Weihnachten während
der Wirtschaftskrise

Als 1929 die Weltwirtschaftskrise hereinbricht, verdirbt sie vielen mehr als nur ein Weihnachtsfest. Die folgende hohe Arbeitslosigkeit trifft auch Vorarlberg
Der Schwarze Freitag hatte am 25. Oktober 1929 und in den darauffolgenden Tagen die europäischen Wertpapierbörsen bergab gezogen, nachdem es bereits am 24. Oktober zu starken Kursschwankungen an der New Yorker Wall Street gekommen war.
Die Folge waren schwere wirtschaftliche Turbulenzen, die rasch Österreich erreichten. Die Krise traf das Land stärker als andere europäische Staaten, da es aufgrund internationaler Verpflichtungen seine Währung nicht abwerten durfte, was dem Export massiv schadete und die Arbeitslosigkeit zusätzlich ankurbelte.
Die Weltwirtschaftskrise erfasste das Land vor Weihnachten 1929 mit voller Wucht. Allein zwischen 1. und 20. Dezember stieg die Zahl der Arbeitslosen um 25.000 auf etwa 230.000 an. Im Oktober 1929 hatte es bundesweit noch etwa 125.000 Arbeitslose gegeben. Und die Zahlen sollten weiter steigen: Bis 1933 war etwa ein Drittel der Arbeitnehmer ohne Beschäftigung.
Enttäuschte Hoffnungen
Zu Beginn der Wirtschaftskrise versuchten Bund, Länder und Gemeinden noch mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gegenzusteuern – bis auch ihnen das Geld ausging. So beschloss Hohenems im Dezember 1929 angesichts der 200 Arbeitslosen in der Gemeinde die Straße nach Altach verbreitern und einen Gehweg anlegen zu lassen. „Die Arbeit ist vom Bauamte mit Arbeitslosen durchzuführen und soll sofort in Angriff genommen werden“, hieß es. In Fußach beschloss man aus denselben Motiven die Vergrößerung des Friedhofes.
Die Zahl der Arbeitslosen, die keine Unterstützung bekamen, war zu Beginn der Krise noch verhältnismäßig gering. Die Hilfsangebote und -aufrufe konzentrierten sich daher auf sie. „Weihnachten steht vor der Tür, das schönste und sinnreichste Weihnachtsgeschenk, das du geben könntest, wäre wohl das, wenn du einem Arbeitslosen zu einem Verdienst helfen würdest“, mahnte der katholische kaufmännische Verein „Brigantia“ im schwarzen „Vorarlberger Volksblatt“. Die Zahl der ausgesteuerten Arbeitslosen, also jener, die keine Arbeitslosenunterstützung oder Notstandshilfe erhielten, stieg bis 1933 auf 200.000 an und wurde zum sozialen und politischen Problem. Die Hoffnungen, dass die Weltwirtschaftskrise, die den Aufschwung nach dem Ersten Weltkrieg so abrupt gebremst hatte, bald ein Ende haben könnte, wurden ebenso jäh enttäusch.
Mahnung der Bischöfe
Die Rezepte, mit denen man 1929 noch versuchte, die Entwicklungen abzufedern, erwiesen sich teilweise als zusätzliche Krisentreiber. Just vor Weihnachten beschloss der Nationalrat zusätzliche Steuern, etwa auf Benzin und Zucker. Im darauffolgenden Jahr hatten sich die Umstände derart verschärft, dass die katholischen Bischöfe die wohlhabendere Bevölkerung zur Zurückhaltung bei den Weihnachtsfeierlichkeiten mahnten und zu Spenden aufriefen. Die sozialdemokratische Parteizeitung „Vorarlberger Wacht“ fand es „recht nett, daß der Papst und die Bischöfe mahnen, die Pflichten christlicher Nächstenliebe gegen die Arbeitslosen zu erfüllen“. Das genüge aber nicht. „Die Arbeitslosigkeit ist so ungeheuerlich angeschwollen, daß gegenüber solchem Massenelend alle private Wohltätigkeit ohnmächtig ist“, so die Zeitung. Man hätte sich vielmehr gewünscht, dass die Bischöfe sich gegen Forderungen der Unternehmer stellten, noch mehr Arbeitslosen die Unterstützung zu streichen.
Kollaps der Ersten Republik
Das christlichsoziale „Vorarlberger Volksblatt“ veröffentlichte in der Weihnachtszeit 1929 hingegen ein Loblied auf die Armut und beklagte, dass es nicht leicht sei, „über diesen Segen, über dieses Glück der Armut überhaupt zu sprechen“. Schließlich seien aber auch die meisten Heiligen arm gewesen. „Lebten sie heute, sie müssten ,stempeln‘ gehen.“

An anderer Stelle vermerkte ein Kolumnist der Zeitung selbstkritisch, dass es „keinen Sozialismus und keinen Kommunismus, keinen hassenden Nationalismus und keinen wütenden Bolschewismus“ gäbe, hätten die Bürgerlichen nur das Christuswort „Was ihr dem geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan“ etwas ernster genommen. „Erringen wir diese verhetzte Menschheit, erringen wir diese mit Not und Armut kämpfende Menschheit mit unserer Liebe, denn es ist Weihnacht!“, schloss der christlichsoziale Publizist hoffnungsfroh. Doch seine Worte sollten verhallen. Die Wirtschaftskrise trug wesentlich zur weiteren politischen Radikalisierung der Ersten Republik bei, an deren Höhepunkt Bundeskanzler Engelbert Dollfuß darüber nachdachte, streikende Arbeiter mit Giftgas zu töten.
Weihnachtsfeiertage im Ländle
Seinen Vorgängern war es nicht gelungen, die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren oder die Gegensätze mit den oppositionellen Sozialdemokraten auszugleichen. Ein letzter Erfolg war die von Kanzler Johann Schober vor Weihnachten 1929 zustandegebrachte Verfassungsreform. Der Vorarlberger Otto Ender, der Anfang Dezember 1930 die Führung in der Bundesregierung übernahm, ließ sich von der anhaltenden Krise nicht davon abhalten, die Weihnachtsfeiertage im heimatlichen Ländle zu verbringen. Das „Volksblatt“ bat seine Leserschaft, Ender in dieser Zeit auch nicht zu belästigen: „Obwohl wir von ihm keinen Auftrag haben, möchten wir es trotzdem nicht unterlassen, daran zu erinnern, daß es eine selbstverständliche Forderung des Taktes ist, dem Kanzler die wenigen Stunden, die er im Kreise seiner Familie zubringen kann, zu gönnen und nicht durch Besuche, mögen sie auch noch so wohlgemeint sein, ihm die wertvolle Erholungszeit zu beschneiden.“
Ender war im Amt jedoch kein Glück beschieden. Er trat bereits im Juni 1931 als Kanzler zurück. Die Großdeutschen hatten nach dem Zusammenbruch der Creditanstalt die Koalition verlassen, was die wirtschaftliche Situation sowie die Radikalisierung der Christlichsozialen weiter beförderte und letztlich in Dollfuß’ Kanzlerschaft sowie dem Ende der Demokratie in Österreich mündete.
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