verwandten und Freunden unterzukommen. Erst dann, wenn alle Stricke reißen, kommen sie in die Notschlafstelle, so Brunners Erfahrung.

Plus 15 Prozent

Gestiegen sei aber die Zahl der Beratungen, heißt es auch vom Dowas-Geschäftsführer. Er spricht von einem Plus von rund 15 Prozent im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren. Ob es sich dabei um ein Ergebnis der Teuerung oder einen statistischen Ausreißer handelt, ist für Brunner aktuell noch schwer zu sagen. Er gibt zu bedenken, dass die Klienten und Klientinnen des Dowas immer schon Schwierigkeiten gehabt hätten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

„Sicher ist aber, dass der Druck größer geworden ist und die Diskrepanz zwischen Einkommen und Ausgaben gestiegen ist.“ Daher glaubt auch er nicht, dass es mit den Einmalzahlungen der Regierung getan sei. „Wir bräuchten strukturelle und nachhaltige Lösungen“, so Brunner. Erschwerend sei auch die Unsicherheit, wie es weitergehe – aber die betreffe wohl alle Menschen, fügt er hinzu.

Michael Hämmerle von Kaplan Bonetti.  <span class="copyright">Petra Rainer</span>
Michael Hämmerle von Kaplan Bonetti. Petra Rainer

Das Phänomen mit der nicht steigenden Anzahl von Unterkunftsuchenden im Winter kennt auch Michael Hämmerle, Bereichsleiter der Beratungsstelle Kaplan Bonetti in Dornbirn. Dort gibt es vier Notschlafplätze. „Warum das so ist, dass nicht mehr Menschen kommen, wenn es kalt ist, wissen wir nicht“, sagt er. Eine Ursache könnte vielleicht sein, dass es in Vorarlberg in Vergleich zu anderen Gegenden nicht so viele obdachlose Menschen gebe, mutmaßt er.

Was in der Sozialeinrichtung aber auf jeden Fall bemerkbar sei, ist, dass die Leute Sorgen mit der Teuerung hätten, berichtet er. Menschen mit einem niedrigen Einkommen benötigen einen größeren Prozentsatz davon für lebensnotwendige Dinge, und da werde es manchmal sehr knapp. „Was wir auch merken ist, dass die Hilfen ankommen“, sagt auch Hämmerle. Man könne über Einmalzahlungen diskutieren, „aber in schwierigen Situationen helfen sie“. Die Frage sei allerdings, wie es im nächsten Jahr weitergehe.

“Herausforderung”

Sorgen bereitet Hämmerle, dass zahlreiche Mietverträge eine Indexierung hätten. Wenn diese im nächsten Jahr schlagend werde bzw. Mieterhöhungen im zweistelligen Bereich erfolgen, „wird das eine große Herausforderung“. Dazu komme, dass die Strompreise zwar noch bis März stabil seien, aber wenn sie ab April doppelt oder dreifach erhöht würden, werde es sehr schwierig.

Was die genaue Anzahl der heurigen Anfragen betrifft, hat Hämmerle keine aktuellen Zahlen vorliegen – „aber gefühlt sind es mehr geworden“. Allerdings befinde man sich schon länger auf hohem Niveau. „Wir rauschen von einer Krise zur nächsten, und das merken wir in unserer Arbeit.“