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„Wir haben wie die Römer Europa erobert“

08.01.2023 • 13:27 Uhr / 23 Minuten Lesezeit
„Wir haben wie die Römer Europa erobert“
Ein unvergesslicher Moment: Am 25. Jänner 1998 konnte die VEU Feldkirch über den Sieg der Euroliga jubeln. Dietmar Stiplovsek

Vor 25 Jahren, am 25. Jänner 1998, gewann die VEU Feldkirch die Euroliga. Der legendäre VEU-Trainer Ralph Krueger (63) erinnert sich im offenherzigen Interview.

Was ist Ihre erste Erinnerung, wenn Sie an den Euroliga-Sieg denken?
Ralph Krueger: Das sind die letzten Sekunden vom Finale gegen Dynamo Moskau. Wir waren als Gruppe alle so fokussiert auf das, was wir gemeinsam zu tun hatten, dass uns erst ganz kurz vor Schluss klar wurde, dass wir die Euroliga gewinnen. Ich erinnere mich an die Jubel-Explosion auf unserer Bank in diesem Moment, an die grandiose Stimmung in der Vorarlberghalle. Nach viereinhalb Jahren harter Arbeit, in denen wir von diesem Titel träumten und immer wieder darüber sprachen, wurde dieser Titel plötzlich Realität. Ich bin mit meinem Kopf und meinem Herzen sofort wieder zurück in diesen Augenblicken, ich kann mich noch genau an die Glücksgefühle erinnern, es ist, als hätte ich diese Freude von damals tief in mir abgespeichert. Das war eine Sternstunde, nicht nur für den Verein und die Fans, sondern auch für die Stadt und Vorarlberg. Wir haben uns diesen Titel so hart erarbeitet, uns wurde nichts geschenkt. Wir haben als Gruppe zusammengehalten – die Spieler, der Staff, der Vorstand und die Fans. Diesen historischen Moment werden wir für immer miteinander teilen.

Was macht das mit Ihnen, dass diese Sternstunde 25 Jahre her ist?
Krueger: Das ist einfach Wahnsinn. Als Sie sich wegen des Interviews bei mir gemeldet haben, ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, wie viel Zeit vergangen ist. 25 Jahre! Das ist ein Vierteljahrhundert, fast ein halbes Leben. Trotzdem habe ich die Ereignisse von damals noch so klar vor mir, ich könnte alle Spiele beschreiben, besonders die Verlängerung von der Halbfinalpartie gegen Petra Vsetin und das Finale gegen Dynamo Moskau. Diese zwei Spiele waren Highlights, nach dieser intensiven Zeit waren wir alle der völligen Erschöpfung nahe, weil wir auf dem viereinhalb Jahre langen Weg zu diesem Titel so viel Kraft und Energie investiert haben.

„Wir haben wie die Römer Europa erobert“
Ralph Krueger bei einem Vortrag in Schwarzenberg im Jahr 2019. Klaus Hartinger

In der Titelsaison hatte die VEU mit Köln und Bern zwei europäische Top-Mannschaften als Gruppengegner – und nur der Gruppensieger kam sicher weiter. Das sagt alles.
Krueger: Wir profitierten von unseren Erfahrungen aus den Vorjahren. Wir standen sowohl 1995 als auch 1996 im Spiel um Platz drei, aber das hat die Mannschaft nicht interessiert. Ich kann mich an ein Spiel erinnern, in dem wir in den Schlusssekunden alles riskiert haben, obwohl uns ein Gegentor das kleine Finale gekostet hätte. Aber bei einem weiteren Tor hätten wir das Tor zum Finale weit aufgestoßen. Das kleine Finale war uns egal, das hast du Spielern wie Thomas Rundqvist, Bengt-Ake Gustafsson, Gerhard Puschnik, Rick Nasheim, und wie sie alle hießen, einfach angemerkt. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir den Europacup-Sieg vier Mal in Angriff nehmen konnten, was außergewöhnlich war, denn aus Nationen wie Österreich hat sich nur der Meister qualifiziert. Wir mussten also jedes Jahr Meister werden, sonst wären alle Europacup-Erfahrungen für immer verloren gewesen. Und genau diese Erfahrungen haben uns geholfen, die so schwierige Gruppe mit Köln und Bern zu überstehen.

