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Unschuldig als Mörder verurteilt

28.01.2023 • 09:30 Uhr / 10 Minuten Lesezeit
Nahe der Grenze bei Hohenweiler ereignet sich vor 100 Jahren ein Verbrechen. <span class="copyright">volare</span>
Nahe der Grenze bei Hohenweiler ereignet sich vor 100 Jahren ein Verbrechen. volare

Nahe der Grenze bei Hohenweiler geschieht ein Verbrechen, für das ein Zöllner ins Visier der Justiz gerät.

In finsterer Nacht verabschieden sich am 17. Februar 1923 zwei Zöllner voneinander. Sie befinden sich im Auftrag der Zollwachstation Niederstaufen auf Streife an der österreichisch-deutschen Staatsgrenze. Zwischen Hohenweiler und Bayern sind zu dieser Zeit aber nur noch selten Schmuggler anzutreffen, es gibt bessere Routen. Während der 28-jährige Zollbetriebsassistent Johann Plank entlang des Rickenbachs in Richtung Osten patrouillieren soll, macht sich sein Kollege, Zollassistent Franz Sax, nach Westen auf. Plank ist keine zweihundert Schritte gegangen, da fallen zwei Schüsse und er wird, ohne es zu ahnen, zum Mordverdächtigen in einem Fall, der die Behörden in Bayern und Vorarlberg über Jahre beschäftigen wird.

Der Verdacht fällt auf den Kollegen

Plank hastet im Dunkeln zurück. In der Finsternis findet Der bayerische Zöllner aber zunächst keine Hinweise auf den Schützen oder ein mögliches Opfer, bis er nach einer Viertelstunde 250 Schritte östlich der Stelle, an der er sich von seinem Kollegen getrennt hatte, ein Röcheln hört. Auf der Straße liegt Sax, aus seiner Brust strömt Blut. Plank rennt zum nächsten Haus, um Hilfe zu holen. Mit einem Schubkarren kehrt er zurück, um den Verwundeten aufzuladen. Doch bevor ein Arzt herbeigerufen werden kann, verstirbt der Zollbeamte Franz Sax, ohne Angaben über den Täter machen zu können. „Ich war ganz betäubt vor Aufregung und betete nur noch mechanisch für seine Seele ein Vaterunser“, berichtet Plank später.

Der überlebende Zöllner will die bayerische Gendarmerie verständigen, trifft aber am Posten niemanden an. Geschockt geht Plank daher nach Hause und berichtet seiner Frau Selma das Geschehene. Als die vorgesehene Dienstzeit endet und Sax nicht nachhause kommt, taucht dessen Ehefrau bei den Planks auf, um ihn zu suchen. Unter Tränen berichtet ihr Johann Plank vom Tod ihres Gatten. Die geschockte Frau erhebt lauthals einen schweren Vorwurf, der Plank noch lange verfolgen wird:

„Sie sind der Mörder!“

Die Ehefrau des Opfers

Anklage und Urteil

Plank ist durch Tod des Kollegen und die Beschuldigung durch dessen Frau erschüttert und wendet sich, um jedem weiteren Verdacht zuvorzukommen, an die erste staatliche Stelle, die er in der Nacht erreichen kann: den Ortsvorsteher. Ihm händigt er auch seine Dienstwaffe aus. Um acht Uhr in der Früh wird Johann Plank schließlich von der Gendarmerie verhaftet. Der wahre Täter ist da schon längst wieder in Vorarlberg.

Außer Plank ist niemand greifbar, der zum Tatzeitpunkt vor Ort gewesen wäre. Der gesamte Tathergang beruht auf seinen Schilderungen – und sein Verhältnis zum Getöteten war nicht zum Besten bestellt. Offenbar gerieten die beiden immer wieder aneinander. Er sei mit Sax „nicht gerade befreundet“ gewesen, gibt Plank zu. Er gilt als aufbrausend. Bei seiner Einvernahme verstrickt sich der junge Zollbeamte angeblich in Widersprüche und wird in Haft behalten.

