Ein Knopf verriet den Serienräuber

Beim Überfall auf die Hörbranzer Post, wird eine junge Beamtin Opfer eines gewaltbereiten Täters.
Max Manahl ist ein Wiederholungstäter. Um an Geld zu kommen, überfällt er immer wieder Fuhrleute auf der Straße von Bregenz nach Langen mit einem Revolver. In der Umgebung von Bregenz bricht er außerdem mehrfach in Häuser und Geschäfte ein. Am 12. Februar 1927 betritt junge Mann schließlich das Postamt in Hörbranz, um sein letztes und brutalstes Verbrechen zu verüben. Ein Knopf, den er dabei verliert, wird ihm aber zum Verhängnis.
Immer wieder verschwindet Geld
Bevor Max Manahl zum Verbrecher wird, ist er ein Kind mit schwierigen Lebensumständen. Am 28. August 1902 geboren, stammt er aus einer Bludenzer Tischlerfamilie. Als sein Vater stirbt, wird der Zehnjährige zur Großmutter nach Schwaben geschickt, wo er zunächst als Hütebub und dann als Tischlerlehrling arbeiten muss. Er beginnt zu stehlen und wird entlassen. Aus demselben Grund verliert er im Laufe der Jahre immer wieder Stellen: Manahl kommt – Geld verschwindet – Manahl muss gehen. Nur ein Arbeitgeber wird später angeben, keine Probleme mit ihn gehabt zu haben.
Zu Beginn der 1920er zieht Max Manahl zurück zu seiner Mutter nach Bludenz. 1923 findet er dort Arbeit bei der staatlichen Post- und Telegraphenverwaltung. Gemeinsam mit anderen erhält er die Telegrafen- und Telefonleitungen. Doch die Probleme lassen nicht lange auf sich warten. Manahl wird ein Betrug zum Schaden des Arbeitgebers vorgeworfen. 1925 erfolgt daher die Strafversetzung von Bludenz nach Bregenz.
Ein Hang zum Theatralischen
Mit den 300 Schilling, die er im Monat verdient, kommt der junge Mann nicht aus. Deshalb beginnt er spätestens 1926 mit den Raubüberfällen, da ist er gerade einmal 24 Jahre alt. Nicht immer sind Manahls Taten von Erfolg gekrönt. Am 12. Oktober 1926 will er Anton Witzemann ausrauben, der mit einem Fuhrwerk bei Bregenz unterwegs ist. Manahl schlägt ihm mit einem aus Bleikabeln gebauten Knüppel mehrfach auf den Kopf. Witzemanns Schädel erweist sich aber als stabiler als gedacht. Manahl bekommt es mit der Angst zu tun und lässt vom Fuhrmann ab, der benommen seine Fahrt fortsetzt.
Am Lauteracher Bahnhof bricht der gescheiterte Straßenräuber am 24. Oktober in ein Magazin ein, stiehlt eine Kiste mit 9,5 Kilo Schokolade und legt anschließend zur Ablenkung Feuer. Daraufhin verständigt er selbst die Bahnbeamten. Während sie mit Löscharbeiten beschäftigt sind, versucht er die Bahnhofskassa zu entwenden, was ihm aber wegen der wachsahmen Eisenbahner nicht gelingt.

Sein Vorgehen ist reichlich theatralisch und wie auch später so häufig stümperhaft ausgeführt. Manahl habe sich in schlechter Gesellschaft bewegt, „las dazu häufig Schauderromane und besuchte auch häufig das Kino“, wird das „Vorarlberger Tagblatt“ später über ihn berichten. Aus den Romanen mag Manahl nicht nur die eine oder andere Tatplanung, sondern auch die übertrieben drohende Sprache übernommen haben, derer er sich bei seinen Taten immer wieder bedient.
Eine neue Waffe
Die ständigen Misserfolge machen sein Vorgehen brutaler. Nachdem er mit seinem Drahtknüppel nicht weit gekommen ist, verschafft sich Max Manahl eine Schusswaffe. Am 5. November überfällt er damit erneut ein Fuhrwerk. Auf dem Kutschbock sitzt der 63-jährige Georg Feßler, der Güter zwischen Bregenz und Langen transportiert. Dieser erklärt dem Straßenräuber, als Knecht nicht viel Geld zu haben. Doch Manahl lässt sich nicht abwimmeln.
In den Personsbeschreibungen des Räubers ist später von einem „kleinen, schwächlichen, jungen Burschen“ die Rede. Den kräftigen Fuhrwerkern ist er körperlich nicht gewachsen, dafür sitzt ihm der Revolver umso lockerer. Als Georg Feßler mit der Hand in der Hosentasche auf Max Manahl zugeht, schießt dieser. Doch Feßler setzt sich zur Wehr und schlägt mit der Kutscherpeitsche nach dem jungen Verbrecher. Manahl schießt erneut, bleibt aber auch diesmal glücklos. Umso mehr Glück hat Feßler: Er erhält nur einen Streifschuss, der seine Hose durchlöchert. Aufgeschreckt gehen die Pferde durch und beide Männer laufen dem Fuhrwerk nach. Schließlich gibt der Räuber auf – vorerst.
Keine fünf Minuten später passiert erneut ein Fuhrwerk die Stelle. Vom Straßenrand aus schreit Manahl, die Waffe in der erhobenen Hand, den Fuhrwerker Georg Sieber an:
„Geld oder Blut!“
Max Manahl
Doch Sieber will sich ebenso wenig ausrauben lassen, wie zuvor Feßler. Im Dunkeln sieht er auch die Waffe nicht und treibt die Pferde an. Manahl schießt. Wieder trifft er nicht, wieder ist es beim Raubversuch geblieben.