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Und hier ist Ralph Krueger beim Jubel über den Euroliga-Titel zu sehen. Links von ihm: VEU-Kapitän Fritz Ganster. Dietmar Stiplovsek

1996 verpasste die VEU beim Finalturnier in Oberhausen das Endspiel um 19 Sekunden. Im letzten Gruppenspiel zwischen Modo und Hämeenlinna nahm Hämeenlinna den Torhüter vom Eis, den Finnen fehlte ein Tor aufs Finale. Auch Modo fehlte ein Tor aufs Finale. Modo erzielte ein Empty-Net-Goal.
Krueger: Das war so schmerzhaft. Wir saßen auf der Tribüne und waren machtlos, ich habe noch heute vor mir, wie das Tor fiel. Das ist noch immer einer der bittersten Momente meiner Trainerkarriere. Aber wir haben unsere Lehren daraus gezogen, und all diese Erlebnisse haben uns eben in der Saison 1997/98 gestärkt. Im letzten Gruppenspiel mussten wir in Köln gewinnen, um ins Viertelfinale aufzusteigen. Wir lagen nach ein paar Minuten mit 0:3 in Rückstand. Später habe ich gehört, dass der Weltverband IIHF während des Spiels mit den Kölnern schon Gespräche darüber geführt haben soll, das Finalturnier in Köln auszutragen. Das war ja auch verständlich. Normalerweise gewinnst du so ein schweres Entscheidungsspiel nicht mehr, wenn du in Köln mit drei Toren in Rückstand bist. Aber wir haben nach den frühen drei Gegentoren ein Wahnsinnsspiel abgeliefert und noch 5:3 gewonnen. Viele haben immer wieder unsere Mannschaft und unseren Charakter unterschätzt. Wir haben jedoch immer an uns geglaubt und immer wieder einen Weg gefunden zu gewinnen. Weil wir so viele Persönlichkeiten und herausragende Spieler in unserer Mannschaft hatten. Wir hatten die Sturmreihe um Tomaž Vnuk, die Rundqvist-Reihe, die Gustafsson-Reihe, wir hatten starke Verteidigerpaare und natürlich Reinhard Divis im Tor, der ein Weltklasse-Goalie war. Alle sprechen immer von den beiden Schweden, von Gustafsson und Rundqvist, aber es war die ganze Gruppe, jeder hatte seinen Anteil. Jemandem unsere ­Gruppendynamik zu erklären, der damals nicht in der Kabine war, ist völlig unmöglich. Jeder im Kader war ein Typ, der aufgestanden uns vorausgegangen ist – und jeder hatte auch das Recht dazu, weil alle gleich waren im Team.

War ein anderer Schlüsselmoment in der Saison 1997/98 der 7:2-Heimerfolg im Viertelfinal-Rückspiel gegen Hämeenlinna?
Krueger: Richtig! Das war ein absolutes Top-Spiel, über das fast zu wenig gesprochen wird. Hämeenlinna konzentrierte sich darauf, Gustafsson und Rundqvist aus dem Spiel zu nehmen. Wie viele dachten sie, dass sie uns dann in der Ecke hätten. Stattdessen haben Nik Zupancic und Vnuk groß aufgespielt und die Tore gemacht – und natürlich Simon Wheeldon. Was für ein Spieler! Aber das wird jetzt wahrscheinlich alles zu ausführlich?

Nein, das Interview hat keine Platzbeschränkung.
Krueger: Dann sollten wir im Detail über unseren Kader sprechen. Das Spiel gegen Hämeenlinna war so bezeichnend. Wir hatten ja nur drei Linien. Mit diesem engen Kader haben wir in der Euroliga, in der österreichischen Meisterschaft und in der Alpenliga gespielt. Das war ein riesiger Nachteil, weil speziell die Top-Teams in Europa natürlich mit vier Linien spielten. Aber irgendwie hat uns das eine konditionelle Stärke gebracht, weil jeder viel Eiszeit nehmen musste und daher eine hohe Belastung gewohnt war. Es musste auch jeder Verantwortung übernehmen. Wie gegen Hämeenlinna. Da haben wir Zupancic und Vnuk gebraucht – und sie waren da. Wir hatten zwar nicht viele Spieler, aber jeder Kaderplatz war stark besetzt. Und wenn wir mal müde wurden, hat uns der Charakter der Mannschaft getragen.