Plank wird sogar gezwungen, der Obduktion seines toten Kollegen beizuwohnen. Sax ist von zwei Kugeln verwundet worden, eine davon hat Herz und Lunge durchbohrt. Er habe dabei „der Anwesenden unverhüllte Verachtung über mich ergehen lassen“ müssen, erklärt Plank später.

„Was ich da in mir gefühlt habe, läßt sich nicht beschreiben, es war einfach zum Verzweifeln.“

Johann Plank, Verdächtiger

Das Ereignis traumatisiert den Verdächtigen. Zwei Ärzte untersuchen ihn und sagen später vor Gericht aus, Plank habe ihnen gegenüber versucht eine Geisteskrankheit vorzutäuschen. Die Ermittlungen erhalten eine zunehmende Eigendynamik. Vom Untersuchungsrichter abwärts sind alle von Planks Schuld überzeugt. Die Staatsanwaltschaft in Kempten erhebt schließlich gegen ihn Anklage wegen Mordes an Franz Sax. Mangels unmittelbarere Beweise werden Indizien gesucht. Im Prozess sagen etwa 40 Zeugen aus. Alle, außer Planks Frau, belasten dabei den Angeklagten.

„Meine früheren mehrmaligen Auseinandersetzungen mit dem Ermordeten wurden mir zum Strick.“

Johann Plank, Angeklagter

Der Staatsanwalt erklärt, der Tatort sei für illegale Grenzübertritte völlig ungeeignet gewesen, weshalb eine Schussabgabe durch einen unbekannten Schmuggler auszuschließen sei. Sax sei aus nächster Nähe erschossen worden und Plank habe sich gegenüber den Anschuldigungen der Witwe nicht sofort verteidigt.

„Kain, wo ist dein Bruder Abel? Der liegt auf dem Niederstaufener Kirchhof! Das Kainsmal aber steht auf Ihrer Stirne, Plank!“

Der Staatsanwalt

Der Staatsanwaltschaft beantragt die Todesstrafe und den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, ein Strafausspruch der nach dem damaligen deutschen Strafrecht auf besonders verwerfliche Taten folgt. Das Volksgericht in Kempten spricht den Zöllner, der die Tat bis zuletzt unter Tränen bestreitet, am 17. Mai 1923 nicht wegen Mordes, aber wegen Totschlags schuldig und verurteilt in zu acht Jahren Zuchthaus.

Planks Verurteiltung ist den Vorarlberger Zeitungen 1923 nur eine Randnotiz wert. <span class="copyright">Anno/ÖNB</span>
Planks Verurteiltung ist den Vorarlberger Zeitungen 1923 nur eine Randnotiz wert. Anno/ÖNB

Unschuldig in Haft

Planks Frau Selma glaubt weiter an dessen Unschuld. Kurz nach seiner Verurteilung erhält sie einen anonymen Brief, der sie wieder Hoffnung schöpfen lässt. Der wahre Täter, so heißt es darin, sei der Lustenauer Leopold Knöpfler. Sie geht damit zur Staatsanwaltschaft, doch die hat bereits selbst Zuschriften dieser Art erhalten. Die österreichischen Behörden werden eingeschaltet.

Plank beschreibt später seinen Fall in einer Broschüre, die viele Zeitungen aufgreifen. <span class="copyright">Anno/ÖNB</span>
Plank beschreibt später seinen Fall in einer Broschüre, die viele Zeitungen aufgreifen. Anno/ÖNB

In Vorarlberg ermittelt nun die Gendarmerie gegen Knöpfler. Er wird am 27. Juni 1923 verhaftet und verhört. Seine Behauptung, zur Tatzeit gar keine Schusswaffe bessessen zu haben, kann sogar widerlegt werden. Knöpfler hat nachweislich versucht eine Flobertpistole in Buch zu verkaufen. Doch die Spur entpupt sich als Sackgasse: Der Zöllner Franz Sax wurde mit einem Kaliber von neun Millimetern getötet. Dazu passt die Dienstwaffe seines Kollegen Plank, aber nicht die Sechs-Millimater-Pistole Knöpflers. Alibi hat der Lustenauer keines, doch aus Mangel an Beweisen wird er am 10. Juli wieder freigelassen. Plank hingegen bleibt im Zuchthaus im bayerischen Donauwörth.

