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Die wahre Geschichte hinter dem Netflixfilm „Die Schwimmerinnen“

12.01.2023 • 17:15 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Yusra und Sarah Mardini erhielten 2016 einen Bambi
Yusra und Sarah Mardini erhielten 2016 einen Bambi APA/AFP/AXEL SCHMIDT

In Deutschland geehrt, in Griechenland eingesperrt. Flüchtlingshelferin, bekannt durch den Film „Die Schwimmerinnen“, steht auf Lesbos vor Gericht.

Für viele sind sie Helden. Aber die griechische Justiz verfolgt sie als Kriminelle. Auf der Ägäisinsel Lesbos ist der Prozess gegen 24 Mitarbeiter der Hilfsorganisation Emergency Response Center International (ERCI) wieder aufgenommen worden. Den Beschuldigten drohen Haftstrafen wegen Menschenschmuggels, Geldwäsche, Spionage und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Menschenrechtsorganisationen sehen in dem Prozess einen Versuch, die Arbeit von Flüchtlingshelfern in Griechenland zu kriminalisieren, Hilfsorganisationen zu vertreiben und Migranten abzuschrecken.


Die prominenteste Angeklagte in dem Prozess ist die 27-jährige Sarah Mardini. Sie wuchs mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Yusra in Damaskus auf. 2015 flohen die beiden Schwestern in die Türkei. Von dort wollten sie über die Ägäis zur griechischen Insel Lesbos. Doch bevor sie die rettende Küste erreichten, setzte der Motor des Schlauchbootes aus. Sarah und Yusra, trainierte Wettkampfschwimmerinnen, sprangen über Bord und zogen schwimmend das Schlauchboot mit seinen 18 Insassen an Land. Von Griechenland gelangten die Schwestern über die Balkanroute nach Deutschland. Ihre Story ging um die Welt. 2016 wurden sie als „Stille Heldinnen“ mit einem Bambi ausgezeichnet. Netflix machte 2022 aus der „unglaublichen wahren Geschichte“ den Film „Die Schwimmerinnen“.

Das kommt im Film nicht vor


Aber es gibt eine zweite Geschichte, die im Film nicht vorkommt. Sie spielt in den Jahren 2016 bis 2018. Sarah Mardini war aus Berlin nach Lesbos zurückgekehrt, um als Freiwillige für die Hilfsorganisation ERCI zu arbeiten. Die Organisation betreute Flüchtlinge, unter anderem im berüchtigten Camp Moria. Als Mardini am 21. August 2018 nach Deutschland zurückfliegen wollte, wurde sie am Flughafen Lesbos festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr und den 23 Mitangeklagten unter anderem vor, sie hätten mit Menschenschmugglern in der Türkei zusammengearbeitet, um Migranten einzuschleusen. Nach 106 Tagen Untersuchungshaft wurde Mardini gegen 5000 Euro Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen.


Viereinhalb Jahre später kommt es nun zum Prozess. Es geht um Spionage und Urkundenfälschung. Darauf stehen bis zu acht Jahre Haft. Zugleich läuft ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagten wegen Menschenschmuggels, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche. Spenden seien veruntreut worden, die Hilfsorganisation in Wirklichkeit ein „kriminelles Netzwerk“. Dafür könnte ein Gericht bis zu 25 Jahre Haft verhängen.


Mardini und die Mitangeklagten bestreiten die Vorwürfe. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nennt den Prozess eine „Farce“.

Sie ist beim Prozess nicht dabei


Zu den Absurditäten des Verfahrens gehört, dass die griechischen Behörden ein Einreiseverbot gegen Sarah Mardini verhängt haben. So will man verhindern, dass sie sich selbst vor Gericht verteidigt. Sie wird von einer Anwältin vertreten.

Kritiker sehen in dem Verfahren einen weiteren Beweis für eine Strategie der Abschreckung: Die griechische Regierung wolle alles vermeiden, was Schutzsuchenden einen Anreiz geben könne, nach Griechenland zu kommen. Ein Untersuchungsbericht des Europaparlaments vom Juni 2021 bezeichnet den Prozess als „den größten Fall der Kriminalisierung von Flüchtlings-Solidarität in Europa“. Human Rights Watch spricht von einem „politisch motivierten Prozess“, dessen Ziel es sei, „Hilfsorganisationen einzuschüchtern und sie an ihrer Arbeit zu hindern“. Rechtsexperten erwarten, dass der Prozess gegen Mardini und ihre Mitangeklagten Wochen oder Monate dauern wird.