„Wir haben wie die Römer Europa erobert“
Bei Spielen der VEU war die Stimmung in der Vorarlberghalle stets am Siedepunkt. Im Finale gegen Dynamo Moskau waren über 8000 Fans in der Halle. Dietmar Stiplovsek

Trotzdem waren Gustafsson und Rundqvist besondere Spieler.
Krueger: Natürlich waren sie das.

Sie haben Rundqvist im April 1993 während der WM in München im Teamhotel besucht.
Krueger: Das war damals eine spontane Aktion. Ich hatte auf der Pressetribüne von Journalisten erfahren, dass Rundqvist seine Karriere beenden wird. Rundqvist war Kapitän der schwedischen Nationalmannschaft. Ich habe ihn zwar nicht persönlich gekannt, aber er hat mir als Spieler und noch mehr charakterlich immer sehr imponiert. Also bin ich am nächsten Tag zum schwedischen Teamhotel gefahren und habe die Dame an der Rezeption gebeten, Thomas Rundqvist für mich auf seinem Zimmer anzurufen. Es hat geklappt. Ich bekam ihn an den Hörer und sagte: Hallo, mein Name ist Ralph Krueger, ich bin Trainer der VEU Feldkirch und möchte, dass du in Feldkirch spielst. Hättest du Lust runterzukommen und mit mir einen Kaffee zu trinken? Er wusste zwar nicht, wer ich war, aber er sagte: Warum nicht? Fünf Minuten später stand er neben mir, und wir haben geredet. Bei dem Gespräch hat er erzählt, dass Bengt-Ake Gustafsson am nächsten Tag mit einer Sponsorengruppe nach München zum Spiel gegen Russland kommen würde und vielleicht auch an einem Wechsel nach Feldkirch interessiert wäre. Rundqvist hat dann organisiert, dass ich Gustafsson am nächsten Tag auf der Pressetribüne treffe. Ich habe beide nach Vorarlberg eingeladen. VEU-Präsident Günther W. Amann hat die Sache riskiert und die beiden eingeflogen.

Bei dem Besuch von Gustafsson und Rundqvist sind Sie mit den beiden rund ums Ländle gefahren.
Krueger: Es war ein herrlicher Tag, wir haben am Gebhardsberg gegessen. Eigentlich war das schon frech, hinter uns lag eine Saison, in der wir keines der letzten 15 Spiele gewonnen hatten. Und dann sprechen wir zwei so große schwedische Spieler an. Doch beide waren an einem Punkt in ihrer Karriere, an dem sie sich sagten: Wenn wir noch mal was Neues machen wollen, dann jetzt. Einige Tage später haben beide unterschrieben.

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Die beiden Schweden Bengt-Ake Gustafsson und Thomas Rundqvist waren das Gesicht der legendären VEU-Mannschaft. Dietmar Stiplovsek

Rundqvist hat mir schmunzelnd erzählt, dass Sie geflunkert haben bei den Gesprächen. Er meinte, Sie hätten gesagt, dass man zu den Auswärtsspielen fliegt. In Wahrheit hätte der Mannschaftsbus in den ersten Jahren weder Klimaanlage noch Toilette gehabt.
Krueger: Davon hat er erzählt? Ganz so war es nicht, aber so ähnlich. (lacht) Ich habe nicht gesagt, dass wir zu hundert Prozent zu den Auswärtsspielen fliegen, sondern, dass wir daran arbeiten und wir vom Flughafen Altenrhein aus nach Wien fliegen könnten. Das war ja auch unser Traum, aber das konnten wir nie finanzieren. Bis wir dann in der letzten Saison wirklich zu einigen Auswärtsspielen geflogen sind, da haben wir dann Witze darüber gemacht. (lacht) Was sind das für herrliche Erinnerungen. Es stimmt schon, ich habe Gustafsson und Rundqvist ein bisschen mehr verkauft als nur Eishockey. Ich habe ihnen einen Traum verkauft, dass die VEU ein Traditionsklub ist, dass wir die Zuschauer bewegen können, dass wir gewinnen und Titel holen können. Das hat ja auch alles gestimmt, das mit dem Fliegen war das einzige Ziel, das wir erst sehr spät verwirklicht haben.