Die Wende

Zwei Jahre vergehen, bis ein weiterer anonymer Hinweis an die österreichischen Behörden die Wende des Falles bringt: „ Am 8. April 1925 erhielt die Staatsanwaltschaft Feldkirch auf vertraulichem Wege Bericht, daß der Bauer Josef Hinteregger, wohnhaft in Hohenweiler, den Knöpfler schwer belastende Angaben zu machen vermöchte“, berichtet später die Landes-Zeitung. Die Staatsanwaltschaft beauftragt die Bundesgendarmerie sofort mit neuerlichen Erhebungen. Deren kriminalpolizeiliche Stelle, die Gendarmerieausforschungsabteilung in Bregenz, rückt nach Hohenweiler aus und verhört den genannten Bauern. Dieser will zunächst keine Angaben in der Sache machen, erzählt nach langem Zureden der Beamten aber schließlich doch, was er weiß.

Leopold Knöpfler erschien demnach in der Tatnacht bei Josef Hinteregger und beichtete ihm und dessen Frau Margaretha sein Verbrechen:

„Ich habe ihn niedergeschossen.“

Leopold Knöpfler

Er habe einen Finanzer getroffen, der nun am Boden liege und tot sein könnte, so Knöpfler weiter. Daraufhin habe der Täter einen Rucksack mit Schmuggelware zurückgelassen und sei davongerannt. Er habe befürchtet, Knöpfler könnte ihm das Haus anzünden, wenn er ihn verrate, rechtfertigt Hinteregger vor der Gendarmerie sein langes Schweigen.

Verhaftung und Enthaftung

Knöpfler wird zur Fahndung ausgeschrieben. Bereits am 11. April 1925 nimmt ihn die Stadtpolizei Bregenz fest. Er leugnet anfangs die Tat, legt dann aber ein umfassendes Geständnis ab. Offenbar hat er Sax mit einer anderen Pistole als jener, die er später in Buch verkaufen wollte, erschossen. Der deutsche Zöllner hatte ihn in jener Februarnacht angehalten, als er Porzellangeschirr aus Bayern illegal nach Vorarlberg bringen wollte. Der Lustenauer Schmuggler bestätigt gegenüber den Behörden auch seine Tötungsabsicht.

Zwei Jahre nach der Tat wird Knöpfler verhaftet. <span class="copyright">Anno/önb</span>
Zwei Jahre nach der Tat wird Knöpfler verhaftet. Anno/önb

Die Tatwaffe tauschte Knöpfle später mit einem Lustenauer Handelsschüler gegen einen Plüschhut. Leopold Knöpfle, der bereits mit 14 Vollwaise geworden war und ein unstetes Leben führte, wird daraufhin in Feldkirch vor Gericht gestellt. Die Anklage lautet auf Totschlag. Das Geschworenengericht unter dem Vorsitz von Landesgerichtsvizepräsident Martin Hämmerle verurteilt ihn am 12. Juni 1925 zu fünf Jahren schwerem Kerker. Der Wahrspruch der Geschworenen fällt angesichts seines Geständnisses einstimmig aus. Jeweils am 17. Februar, dem Jahrestag der Tat, muss Knöpfler in Dunkelhaft.

Der fälschlich veruteilte Plank beschreibt seine Haftzeit als düster. <span class="copyright">Anno/ÖNB</span>
Der fälschlich veruteilte Plank beschreibt seine Haftzeit als düster. Anno/ÖNB

Johann Plank wird nach Knöpflers Verhaftung freigelassen. Er ist, wie er selbst schreibt, seelisch und körperlich krank. Man händigt ihm bei seiner Enthaftung lediglich acht Mark für seine Gefängnisarbeit aus. Das Geld reicht nicht einmal für die Heimfahrt. Von den deutschen Behörden zeigt er sich später bitter enttäuscht, die alleinige Verantwortung für seine Freilassung sieht er in Vorarlberg:

„Dank einer gewissenhaften Verfolgung durch die österreichischen Behörden wurde der tatsächliche Mörder, Leopold Knöpfler, der in der Mordnacht Waren über die Grenze schmuggelte und meinen Kollegen Sax erschossen hatte, ermittelt und überführt.“

Johann Plank

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