So viele Quereinsteiger unterrichten im Land

An Vorarlbergs Pflichtschulen unterrichten immer mehr Lehrer ohne Lehramtsstudium – trotzdem fallen nach wie vor viele Überstunden an.
Der Lehrermangel an den Pflichtschulen spitzt sich aufgrund der Pensionierungswelle und des Trends zur Teilzeitbeschäftigung weiter zu. So wie in anderen Bundesländern muss auch Vorarlberg immer stärker auf Quereinsteiger, Studierende und Pensionisten zurückgreifen. Wie viele das sind, geht aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der SPÖ durch Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) hervor.
Entsprechend des Datenstands September bis Oktober 2022 (Mittelwert) unterrichteten an Vorarlbergs Pflichtschulen (Volks-, Mittel-, Sonder-, Berufs- und Polytechnische Schule) insgesamt 4524 Landeslehrpersonen. Davon arbeiten 2073 in Teilzeitbeschäftigung –das sind 45,8 Prozent, sprich fast die Hälfte. Laut Bildungsdirektion sind im Bereich der Pflichtschulen derzeit 3,7 Vollzeitäquivalente (VZÄ) unbesetzt.

Quereinsteiger
Mit Beginn des Schuljahres unterrichteten in Vorarlberg 468 Quereinsteiger – also Lehrer ohne (abgeschlossenes) Lehramtsstudium (exklusive Fachpraktiker und Fachtheoretiker an den Berufsschulen). Vorarlberg beschäftigt damit nach Wien (1900), Oberösterreich (530) und der Steiermark (600) am viertmeisten Quereinsteiger. Von den knapp 470 Quereinsteigern unterrichten 220 an Volksschulen, 191 an Mittelschulen und 36 an Sonderschulen. In den Polytechnischen Schulen werden laut Anfragebeantwortung 21 Quereinsteiger beschäftigt.
Die Bildungsdirektion Vorarlberg zählte heuer fast doppelt so viele Neueinstellungen als im Vorjahr. In Zukunft will man auf noch mehr Personen ohne klassische Lehrerausbildung an den Schulen setzen: Als Maßnahme gegen den zunehmenden Personalmangel starten mit Herbst an allen Pädagogischen Hochschulen (PH) Lehrgänge für Personen, die passendes Studium und Berufserfahrung mitbringen. Im Vollausbau rechnet das Ministerium mit 200 bis 300 Absolventen pro Jahr.
Vergleichsweise gering ist die Zahl der Lehramtsstudierenden in den Pflichtschulen. Mit Stand Ende September 2022 unterrichten in Vorarlberg 56 Personen, die ihre Lehrerausbildung noch nicht abgeschlossen haben. Österreichweit werden 1096 Lehramtsstudierende an den Pflichtschulen beschäftigt.
Pensionisten
Unterschiedliche Angaben gibt es zur Zahl jener Lehrerinnen und Lehrer, die trotz Pensionsalters weiter unterrichten beziehungsweise aus der Pension zurückgeholt wurden. Laut Anfragebeantwortung des Ministeriums wurden mit Stand September 2022 österreichweit 42 Pensionisten beschäftigt. Mit Abstand am meisten unterrichten demnach in Oberösterreich (15), gleich dahinter rangiert Vorarlberg mit sechs Pensionisten.
Die Bildungsdirektion vermutet, dass in der Anfragebeantwortung nur pensionierte Lehrkräfte mit neuem Vertrag angeführt sind. Insgesamt weise die Personalabteilung derzeit 28 pensionierte Lehrpersonen (inklusive Weiterbeschäftigte) aus. Zu Schulbeginn im September seien es 24 Pensionisten gewesen, heißt es.
Überstunden
Nach Oberösterreich auf Platz zwei finden sich die Vorarlberger Pflichtschulen bei der Anzahl der Mehrdienstleistungen beziehungsweise Überstunden (Datenstand September und Oktober 2022). Knapp 450.000 Euro gab das Land für 6800 Überstunden aus – das sind rund 20 Prozent von den österreichweiten Gesamtausgaben in der Höhe von 2,2 Millionen Euro. Allerdings wird in der Anfragebeantwortung darauf hingewiesen, dass die Daten zu Schuljahresbeginn aufgrund der Nachlaufzeit bei den Anrechnungen und möglicher Aufrollungen aus dem Vorschuljahr nicht repräsentativ sind.
In der Anfragebeantwortung finden sich außerdem Zahlen zum Unterstützungspersonal an den Pflichtschulen im laufenden Schuljahr. Demnach wurden an Vorarlbergs Pflichtschulen vom Bund 6,03 Vollzeitäquivalente (VZÄ) im Bereich der Schulsozialarbeit und Sozialpädagogik kofinanziert. Polaschek betont freilich, dass die Zuständigkeit für die Schulsozialarbeit primär bei der Kinder- und Jugendhilfe und damit bei den Ländern liege. Darüber hinaus sind in rund sechs kofinanzierte Schulpsychologinnen und -psychologen (VZÄ) im Einsatz. Eine Zuordnung zu Schultypen und Schulstufen sei nicht möglich, da das Personal schulübergreifend tätig sei, heißt es.
Dramatische Lage
Willi Witzemann, Vorsitzender des Zentralausschusses der Vorarlberger Pflichtschullehrer, kennt die Personalsituation in den hiesigen Volks- und Mittelschulen wie kaum ein anderer. Gemeinsam mit anderen Personalvertretern besuchte er in den vergangenen Tagen viele Schulen. Im Gespräch mit der NEUE zeichnet er ein dramatisches Bild der Lage. „Immer mehr Kolleginnen und Kollegen stoßen an ihre Grenzen und benötigen psychologische Hilfe oder anderen Support.“
„Immer mehr Kolleginnen und Kollegen stoßen an ihre Grenzen und benötigen psychologische Hilfe oder anderen Support.“
Willi Witzemann, Vorsitzender
Die Überlastung manifestiere sich in regelmäßigen Überstunden. Laut Witzemann werden an Vorarlbergs Pflichtschulen wöchentlich 7290 Überstunden gehalten.

Besonders betroffen sind offenbar die Schulleiter. „21 Direktorinnen und Direktoren leisten mehr als zehn Überstunden wöchentlich. Spitzenreiter ist eine Leiterin mit 19 Stunden“, schildert Witzemann. Wenn man dies mit den Lehrverpflichtungen gegenzeichne, komme ein „erschreckendes Ergebnis“ heraus. „Demnach fehlen in Vorarlberg 331 Lehrpersonen an den Pflichtschulen“, rechnet der Personalvertreter vor.
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