Die letzte Tat
Um endlich an Geld zu kommen, verlegt sich der Telegrafenarbeiter für einige Zeit aufs Einbrechen. Zehnmal dringt er erfolgreich in Wohn- und Geschäftsräume im Raum Bregenz ein und erbeutet dabei etwa 1000 Schilling, etwa 4000 Euro in heutigem Warenwert. Einige weitere Male bleibt er aber auch hier erfolglos und die erbeutete Summe wird nicht lange reichen, um seinen Lebensstil zu finanzieren.
Ein weiterer Raub soll Manahl wieder flüssig machen. Auch diesmal geht er alles andere als geschickt, aber umso brutaler vor. Zum Monatsbeginn liegen in den Postämtern, die auch Zahlstellen sind, meist erhebliche Geldsummen. Doch Manahl wählt für seine Tat den Vormittag des 12. Februar. Mit einem Lederrock bekleidet, maskiert und bewaffnet betritt er das Postamt in Hörbranz. Die diensthabende Beamtin Anna Mallaun ist erst 21 Jahre alt. Sie hält den Auftritt des schmächtigen Mannes zunächst für einen Faschingsscherz. Doch dann erkennt sie den Ernst der Lage. Der Mann setzt ihr seinen Revolver auf die Brust und schreit:
„Geld oder du bist hin!“
Max Manahl
Anna Mallaun schreit um Hilfe, doch Manahl schlägt ihr mit dem Revolver auf den Kopf, wirft sie zu Boden und kniet auf ihre Brust. Sie soll verraten, wo sich der Schlüssel zum Geldschrank befindet. Entgegen aller Vernunft gibt die junge Frau nicht nach, sie wird dem Räuber die Schlüssel zum Tresor nicht aushändigen. Mallauns Vater ist pensionierter Postler, für sie geht es wohl auch um das Familienansehen. Manahl, der bisher so oft und peinlich gescheitert ist, will sich diesmal nicht geschlagen geben. Vielleicht hat er die ihm überlegenen Fuhrwerker im Kopf, gegen die er keine Chance hatte, und zahlt nun alles der jungen Postbeamtin heim.

Sie solle still sein, sonst werde er sie umbringen, droht der Räuber und beginnt Anna Mallaun zu würgen. Als er kurz die Hände von ihrem Hals nimmt, schreit sie abermals um Hilfe. Da hört sie Gottfried Lehner, ein pensionierter Zöllner, der sich im Gemeindeamt befindet, wo auch die Post untergebracht ist. Als er Nachschau hält, lässt Manahl kurz von Mallaun ab und richtet die Waffe gegen ihn. Lehner flieht, um in der Bäckerei Willi gegenüber des Gemeindeamts Hilfe zu holen. Währenddessen schlägt der Täter erneut mit der Waffe auf sein Opfer ein und würgt es. Doch Anna Mallaun weigert sich beständig, ihm den Tresorschlüssel auszuhändigen. Manahl muss damit rechnen, dass Lehner bald mit Verstärkung zurückkehren wird und entscheidet sich wieder ohne Geld zu fliehen. Gerade als er das Gemeindeamt verlässt, kommen ihm der pensionierte Zöllner und der von ihm alarmierte Bäckermeister Willi entgegen. Sie lassen den Bewaffneten aber ziehen und laufen in die Post, um dem Opfer zu helfen. Anna Mallaun liegt verletzt und geschockt am Boden. Neben ihr liegt das Verhängnis des Max Manahl – ein Knopf seines Lederrocks.