Heute kann man sich das ja gar nicht mehr vorstellen, hunderte Kilometer mit einem Bus zu reisen, der noch nicht mal eine Toilette hat.
Krueger: Wir mussten immer wieder für Pinkelpausen anhalten. Heute würde man einem den Vogel zeigen. Wir waren nicht verwöhnt, so viel ist sicher, aber auch das hat uns zusammengeschweißt. Der Bus war wirklich sehr unmodern, aber er hatte eine Heizung – immerhin!

Dabei waren ja nicht nur die beiden Schweden einen anderen Standard gewöhnt. Dominic Lavoie hat im Jahr vor seinem Wechsel bei den L.A. Kings gespielt und zwei Tore auf Vorlage von Wayne Gretzky erzielt.
Krueger: Wenn diese Spieler nicht charakterlich so stark gewesen wären, hätten sich solche Kaliber doch nie auf ein Abenteuer in Feldkirch eingelassen. Dominic hatte einen gewaltigen Schuss. Tom Searle wollte schon mit dem Eishockey aufhören, als ich auf ihn gestoßen bin. Patrik Aronsson und Jesper Duus haben uns sehr geholfen. Gerhard Puschnik! „Puschi“ war so spiel­intelligent und hat so viele Tore gemacht, ein super Typ. Michi Lampert hat stabil gespielt – er war auch mal einer fürs Powerplay, Wolfi Strauss hat Schüsse geblockt, er war in Unterzahl so wichtig. Fritz Ganster war sowieso ein Phänomen, egal mit wem er in einer Linie gespielt hat, mit ihm wurden alle Spieler besser. Da war nicht ein Spieler dabei, der als Typ nicht zum Team ­gepasst hätte und der die Gegebenheiten in Feldkirch nicht angenommen hätte. Natürlich haben wir uns alle gefreut, als wir dann irgendwann einen moderneren Mannschaftsbus bekommen haben. Doch auch dieser alte Bus gehörte zu unserer gemeinsamen Reise an die Spitze Europas.

Wie kühn war es eigentlich, vor der Saison 1997/98 den Euroliga-Sieg als Ziel auszugeben?
Krueger: Ich finde, es war ein logisches Ziel. Wir waren zwei Mal im Spiel um Platz drei, die wir beide verloren haben, weil diese Spiele keinen von uns interessierten. Und wenn Platz drei nicht genug ist, dann musst du vom Titel sprechen. Wir hatten 1997/98 vier Landkarten des alten Roms aufgehängt. Ich hatte Fotos der Landkarten, die ich bei einem Rom-Besuch mit Johannes Engl von Enjo gemacht hatte. Diese vier Landkarten symbolisierten perfekt unsere Mission, denn sie zeigten, wie Rom zum Imperium wuchs. Erst war Rom ein Punkt, dann ein Reich von historischem Ausmaß. Wir haben diese Bildersprache als emotionales Ritual für die Euroliga genützt. Nachdem wir gegen eine Mannschaft gewonnen hatten, durfte ein Spieler unsere Flagge auf das Herkunftsland des Gegners stecken. So haben auch wir wie früher die Römer Gebiet um Gebiet in Europa erobert, bis der Osten noch übrigblieb; und den wollten wir uns beim Finalturnier mit Vsetin und Moskau holen. Natürlich war es ein riesengroßer Vorteil für uns, dass das Finalturnier in Feldkirch stattfand, weil wir fantastische Fans hatten. Die Stimmung in der war Vorarlberghalle war magisch. Ich glaube, wir bekamen das Turnier, weil wir nach unseren starken Leistungen national und in Europa einfach dran waren, das Finalturnier auszurichten.

