“Ist nicht falsch, uns als Nummer eins zu bezeichnen”

Austria-Trainer Markus Mader spricht über Euphorie, Höhen und Tiefen, Dreierkette und die Rangordnung in Vorarlberg.
Wie fühlt es sich an, als Vorarlberger Nummer eins zu überwintern?
Markus Mader: Der Blick auf die Tabelle bereitet mir schon große Freude. Es war überhaupt nicht damit zu rechnen, dass wir als Achter und zwei Plätze vor Altach in die so lange Winterpause gehen. Das ist eine schöne Momentaufnahme, die uns Schwung fürs Frühjahr gibt. Uns ist aber auch klar, dass sich die Lage sehr schnell wieder ändern kann, wir haben vor der Ligateilung ein sehr schweres Restprogramm. Doch bis es wieder losgeht, bleiben wir Achter und liegen vor Altach, das ist so. Wobei ich schon auch dazu sagen möchte, dass es uns gar nicht um Altach geht. Für uns ist wichtig, dass wir 18 Punkte haben. Mit sechs Punkten aus den letzten vier Spielen haben wir einen starken Endspurt im Herbsturchgang hingelegt. Das war wichtig. Jeder Punkt, den wir geholt haben, hilft uns im Frühjahr. Auch die Unentschieden gegen Ried und Hartberg helfen uns sehr. Klar hätten wir diese Spiele gerne gewonnen, aber unsere direkten Konkurrenten konnten auch keinen Boden auf uns gutmachen.
Gab es trotzdem einen kritischen Punkt im Herbst?
Mader: Nach der Niederlage in Tirol war die Lage schon problematisch. Es war die vierte Niederlage in Folge, und ich habe damals im Trainerbüro offen ausgesprochen, dass es sein kann, dass wir auch die restlichen vier Spiele verlieren, wenn wir jetzt nichts ändern. Wir haben de facto schon beim Spiel in Tirol etwas geändert, wir stellten in der Pause bei einem 0:3-Rückstand auf eine Dreierkette um. Das hat sofort gut funktioniert. Wir gewannen die zweite Halbzeit mit 2:0, danach war relativ schnell klar, dass wir bei der Dreierkette bleiben. Mir hat imponiert, wie schnell sich die Mannschaft dann im neuen System gefunden hat. Danach haben wir die erwähnten sechs Punkte in vier Spielen geholt. Es kommt sowieso immer auf die Betrachtungsweise an. Richtig, wir haben vor dem Derby zehn Spiele in Folge nicht mehr gewonnen, aber man kann es es auch ganz anders sehen. Wir haben als Aufsteiger im Herbst 10 von 16 Spielen nicht verloren, das ist eine sehr gute Bilanz. Man kann doch nicht von uns erwarten, dass wir nach Hartberg fahren und dort wie selbstverständlich gewinnen.
Am drittletzten Herbstspieltag hat die Austria zwar zu Hause gegen Rapid die 3:2-Führung aus der 96. Minute nicht über die Zeit gebracht, hat das Spiel aber nicht trotzdem das Momentum zurückgebracht?
Mader: Wenn du gegen Rapid drei Tore machst und diesem großen Verein fast eine Niederlage zufügst, dann war das eine gute Leistung. Leider haben wir uns bei den Gegentoren nicht gut angestellt. Gegen Hartberg haben wir schon besser verteidigt, gegen Altach war es überragend.

Kann man als Trainer eigentlich so ein spektakuläres Spiel wie gegen Rapid mit drei Toren in der Nachspielzeit auch genießen?
Mader: Natürlich. Unmittelbar nach dem Spiel war ich klarerweise enttäuscht über den so späten Ausgleich. Mit ein, zwei Stunden Abstand war ich sehr stolz auf die Mannschaft, und am nächsten Tag bei der Analyse kam der Eindruck zurück, dass wir gewinnen hätten müssen.

Um das Thema abschließend zu klären: Sieht sich die Austria aktuell als Nummer eins in Vorarlberg?
Mader: Wenn man die Strukturen der beiden Klubs vergleicht, die finanziellen Möglichkeiten gegenüberstellt oder sich auch anschaut, wie viele Angestellte die beiden Vereine auf der Geschäftsstelle beschäftigen, dann hat die Austria noch großen Aufholbedarf. Aber das sportliche Leistungsvermögen klärt die Tabelle, und in der liegen wir nun mal vor Altach – also ist es zumindest nicht falsch, uns als die aktuelle Nummer eins im Land zu bezeichnen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Altach dieser Nummer-eins-Status wichtiger ist als uns. Für uns geht es darum, die Klasse zu halten. Alles andere sind Geschichten, die dazu gehören, aber teilweise wird mir da zu viel hineininterpretiert. Außerdem haben wir ja jetzt wieder die direkten Ligaduelle, dadurch lässt sich ja am Feld klären, wer besser drauf ist. Und die beiden Derbys haben wir gewonnen.
War es schwieriger, das zweite Derby zu gewinnen – nach der Niederlage im ersten Derby brannten die Altacher ja auf eine Revanche?
Mader: Ich glaube tatsächlich, dass der zweite Sieg gegen Altach unter Anführungszeichen der einfachere war. Die Medien haben Altach gehypt, wie stabil sie nun wären und wie überragend sie beim 1:1 gegen Sturm Graz gespielt hätten, was ich eigentlich nicht fand, auf mich wirkte Sturm sehr müde in dieser Partie. Der Medienhype um Altach ist uns aber sehr gelegen gekommen, ich glaube, sie waren sich zu 100 Prozent sicher, dass sie das Derby gewinnen. Dafür spricht ja auch, wie Altach auf den verschiedenen Plattformen kommuniziert hat. Da hieß es, dass die Vereine Welten trennen, der neue Sportchef meinte, dass sie uns in der Tabelle hinter sich lassen wollen. Das waren Steilvorlagen für uns.

