Wer von Tokio aufs Land zieht, erhält eine Prämie

Auch Japan kämpft mit der Landflucht. Jetzt macht die Regierung den Städtern ein ganz besonderes Angebot.
In vielen Städten der Welt gehört es zur Standortpolitik, die eigenen Vorzüge zu betonen, um damit Menschen anzulocken.
Tokio ist da etwas anders. Seit einigen Jahren schafft die japanische Hauptstadt nicht etwa Anreize, damit sich Leute und Unternehmen hier ansiedeln, sondern im Gegenteil – damit sie den Ort verlassen.
Prämien für Wegzug
Seit 2019 hat die Regierung Familien prämiert, die sich woanders niederlassen als im dicht bevölkerten Großraum Tokio, der mit rund 37 Millionen Menschen größten Metropolregion der Welt. Und vor einigen Tagen wurde dieser Rausschmeißer noch etwas deutlicher formuliert.
In anderen Worten: Die Prämie für den Wegzug ist spürbar erhöht worden. Mit April dieses Jahres, wenn in Japan das neue Fiskaljahr beginnt, erhält jede Familie nicht mehr bloß eine Million Yen (rund 7250 Euro) für die Umzugskosten, wenn ihre Mitglieder in die Peripherie oder eine ganz andere Region umsiedeln und dort mindestens fünf Jahre arbeiten. Pro Kind erhält jede Familie fortan noch eine Million Yen zusätzlich, was mehr als einer Verdreifachung des bisherigen Angebots von 300.000 Yen pro Kind entspricht. Auch umsiedelnden Betrieben werden Steuerangebote gemacht.
Mehrere Motivationen
Die japanische Regierung, die in dieser Sache mit diversen Lokalregierungen kooperiert, macht damit deutlich: Den Versuch, Menschen aus der Hauptstadt zu schaffen, meint sie ernst. Denn während andere Regionen Japans teils seit Jahrzehnten schrumpfen, sieht es in und um Tokio, wo mehr als ein Viertel aller Menschen in Japan lebt, anders aus. Der Ballungsraum hat sich in den vergangenen 70 Jahren verdreifacht. Allein die Wirtschaftsleistung innerhalb der Stadtgrenze – in der „nur“ rund 13 Millionen leben – beläuft sich auf ein Fünftel des japanischen Bruttoinlandsprodukts.
Tokios „negative Standortpolitik“ – also die Bemühungen um einen Abfluss von Menschen und Unternehmen zugunsten anderer Gebiete – ist wohl nicht nur ökonomisch motiviert. Sie geschieht in einer Zeit, in der Geologen schon seit längerem ein großes Erdbeben rund um Tokio befürchten. Zwar sind in der Hauptstadtregion viele Gebäude äußerst erdbebensicher gebaut. Aber ein Erdbeben wie jenes, das sich im Jahr 2011 vor der Küste von Fukushima ereignete und einen Tsunami, Atom-Gau auslöste sowie rund 20.000 Tote forderte, würde auch in Tokio große Schäden anrichten.
Erdbebenrisiko
Erst Anfang 2021 schätzte die nationale Zentrale für Erbebenforschungsförderung die Wahrscheinlichkeit, dass in den folgenden 30 Jahren ein größeres Beben die Hauptstadtregion erschüttert, auf 47 Prozent. Nirgendwo sonst in Japan ist das Risiko demnach größer.
Die Bemühungen, nun möglichst viele Menschen aus Tokio zu schaffen, sind bisher kaum erfolgreich gewesen. Seit 2019 haben nur etwa 2300 Personen Tokio im Rahmen des Anreizprogramms verlassen. Geschrumpft ist die Metropole zuletzt dennoch etwas: Ende Oktober 2022 meldete die Marktanalysefirma Teikoku Databank, dass im Jahr bis dato 168 Unternehmen den Großraum Tokio zugunsten anderer Regionen verlassen hatten. Auch die Bevölkerung ist leicht gesunken. Dies hatte zwar vor allem mit sinkenden Geburtenzahlen zu tun. Mit der nun deutlich erhöhten Wegzugprämie soll die Bevölkerung bald aber weiter fallen. Und auch in Japan nehmen die Möglichkeiten, im Homeoffice zu arbeiten, seit Covid-19 zu.