Die Mannschaft übernachtete am Finalwochenende in einem Hotel in Liechtenstein.
Krueger: Ja, aber das war nichts Ungewöhnliches, das machten wir auch vor Play-off-Heimspielen so. Mir war vor großen Partien immer wichtig, dass die Spieler einen Fokus aufbauen. In der Nacht vor dem Finale gegen Moskau haben Conny Dorn, er war in dieser Saison mein so wichtiger Assistenztrainer, und ich bis 4 Uhr in der Früh ein Motivationsvideo zusammengeschnitten. Wir brauchten dafür mehrere Videoapparate, einfacher ging es damals nicht, weil wir die Bilder auch mit Musik kombinierten. Ich habe in der Nacht vielleicht zwei Stunden geschlafen, das war völlig verrückt, ohne Conny hätten wir das Video niemals in einer Nacht fertigbekommen. Dieses Video hat uns noch mal einen Energieschub gegeben, ich weiß noch ganz genau, welche Stimmung es in der Kabine erzeugt hat. Das Video war eigentlich mein einziges Coaching vor dem Finale gegen Dynamo Moskau, wir haben nicht mehr viel über Taktik, Aufstellung oder Forechecking gesprochen – sondern nur noch über den Glauben daran, dass der große Sieg möglich war.

„Wir haben wie die Römer Europa erobert“
Der Feldkirchre Jubel nach dem Siegtreffer in der Overtime gegen Petra Vsetin. Gerhard Puschnik hatte den Torhüter mit einem Schuss von hinter dem Tor aus überlistet. Dietmar Stiplovsek

Bestimmt hat dem Team auch der emotionale Overtime-Sieg gegen Petra Vsetin einen Schub gegeben?
Krueger: Wir sind damals zweieinhalb Minuten vor dem Ende 1:2 in Rückstand geraten, aber wir haben einfach weitergemacht. Wir haben den Ausgleich erzwungen, und in der Verlängerung hat dann Puschnik von hinterm Tor aus getroffen. Wheeldon hat Roman Cechmanek, den großen Torhüter von Vsetin, gestört, und Puschnik hat von hinten einfach die Scheibe zum Tor gebracht, er hat Cechmanek am Fuß angeschossen, und von dort ging die Scheibe ins Tor. Wenn die Scheibe so für einen springt, bestärkt das einen darin, dass es einfach so sein soll und wir es verdient hatten.

Moskau hat im Finale 1:0 und 2:1 geführt, die VEU hat beide Male sofort den Ausgleich geschafft.
Krueger: Im Nachhinein war es gar nicht schlecht, dass Dynamo zwei Mal in Führung gegangen ist. Das hat sie in Sicherheit gewogen. Ich glaube nämlich, dass sie bei Moskau dachten, es wird ein einfaches Spiel für sie. Sogar im Finale hat man uns noch unterschätzt. Bis sie aufgewacht sind und realisiert hatten, wie gefährlich es für sie war, war das Spiel vorbei. Es war natürlich wichtig, dass wir nach beiden Rückständen eine schnelle Antwort gefunden haben, aber auch das hat uns ausgezeichnet: Wir haben uns selbst im Finale und selbst gegen Dynamo Moskau nicht aus der Ruhe bringen lassen und die Gegentore einfach weggesteckt. Daniel Gauthier hat uns dann Sekunden vor der zweiten Pause mit 3:2 in Führung gebracht. Da hatten wir das Spiel schon unter Kontrolle.

Die VEU hat im Finale phasenweise extremen Druck gemacht und sich dann wieder zurückgezogen.
Krueger: Weil wir mit unseren drei Blocks nicht die Kraft hatten, gegen ein Team wie Moskau 60 Minuten Druck zu machen, die hatten 25 Spieler im Kader. Was wir damals machten, konnten nur ganz wenige Mannschaften und sieht man heute in der Intensität fast überhaupt nicht mehr: Wir konnten auf den Knopf drücken und sind dann auf den Zehenspitzen gegangen. Wir haben dann extremes Forechecking gespielt. Nach ein paar Minuten haben wir uns wieder zurückgezogen. Auch da half uns unsere Erfahrung. Denn weil wir nur drei Linien hatten, mussten wir uns auch in der Liga oft zurückziehen, um unsere Kräfte zu schonen. Wenn wir mit einem Tor Vorsprung führten, war es so gut wie sicher, dass wir gewinnen. Weil wir die Gabe hatten, diesen Vorsprung zu verteidigen. Am Formhöhepunkt der Mannschaft konnte das kein Team in Europa besser als wir.