Wie lange dauert es, bis Sie nach einem Spiel loslassen können?
Mader: Nach dem Spiel trinke ich gerne ein Bier, um runterzukommen. Doch es dauert nie lange, bis mir die wichtigen Spielszenen durch den Kopf gehen. Ich kann nach einem Spiel schon gut schlafen, am nächsten Morgen beginne ich aber sofort mit der Analyse, bereite für die Spieler die Statistiken und ersten Videosequenzen auf.
Das heißt also, einen freien Sonntag kennen Sie nicht?
Mader: Nein, und das brauche ich auch nicht. Sofern wir am Sonntag nicht selbst spielen, bin ich am Sonntag gerne bei Amateurspielen, ich schaue mir leidenschaftlich gerne Fußballspiele an. Als Profitrainer ist man kein normaler Arbeitnehmer, der von Montag bis Freitag arbeitet, das ist kein 9-to-5-Job. Wenn ich vorhin gesagt habe, dass ich nach einem Spiel gut schlafen kann, dann muss ich dazu sagen: In den Tagen vor einem Spiel kann ich nachts schon mal aufwachen und mir sagen, dass die Präsentation für die Spielbesprechung noch nicht perfekt ist. Dann stehe ich auf und kann gut und gerne bis 3 Uhr in der Früh an der Präsentation arbeiten. Profi-Fußballtrainer zu sein ist kein Beruf, das ist eine Berufung. Ich habe das auch zu meinen Spielern gesagt: Sie müssen nach dem letzten Herbstdurchgangsspiel nicht zwei Wochen weitertrainieren, sie dürfen trainieren. Wir alle haben unser Hobby, unsere liebste Freizeitbeschäftigung aus der Kindheit zu unserem Lebensunterhalt gemacht. Das sollten wir nie vergessen.
Ist es trotzdem wichtig, auch mal Abstand zum Fußball zu bekommen?
Mader: Ich brauche keinen Abstand, ich denke eigentlich rund um die Uhr an Fußball. Wobei ich mich schon dabei ertappt habe, dass ich beim Golfspielen tatsächlich mal nicht an Fußball denke. Aber ansonsten habe ich nur Fußball im Kopf. Egal ob ich im Fitnessstudio bin oder in der Sauna sitze.
Freuen Sie sich auf die WM?
Mader: Ja. Ich werde mir so viele Spiele wie möglich anschauen. Ich heiße nicht gut, was in Katar passiert. Die WM-Vergabe nach Katar war ein Riesenfehler, und ich hoffe sehr, dass der Weltverband daraus gelernt hat. Mit dem Geld, das die Stadien gekostet haben, hätte man so viel Gutes tun können, es gibt so viel Armut auf dieser Welt. Aber was ändert jetzt noch ein WM-Boykott? Gar nichts. Wenn vor manchen Wirtshäusern geschrieben steht, dass es dort keine WM-Übertragung gibt, dann verstehe ich zwar die Beweggründe. Doch dieser kollektive Aufschrei kommt um Jahre zu spät. Die WM wird heute eröffnet, und in einem Monat wird das Finale stattfinden. Daran lässt sich nichts mehr ändern, und ich verschwende keine Energie für unveränderbare Tatsachen.
Wer sind Ihre WM-Favoriten?
Mader: Jeder nennt Frankreich, Argentinien und Brasilien, ich rechne vor allem auch mit Deutschland. Weil die Deutschen eine Turniermannschaft sind. Ich bin aber kein Fan einer Nation, sondern bin schon gespannt, ob es taktische Neuheiten gibt.
Das heißt, dass Sie die Spiele mit den Augen eines Trainers und nicht einfach als Fußballfan anschauen?
Mader: Richtig, früher wollte ich viele Tore sehen. Heute achte ich auf den Spielaufbau, wie die Teams ihre erste Pressinglinien lenken oder im Angriff agieren.
Was das Stichwort ist: Braucht die Austria im Frühjahr einen Torjäger?
Mader: Wenn ich einen Weihnachtswunsch frei hätte, würde ich mir einen wünschen – klar. Aber die Frage ist, ob ein Stürmer auf den Markt kommt, der finanzierbar ist und uns verstärkt.
An dem Rückkehr-Gerücht um Haris Tabakovic ist nach NEUE-Informationen nichts dran?
Mader: Ich wüsste nicht, warum er Austria Wien nach einem halben Jahr wieder verlassen sollte. Unsere Fans sollten sich da besser keine Hoffnungen machen.

Wie steht es um den Dornbirn-Torjäger Renan?
Mader: Meines Wissens steht da eine Ablösesumme im Raum, die sich in Österreich fast kein Verein leisten kann.
Wie erleben Sie Austria Lustenau als Bundesligist?
Mader: Im Verein herrscht eine großartige Stimmung, und das obwohl unsere Vereinsvertreter sehr große Herausforderungen bewältigen müssen. Wir haben keinen Hauptsponsor, wir brauchen eine Spielstätte während der Bauarbeiten am Reichshofstadion. Das sind schon Belastungen. Umso schöner ist es, dass bei den Heimspielen so eine Euphorie herrscht. Wir können gerade zu Hause mit guten Leistungen und vielen Punktgewinnen unsere Vereinsvertreter, aber auch unsere Fans für ihre Treue und ihre Hingabe für Austria Lustenau belohnen. So soll es weitergehen.