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“Seit Jahrzehnten ein massiver Braindrain”

30.01.2023 • 13:16 Uhr / 9 Minuten Lesezeit
Thomas Gabriel ist Unternehmer und Initiator von Startupland Vorarlberg. <span class="copyright">Hartinger</span>
Thomas Gabriel ist Unternehmer und Initiator von Startupland Vorarlberg. Hartinger

Unternehmer Thomas Gabriel über die Start-ups im Land und eine große Gefahr für den Wirtschaftsstandort.

Anfang der Woche hat die Wirtschaftskammer darüber informiert, dass die Zahl der Unternehmensgründungen in Vorarlberg nach wie vor auf einem hohen Niveau ist. Wie stellt sich die Situation im Bereich der Start-ups dar?
Thomas Gabriel:
In den vergangenen Jahren ist bei den Gründungen im Bereich der Start-ups in Vorarlberg eine Steigerung spürbar gewesen. Start-ups machen circa zwei Prozent bis drei der Gründerzahlen aus. Diese Entwicklung hat auch während der Pandemie nicht nachgelassen. Krisen machen etwas mit der einzelnen Person. Man fragt sich, wie man leben möchte, was man tun möchte und was einen beschäftigt. Wenn man die Finanzkrise 2008 betrachtet, dann sind damals Uber, Airbnb, Pinterest, WhatsApp oder Slack gestartet worden, aber erst Jahre danach sichtbar geworden. Ähnlich würde ich das jetzt in Vorarlberg einstufen. Es gab keinen Einbruch bei den Start-up-Gründungen, obwohl es nicht die einfachsten Voraussetzungen gab. Das betrifft aber die gesamte Wirtschaft.

Startupland Vorarlberg

Die Initiative Startupland Vorarlberg ist im Jahr 2018 von heimischen Start-ups sowie der Wirtschaftskammer gegründet worden. Seitdem fungiert die Organisation als Interessensvertretung der Szene. Einerseits werden die Start-ups auf unterschiedlichste Art unterstützt. Andererseits soll auch der Start-up-Spirit in die Gesellschaft getragen werden.

https://startupland.at/

Wie war die Zeit für die Initiative Startupland Vorarlberg? Schließlich wird sehr viel auf Vernetzung und auch Beratungsangebote sowie Informationsveranstaltungen gesetzt.
Gabriel:
Der Austausch ist für Neugründer immens wichtig. Schließlich ist alles neu für einen. Jene, welche recht frisch gegründet hatten, waren stark benachteiligt, da sie meist noch kein unternehmerisches Netzwerk aufgebaut hatten. Positiv kann man sagen, dass sie sich auf die Produktentwicklung konzentrieren mussten. Vieles hat sich aber auch auf das Digitale verlagert. Wir haben darauf geachtet, stärker Kanäle wie startupland.at oder Social Media zu nutzen, um den einzelnen Akteuren das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind. Die Postgarage war immer geöffnet, dennoch hat man eine gewisse Vorsicht gemerkt, wie das überall der Fall war. Gerade im vergangenen Jahr war aber wieder eine starke Nachfrage nach physischen Begegnungen und Gesprächen da.

Hilft der Start-up-Gedanke? Schließlich ist Flexibilität dabei ein wichtiger Baustein.
Gabriel:
Dem Individuum hilft das sicher. Wenn jemand den Schritt wagt, sich selbstständig zu machen – und speziell noch im Start-up-Umfeld –, dann hat die Person grundsätzlich die entsprechende Kraft und Energie. Die Aufgabe der Initiative Startupland ist es, dem Thema generell Gewicht zu geben, zu vernetzen und jedem das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein. Dabei helfen Veranstaltungen ungemein. Dazu kommt, dass wir mit den Startupland-Veranstaltungen eine breite Zielgruppe ansprechen wollen, und sich niemand „outen“ muss, dass er sich selbstständig machen will, wenn er hingeht. Es geht vielmehr darum, mit dem Mindset in Berührung zu kommen und das möglicherweise auch in den herkömmlichen Job mitzunehmen.

Informationsveranstaltungen sind ein wichtiger Teil des Angebots von Startupland Vorarlberg. <span class="copyright">sTARTUPLAND/nINA bRÖLL</span>
Informationsveranstaltungen sind ein wichtiger Teil des Angebots von Startupland Vorarlberg. sTARTUPLAND/nINA bRÖLL

Im Start-up-Barometer – der jährlichen Befragung der Szene – werden die Beratungs- und Vernetzungsangebote gelobt. Als herausfordernd wird aber die Finanzierung gesehen. Wie kann man Verbesserungen erzielen?
Gabriel:
Wichtig ist es, die Rahmenbedingungen für ein Start-up-Ökosystem zu schaffen. Als wir 2018 angefangen haben, war es deutlich schwieriger, Informationen über Förderungen zu bekommen. Da sind wir besser geworden. Im Barometer fällt auf, dass Vorarlberg ein gutes Land zum Gründen ist, aber nicht zum Wachsen. Am Wirtschaftsstandort Graz und Umgebung wird genau der gleiche Fragebogen verwendet, und beim Vergleich der Ergebnisse zeigt sich, dass wir im Bereich der Beratung, Vernetzung und Sichtbarmachung Spitze sind. Im Bereich der Finanzierung – speziell wenn es darum geht, nicht rein Eigenkapital-finanziert zu sein – sind wir nicht nur Mittelmaß, sondern richtig schwach. In Vorarlberg gibt es viel Geld und Know How, aber was es noch nicht gibt, sind professionelle Netzwerke für Business Angels. Vorarlberger Geld wird beispielsweise in Wien oder St. Gallen investiert und oft auch „anonymisiert“. Was wir in der Region noch nicht so sehr kennen, ist es, Kapital, aber auch Know How und das Netzwerk zur Verfügung zu stellen. Das ist ein großes Manko.