Ein Knopf als Schlüssel
Nach dem versuchten Raubüberfall handelt die herbeigerufene Gendarmerie rasch. Die naheliegenden Grenzstationen werden verständigt, doch trotz intensiver Fahndung in Österreich und Deutschland kann der Täter zunächst entkommen. Das Ausforschungskommando der Gendarmerie, die damalige Kriminalpolizei, wird eingeschaltet.
Die Täterbeschreibung ist aufgrund der Maskierung zu dürftig, doch anhand des am Tatort verlorenen Knopfes gelingt es, Manahl auszuforschen – wie genau, darüber schweigen sich die Quellen aus. Naheliegend ist, dass Manahl sein Arbeitsgewand für den Überfall verwendet hat. Es mag sein, dass er den Lederrock als Schutzkleidung für das Verlegen der Telegrafen- und Telefonleitungen vom Arbeitgeber gestellt bekam, womöglich mit so unverwechselbaren Knöpfen, wie man sie heute noch auf staatlichen Uniformen findet. Eines ist jedenfalls klar: Der Knopf führt die Gendarmerie zum Kleidungsstück und dieses zum Täter. Zwei Tage nach dem Überfall klicken für ihn in Bregenz die Handschellen. In Manahls Wohnung werden der geladene Revolver und ein Lederrock sichergestellt, bei dem ein Knopf fehlt. Bei der Einvernahme durch die Gendarmerie legt er ein umfassendes Geständnis über seine Taten ab.
Der Prozess
Am 9. und 10. Juni 1927 findet in Feldkirch das geschworenengerichtliche Verfahren gegen Max Manahl statt. Um das Opfer zu schonen, wird der Angeklagte aus dem Saal geführt. Den Zeitungen fällt er „durch seine zur Schau gestellte Gleichgültigkeit auf.“ Sein Verteidiger hält ihn für psychisch krank, er leide unter „Paralyse“. Zwei Ärzte erklären Manahl jedoch nach Untersuchungen für voll zurechnungsfähig.
Historische Zeitungsberichte: Der Hörbranzer Posträuber vor Gericht (1. Prozesstag) und Der Hörbranzer Posträuber vor Gericht (2. Prozesstag)
Den Antrag des Verteidigers, ihn noch weiter untersuchen zu lassen, lehnt das Gericht daher ab. Wegen vier versuchter Raubüberfälle, einer Brandlegung und zehn Diebstählen wird Max Manahl zu zwölf Jahren schweren Kerkers verurteilt. Als Milderungsgründe berücksichtigt das Gericht „das Geständnis, die mangelhafte Jugenderziehung und die geistige Minderwertigkeit“ des Angeklagten. Das „Vorarlberger Tagblatt“, das später zum Zentralorgan der Nazis wird, fällt sein eigenes Urteil über den Täter: „Er ist wohl für eine längere Zeit unschädlich gemacht, ob er aber nach Verbüßung seiner Strafe noch ein brauchbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft werden wird, ist sehr zu bezweifeln.“
Der Epilog
Manahls Anwalt erhebt anschließend Nichtigkeitsbeschwerde. Das Landesgericht Feldkirch habe seine Anträge zu unrecht abgewiesen, argumentiert er. Damit gerät der Fall unerwartet in die größeren Zusammenhänge der österreichischen Geschichte, denn am 15. Juli 1927 stürmt eine aufgebrachte Menschenmenge den Justizpalast in Wien, Sitz des Obersten Gerichtshofes, der über Manahls Fall entscheiden soll. Die Demonstration richtet sich gegen den Freispruch für jene Heimwehrmitglieder, die in Schattendorf im Burgenland einen alten Mann und ein Kind erschossen haben. Der Justizpalast wird in Brand gesteckt, die Polizei eröffnet das Feuer auf die Menge. Fünf Polizisten und 84 Demonstranten kommen ums Leben. Die Ereignisse gelten als Menetekel für die politische Radikalisierung in der Ersten Republik und den Bürgerkrieg des Jahres 1934.
Beim Justizpalastbrand werden viele Akten ein Raub der Flammen, darunter auch jener des Max Manahl. Als die Richter am Obersten Gerichtshof über seinen Fall entscheiden sollen, können sie daher nicht beurteilen, warum das Landesgericht die Anträge des Verteidigers nicht zugelassen hat. Der zuständige Senat muss, was so gut wie nie vorkommt, seine Verhandlung vertagen. Ein Schreiben geht an das Landesgericht nach Feldkirch, mit dem Ersuchen, die Hintergründe aufzuklären. Schließlich nützt der verbrannte Akt Manahl nichts – der OGH bestätigt das Urteil aus Feldkirch. Der Posträuber muss für zwölf Jahre in Haft.
Anna Mallaun hingegen erhält Belobigungen von den Postverwaltungen in Innsbruck und Wien. Als Anerkennung für ihre Tapferkeit und die erlittenen Verletzungen bekommt sie außerdem 400 Schilling, zehn Prozent der Summe, die sie vor Max Manahl gerettet hat.
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