Schiefe Optik um S 18

Analyse. Die Grünen haben sich mit der S 18 Evaluierung keinen Gefallen getan.
Immer wenn jemand beginnt die Wahrheit etwas zu dehnen, um seine Geschichte besser erzählen zu können, sollte man hellhörig werden – das gilt bei Medien ebenso wie für die Politik. In Innerösterreich gibt es für solche Versuche den schönen Begriff des „Gschichtldruckens“. Die Geschichte der Evaluierung der S 18 ist leider voll davon.
Eine Bitte als Auftrag
Der Nationalrat hatte am 19. Juli 2021 einen Entschließungsantrag zur Bodenseeschnellstraße angenommen, in dem Verkehrsministerin Leonore Gewessler „ersucht“ wurde, einerseits „eine möglichst rasche Lösung für die vom LKW-Transitverkehr betroffenen Ortsdurchfahrten“ zu finden, sowie andererseits „die notwendige Verbindung der A14 mit der Schweizer N13 unter Berücksichtigung einer möglichen Verbindung auf der Höhe Hohenems – Diepoldsau – Widnau/Balgach … zu prüfen“.
Gewessler sprach in der Folge immer wieder von einem „Auftrag“, den ihr der Nationalrat erteilt habe. Die Gesetzgebung erteilt der Vollziehung Aufträge aber nur mittels Gesetz. Eine Entschließung ist nicht mehr als ein politischer Wunsch ans Christkind. Die Aktenbestände des Nationalrates sind voll von, zum Teil sogar einstimmig angenommenen Entschließungsanträgen, die von der Bundesregierung freundlich ignoriert wurden.
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Den „Auftrag“ zur Evaluierung der S 18 erteilte sich die Ministerin vielmehr selbst, wozu sie auch berechtigt war, was sie aber aus politischen Gründen lieber als Parlamentsanweisung verkaufte. Im Übrigen gab es eine anderslautende, rechtlich ebenso bedeutungslose Entschließung des Bundesrates zur S 18, um die man sich aber nicht weiter kümmerte.
Die Arbeitsgruppe
Sollte Gewessler mit der Evaluierung das politische Ziel verfolgt haben, die vom Land favorisierte CP-Variante der S 18 zu erschlagen, ging sie es wenig geschickt an. Vielleicht waren es die oft hehren Ziele der Grünen, die dazu führten, dass man tatsächlich Experten von allen Seiten in die Arbeitsgruppe für die Schnellstraßenevaluierung einlud. Rote und blaue Verkehrsminister der Vergangenheit hätten ein solches Gremium wohl eher mit eigenen Spezis besetzt, um am Ende das Ergebnis zu bekommen, welches man auch hätte haben wollen.
In der S 18-Arbeitsgruppe aber saßen unter anderem auch Bedienstete des Landes Vorarlberg, die wohl bereits einen Gutteil ihres Berufslebens mit endlosen Debatten über eine Straße verbracht hatten, die man in der Wiener Politik nicht sonderlich gut kannte. Beim Land sah man die CP-Variante aus guten Gründen als beste unter vielen problematischen Lösungen an: Sie war ausreichend vorbereitet, sollte nur auf 300 Meter und unterirdisch an einem Natura-2000-Schutzgebiet vorbeiführen und würde laut Berechnungen die größte Verkehrsentlastung für Lustenau bringen. In Wien hatte man hingegen etwas von einem Tunnel unter Diepoldsau gehört, der kürzer und billiger wäre, sowie weniger Verkehr anziehen würde. Die Grünen setzten auf diese Alternative und hatten sie auch im Entschließungsantrag als zu prüfende Variante mitbeschlossen.
Unterschiedliche Kommunikation
Blöderweise kam das Expertengremium nicht zum Schluss, dass der Tunnel und die Umfahrung „Lustenau Süd“ auch wirklich die beste Lösung wäre. Man druckte also nach Abschluss der Evaluierung das nächste „Gschichtl“: Der Politik in Vorarlberg präsentierte man die Ergebnisse wie sie waren, mit allen Vor- und Nachteilen der jeweiligen Varianten und ohne jede Reihung. Bei der Wirtschaft und der ÖVP hinterließ das den Eindruck, an der CP-Lösung könne wohl nichts mehr vorbeiführen. Nur mit CP würde „die gesamte Ortsdurchfahrt von Lustenau vom LKW-Verkehr entlastet“, hieß es im Bericht des Klimaschutzministeriums etwa, und es sei der Plan mit den „größten verkehrlichen Entlastungswirkungen“. Außerdem wurde eine weitere Optimierung empfohlen.