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Hier erzielt Simon Wheeldon im Finale das 4:2 gegen Moskau. Dietmar Stiplovsek

Inwieweit war die damals neu ausgelegte Icing-Regel ein Faktor?
Krueger: Der Weltverband wollte 1997 das Red-Line-Offside abschaffen, ich habe damals bei einem IIHF-Meeting dagegen protestiert und konnte die Leute überzeugen. Wir hatten nicht unbedingt die Mannschaft, die von einem Wegfall der Zwei-Linien-Regel profitiert hätte. Am Ende hat man sich darauf geeinigt, die Icing-Regel abzuändern: Es reichte, wenn man über der blauen Linie war, dann war es kein unerlaubter Befreiungsschlag mehr. Diese neue Regelauslegung hat uns sehr genützt, weil wir sehr smarte Spieler hatten, die diese Regeln perfekt genutzt haben. Gerade auch gegen Moskau. Die Regel gab es nur diese eine Saison, danach haben sie wirklich das Red-Line-Offside abgeschafft. Auch das ist wieder so ein Beispiel, dass 1997/98 einfach unsere Saison war, denn es hat alles zusammengepasst.

Nach dem Finalsieg haben Sie die Mannschaft zunächst für ein paar Minuten in die Kabine geholt.
Krueger: Wir wollten erst mal allein sein und haben uns Gott sei Dank diese paar Minuten für uns genommen. Wir hielten die Zeit an. Der einzige Außenstehende in der Kabine war mein Sohn Justin, er stand in einer Ecke und hat diese Augenblicke bis heute nicht vergessen. Bevor wir mit allen anderen feierten und diesen Sieg, dieses Gefühl teilen konnten, wollten wir einander kurz in die Augen schauen und darüber nachdenken, was für ein historischer Tag das war. Das zeigt ja auch dieses ausführliche Interview, noch heute fasziniert und interessiert dieser Erfolg die Menschen. Nach ein paar ­Minuten haben wir die Türen aufgemacht, und die Party ging los.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Siegesfeier?
Krueger: (Atmet tief durch) Oh boy! What a night, was für eine Nacht! Es ist gar nicht so spät geworden, aber es war sehr intensiv. Wir sind lange in der Halle geblieben, das weiß ich noch, und haben mit unseren Familien gefeiert. Das hat die Feier so emotional gemacht, dass von allen die Familien dabei waren. Viele der Spieler hatten schon Kinder, und diesen großen Moment mit der Frau und seinen Kindern teilen zu können, war ein Geschenk fürs Leben, weil sicher keiner diese Erinnerungen je vergessen wird. Danach ging es in die Stadt, und es kam zu vielen Begegnungen mit den Fans, der Teil der Feier ist aber ein bisschen verschwommen bei mir. (lacht)

Bleibt noch die Frage, wie es bei Ihnen persönlich weitergeht?
Krueger: Nach den schwierigen Covid-Jahren und meiner Zeit bei Buffalo in der NHL haben meine Frau und ich gemeinsam beschlossen, dass ich 2022 eine Auszeit nehme. Ich war 44 Jahre ununterbrochen unterwegs, 2022 haben wir als Familie genützt. Ich bin dreifacher Großvater, meine Tochter hat geheiratet. Jetzt bin ich prinzipiell bereit, mir Angebote anzuhören, aber ich renne niemandem und nichts hinterher. Ich kann mir vorstellen, in einer beratenden Rolle im Eishockey oder im Fußball tätig zu sein, diese Aufgabe wird aber ganz sicher nicht mehr diese Intensität von meiner Zeit in Feldkirch haben. Zum Schluss ist mir wichtig, mich für dieses wunderbare Gespräch zu bedanken. Danke, dass Sie mich auf diese Zeitreise mitgenommen haben. Ich wünsche allen in Feldkirch das Allerbeste und hoffe, das neue Projekt mit den Pioneers wird erfolgreich sein. Es wird viel Geduld und Zeit brauchen, aber da kann was Neues entstehen. Ich werde meine Zeit in Feldkirch nie vergessen, die Erinnerungen an diese Zeit sind ein großer Schatz für mich, und ich grüße alle in Vor­arlberg von Herzen.

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