Anschober: “Wir alle haben Fehler gemacht”

Als Gesundheitsminister wurde Anschober über Nacht zum Pandemiemanager.
Wenn wir heute das Pandemie-Buch “Corona” von hinten lesen: Welche Kapitel würden Sie als damaliger Gesundheitsminister heute gerne umschreiben?
RUDOLF ANSCHOBER: Ich bin überzeugt, dass die Pandemie die größtmögliche Herausforderung für einen Minister war und wir alle von dieser Krise für die Zukunft lernen sollten – Stärken weiter stärken und Schwächen korrigieren. In der nachträglichen Bewertung stellt sich alles natürlich immer einfacher dar als mit dem damaligen Wissensstand.
Welche Fehler sind passiert?
Ein zentraler war, dass ganz Europa nicht auf die Pandemie vorbereitet war. Und das, obwohl seit 15 Jahren klar war, dass „big one“, die große Pandemie, immer wahrscheinlicher wird. Das hatte zur Folge, dass wir mitten in der Krise alles neu erfinden mussten. Außerdem war es ein großer Fehler, dass die Krise nach einer starken ersten Phase viel zu früh verparteipolitisiert wurde. Obwohl es zu Beginn gelungen ist, dass alle an einem Strang ziehen.
"Offen gesagt" von Hubert Patterer
Die Bedrohung durch das Corona-Virus führte auch uns als Zeitung an die Grenzen. Manches würden wir heute wohl anders bewerten. Versuch einer Selbstbefragung.
Bei der „Parteipolitisierung“ war die Regierung selbst federführend. Beispielsweise kam das Virus plötzlich „mit dem Auto“ (Zitat Bundeskanzler Sebastian Kurz). Warum?
Von mir werden Sie kein derartiges Zitat finden. Mir war klar, dass unsere große Chance die Einigkeit, die Solidarität in der Gesellschaft ist – und das muss die Politik vorleben. Das erste Jahr war die schwierigste Phase, wir hatten keine Impfung, keine Medikamente, wenig Wissen. Die zweite Welle hat sich aufgebaut und die Warnungen wurden nach der guten Bewältigung der ersten Welle als übertrieben empfunden. Und dann wurden Leugner und Verschwörungstheoretiker lauter. Zudem war es ein schwerer Fehler, dass es ab Ende 2020 nicht mehr gelungen ist, bundesweit einheitliche Maßnahmen zu beschließen.
Die Bundesländer begehrten auf, der berühmte „Fleckerlteppich“ war die Folge. Warum hat man das zugelassen?
Einige Landeshauptleute haben sich bei der Regierungsspitze mit ihrem Lobbying für Ausnahmen durchgesetzt.
Sie meinen für Skigebiete.
Dass Ihnen gerade das als Beispiel einfällt (lacht). Und wenn man mit einer Ausnahme beginnt, folgen Forderungen nach der nächsten. Am Ende hatten wir einen Schrebergarten an unterschiedlichen Maßnahmen. Wir hätten das durchhalten müssen.
Warum kam zu Pandemiebeginn die Entscheidung, das Erklären der Politik und nicht der Wissenschaft zu überlassen?
Ich halte es für richtig, dass jene, die die Entscheidung treffen, sie auch öffentlich verantworten. Wobei man sich künftig auch hier besser vorbereiten sollte. Krisenkommunikation ist schwierig und wird auch keinem Politiker in die Wiege gelegt.
Haben Sie ausreichend auf die Wissenschaft gehört?
Ich habe immer versucht, meine Vorgangsweise faktenbasiert zu wählen. Schwierig wurde es, wenn die Experten nicht einig waren. Am Ende muss der Politiker entscheiden. Wir sollten aufarbeiten, lernen und besser werden.
Welche Hausaufgaben müssen hier gemacht werden?