Der Öffentlichkeit verkaufte man hingegen „Lustenau Süd“ als neues Ziel. „Der Bericht der Arbeitsgruppe zeigt deutlich auf, dass die variante Lustenau Süd … gegenüber der vierspurigen Schnellstraße im Großraum Vorteile bringt. Auch sie führt zu einer wirksamen Verkehrsentlastung“, hieß es in der Presseaussendung. Zu behaupten, dass es die bessere Lösung für Lustenau sei, wagte man jedoch nicht. Die Vorteile bezogen sich auch nur auf den „Großraum Lustenau“ und waren aus Sicht des Landes überschaubar.
In den Präsentationsfolien der Arbeitsgruppe war von „wenig detaillierten Grundlagen“ für „Lustenau Süd“ die Rede gewesen. Außerdem gebe es auch bei dieser Variante ein Genehmigungsrisiko, weil sie – in noch umfangreicherem Ausmaß als die CP-Variante – an Natura-2000-Gebieten vorbeiführen würde. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass diese Variante schneller umgesetzt werden könnte. Die Presseaussendung unterschied sich so deutlich von diesen Ergebnissen, dass mancher zunächst an verschiedene Versionen glaubte.
Warnungen missachtet
Die Warnung der Landesbeamten, die Schweiz werde anderen Lösungen als der CP-Variante wohl nicht zustimmen, wurde aber auch in der Arbeitsgruppe ignoriert. Das Verkehrsministerium berief sich lieber auf „gute Gespräche“ mit den Nachbarn auf Bundes- und Kantonsebene. Kurze Zeit nachdem man der Öffentlichkeit so Hoffnungen auf einen Tunnel unter Diepoldsau hatte machen wollen, implodierte die gute Gesprächskultur mit den Eidgenossen jedoch auf höchst peinliche Weise. Der Gemeindepräsident von Diepoldsau sagte „Njet“ zu „Lustenau Süd“, was kurz darauf sehr deutlich von der zuständigen Kantonsrätin wiederholt wurde.
Loenore Gewessler mag im Vorjahr ein freundliches Gespräch mit der Sozialdemokratin Simonetta Somaruga in Bern geführt haben, mit dem mittlerweile für Verkehr zuständigen Bundesrat Albert Rösti (SVP) wird sie aber ebenso wenig einen Autobahnanschluss gegen den Willen eines Kantons verhandeln, wie es mit dessen Vorgängerin möglich gewesen wäre.
Mit St. Gallen selbst können die Gespräche des Verkehrsministeriums nicht sonderlich politisch gewesen sein, wenn man die Position der Grenzgemeinden offenbar nicht einmal abgetastet hat. Die Warnungen des Landes, dass man sich den Nachbarn gegenüber bereits verpflichtet habe, über Dornbirn Süd keinen großen Grenzverkehr abzuleiten, ignorierte man ebenfalls. Die Landesbeamten in der Arbeitsgruppe hatten vergeblich darauf hingewiesen, „dass seitens der Ortsgemeinde Schmitter und der Gemeinde Diepoldsau der Anschlussstelle Dornbirn Süd nur unter der Auflage zugestimmt wurde, dass ein Transitverkehr von Norden über die A 14 kommend in Richtung Schweizer Autobahn und Gegenrichtung baulich und verkehrsorganisatorisch unterbunden werden muss.“
In der Schweiz hat sich Wien nun bis auf die Knochen blamiert.
Rechtliche Probleme
Dass man nicht die Energie aufbrachte, der S 18 eine generelle Absage zu erteilen, mag neben der unbestreitbar überlasteten Ortsdurchfahrt in Lustenau auch an den rechtlichen Voraussetzungen liegen. Die S 18 steht nämlich bereits im Bundesstraßengesetz. Dort ist ihr Verlauf mit „Knoten bei Dornbirn (A 14) – Staatsgrenze bei Höchst“ angegeben. In diesem Fall hat der Bundesgesetzgeber der Verkehrsministerin tatsächlich einen Auftrag erteilt, der jedoch seiner Erfüllung harrt, weil zunächst der Nicht-Auftrag der Evaluierung weiterverfolgt wurde.

Gewessler und ihre Partei befinden sich nun in der unangenehmen Lage, mit der S 18 irgendetwas anfangen zu müssen. Während man beim Land bereits wegen der Alternativvariante offen vom Gesetzesbruch durch die Ministerin spricht, könnten geneigtere Beobachter die Evaluierung noch als Umsetzungsschritt sehen. Aber was dann? Nachdem „Lustenau Süd“ schneller unterging als die Titanic kann man nun entweder die Fakten ignorieren und weiter mit den Schweizern über ihren Unwillen reden, die ursprüngliche CP-Variante weiterverfolgen oder durch offensives Nichtstun den Vorwurf einer gesetzwidrigen Untätigkeit bestärken.
Keine Ideallösung
Dass auch die CP-Variante ihre Schwächen hat, bestreitet nicht einmal Wirtschaftslandesrat Marco Tittler, der alle Medien des Landes am Freitag zum Gespräch lud. Ob der Verwaltungsgerichtshof ein unterirdisches Vorbeiführen der Straße am Schutzgebiet als unzulässige Beeinträchtigung bewertet oder nicht wird man aber erst wissen, wenn es ein Behördenverfahren gab.
Sollte CP vor den Verwaltungsgerichten scheitern, wäre das Bundesstraßengesetz im Bezug auf die S 18 de facto nicht mehr zu vollziehen, da auch die übrigen Varianten mit gleichen Problemen behaftet sind – dann wäre auch die Ministerin fein raus.

Wenn sich Tittler darüber echauffiert, dass er aus Rücksicht auf Vogelbrutplätze nicht einmal einen Modellflugverein auf eines jener Grundstücke umsiedeln durfte, über das die Grünen nun eine Straße bauen möchten, zeigt das die Verfahrenheit der Situation.
Die Grünen wollten Alternativen für die S 18 ausloten, konnten aber keine tragbaren Ersatzvarianten liefern. Es wird nun an ihnen sein zu zeigen, wie es in der Sache weitergehen kann. Die Zeit des Herumlavierens und „Gschichtldruckens“ sollte jedenfalls ein Ende finden.
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