Was kann man dagegen tun?
Gabriel:
Wir müssen mit Startupland Vorarlberg dafür sensibilisieren, dass Business Angels sich diesbezüglich öffnen und die Dinge auch selbst in die Hand nehmen. Wir versuchen, dass die Austrian Business Angel Association einen eigenen Ableger in Vorarlberg startet. Denn sie kennen viele Akteure. Wobei wir sicher auch einen Standortnachteil haben, weil es in der angrenzenden Schweiz die Hochschule St. Gallen und die ETH Zürich gibt, wo sehr starke Netzwerke vorhanden sind.

Bei den Veranstaltungen kommen Experten, aber auch Start-up-Gründer zu Wort. <span class="copyright">Startupland/Nina Bröll</span>
Bei den Veranstaltungen kommen Experten, aber auch Start-up-Gründer zu Wort. Startupland/Nina Bröll

Fehlt die Verbindung zu den heimischen Unternehmen?
Gabriel:
Die Industrie hat sich über ihre neue Innovationsstrategie geöffnet. Es gibt eine Innovationsoffensive außerhalb der Unternehmen. Was jetzt wichtig ist, dass sich die Unternehmen auch selbst öffnen. Die jungen Menschen zieht es in die Städte, dorthin, wo es pulsiert. Unsere Industriebetriebe sind aber an der Peripherie und rundherum ist ein Zaun. Die Frage ist daher, wie wir einen Austausch zwischen diesen beiden Welten schaffen. Es braucht eine Kultur der Öffnung, die „Zäune“ müssen abgebaut werden. Hier gibt es noch viel Handlungsbedarf – in der Unternehmenskultur und sogar raumplanerisch. Schlussendlich wird es ohnehin zum Thema werden, wo die Menschen arbeiten möchten. Kommt der Berliner Informatiker her, um an der Peripherie zu arbeiten oder geht er lieber woanders hin?

Es fehlen die jungen “Rebellen” mit einem internationalen Mindset.

Thomas Gabriel, Unternehmer und Startupland-Initiator

Als große Herausforderung wird im jährlichen Start-up-Barometer von den Befragten auch immer der Fachkräftemangel genannt.
Gabriel:
Neben der Finanzierungsschwäche für Start-ups ist eine weitere gravierende Schwäche im Land, dass es zu wenige Talente gibt – egal welchen Alters. Und das ist hausgemacht. Wir haben eine Fachhochschule mit unter 2000 Studierenden, wobei circa die Hälfte berufsbegleitend studiert. Zugleich gibt es 5000 Vorarlberger, die außerhalb des Landes studieren und vielleicht mit Mitte 20 oder 30 zurückkommen, wenn sie hier eine Perspektive haben. Im Gegenzug haben wir aber nicht 5000 Studierende, die nach Vorarlberg kommen, sondern es sind nur ein paar wenige 100. Wir haben seit Jahrzehnten einen massiven Braindrain. Es fehlen die jungen „Rebellen“ mit einem internationalen Mindset. Das hat man bisher nicht auf dem Radar gehabt, und das Problem müssen wir lösen.

Wie?
Gabriel:
Es ist ein Thema, das ganz oben auf der Agenda des Landes stehen muss, und man muss aussprechen, dass man eine Lösung möchte. Dann stellt sich aber auch die Frage, warum jemand zum Studieren nach Vorarlberg kommen sollte. Da werden wir an einer Universität nicht vorbeikommen, wenn es um den Stellenwert des Landes geht.

Auch das Netzwerken kommt bei den Veranstaltungen von Startupland nicht zu kurz. <span class="copyright">Startupland/Nina Bröll</span>
Auch das Netzwerken kommt bei den Veranstaltungen von Startupland nicht zu kurz. Startupland/Nina Bröll

Welche Rolle spielt dabei das Umfeld mit den Universitäten im Bodenseeraum? Hilft beispielsweise die verstärkte Zusammenarbeit des Landes mit der Hochschule St. Gallen?
Gabriel:
Vorarlberg braucht eine Strategie, um aufzuzeigen, wieso es attraktiv ist, hier zu leben, hier zu studieren und hier zu arbeiten. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit braucht es immer. Nur muss man einen attraktiven Raum schaffen, wo die Menschen 24 Stunden pro Tag eine gute Zeit verbringen können – egal ob beim Lernen, auf dem Spielplatz oder im Café. Da muss man selbst die Verantwortung übernehmen und darf das nicht anderen Ländern überlassen. Die Wertschöpfung sollte gesamthaft in Vorarlberg stattfinden. Dafür müssen wir im Bereich der Bildung investieren, um später die Erfolge daraus ernten zu können.

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