Da das Virus keine Grenzen kennt, wäre es effizienter, europaweit einheitlich vorzugehen. Dafür braucht es auch eine Zuständigkeit der EU bei grenzüberschreitenden Gesundheitskrisen auf Basis eines klar festgeschriebenen Leads der Weltgesundheitsorganisation. Präzise definieren müssten wir die Einrichtung von Krisenstäben und von Zuständigkeiten. Auch eine Bevorratung für Medikamente, Masken und Co. ist sinnvoll. Dringend notwendig ist auch, unsere große Schwachstelle Datenfluss im Gesundheitswesen zu reparieren.
Die hat sich nicht nur dort, sondern auch bei der Auszahlung der Corona-Hilfen gezeigt.
Richtig.
Hätte es unter einem Gesundheitsminister Anschober die Impfpflicht gegeben?
Die damalige Situation war zweifellos schwierig, 30 Prozent wollten sich nicht impfen lassen und wir haben so den notwendigen Impfschutz für die Gesellschaft nicht erreicht. Die Form von Beschluss und Absage war natürlich nicht hilfreich.
(Abgesagte) Impfpflicht und Maßnahmen wirken bis heute nach, was sich auch bei der Niederösterreich-Wahl gezeigt hat. Wie können die offenen Gräben zugeschüttet werden?
Mit Aufklärung, Information und Bildung. Wir haben einen Teil der Bevölkerung verloren. Fake News, Kontrollverlust und das verlorene Vertrauen haben dazu geführt, dass sich viele in alternative Welten zurückgezogen haben. Ich wünsche mir neue Modelle der Kommunikation, um in Gemeinden ins Gespräch zu kommen. Ich bin überzeugt, dass man so einige zurückholen kann. Und ja, wir alle in allen Regierungen der Welt haben Fehler gemacht. Diese gehören aufgearbeitet, um aus ihnen zu lernen.
Aus Sicht Ihres Nach-Nachfolgers Johannes Rauch waren einer dieser Fehler die Schulschließungen. Hat er recht?
Es ist einfach, Dinge im Nachhinein mit dem aktuellen Wissensstand zu bewerten. Bei den Schulen sollten wir nach vorne schauen, die schrittweise Einrichtung von Lüftungsanlagen und Luftmessungen machen auch jetzt Sinn. Und auch in zwei Jahren werden wir Dinge aufgrund neuer Erkenntnisse neu bewerten. Ich erwarte, dass Long Covid eine weitverbreitete chronische Erkrankung mit starken Spätfolgen werden wird. Darauf muss Österreich das Gesundheitssystem besser vorbereiten. Ich bin auch für eine Evaluierung des gesamten Pandemiemanagements.
In Form eines bereits geforderten U-Ausschusses?
Nein, es gab ja keine Korruption und es geht nicht um klassische parteipolitische Fragen, sondern um die weitere Verbesserung unserer Krisenarbeit. Dafür braucht es eine große Evaluierung auf wissenschaftlicher Ebene, in die das Parlament eingebunden werden soll. So kann man lernen.
Nehmen Sie aus der Pandemie auch etwas Positives mit?
Sie hat vor allem zu Beginn gezeigt, dass wir in Krisenzeiten zusammenrücken und mit Zusammenhalt große Maßnahmen gemeinsam und solidarisch umsetzen können. Das wird die Voraussetzung für Erfolge gegen die Klimakrise sein.
Auch die restliche Maskenpflicht fällt. Eine gute Idee?
Ich werde die Maske in sehr dicht gefüllten Innenräumen, etwa in den Öffis, weiter tragen. Denn sie war und ist das gelindeste Mittel. Aber schauen wir einmal, wie die Lage der Pandemie in einigen Monaten tatsächlich sein wird.
Vermissen Sie die Politik?
Ich bleibe ein politischer Mensch, die Leidenschaft und das Verantwortungsgefühl verschwinden ja nicht mit dem Ausscheiden aus der Regierung. Aber nach 18 Jahren Regierungsarbeit brauche ich die erste Reihe nicht mehr, ich habe meinen Beitrag geleistet.
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