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Im Schleuderkurs durch die Pandemie

05.02.2023 • 19:08 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Covid Teststation
Die Pandemie hat Schwächen im österreichischen System schonungslos offengelegt. Korrigiert sind viele davon bis heute nicht. (c) Markus Traussnig (Markus Traussnig)

Lahmer Föderalismus, veraltete Strukturen, Neigung zur Überinszenierung: Eine Analyse zum Maßnahmen-Abschied.

In § 4, 3. Satz wird nach dem Wort ,Masern’ die Wortfolge ,oder Infektion mit 2019-nCoV („2019 neuartiges Coronavirus“)’ eingefügt.“ Das war der gesamte Text der anfangs wenig beachteten Verordnung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), mit der Covid-19 zur meldepflichtigen Krankheit erklärt wurde. Ein Status, der in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren die umfangreichen Maßnahmen nach sich ziehen sollte, die nun, drei Jahre später, ein Ende finden sollen.

Anschober war damals, wie die ganze türkis-grüne Regierung, nicht einmal einen Monat im Amt. Sein Ministerium war zuvor von Brigitte Zarfl (Kabinett Bierlein), Walter Pöltner (Kurz-Übergang), Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) geführt worden. Zu sagen, es sei schlecht auf die Krisensituation vorbereitet gewesen, wäre untertrieben.

Der Rechnungshof, der das erste Jahr der Pandemiebewältigung analysiert hat, hält fest: „Der Bund hatte die im Pandemiefall notwendigen organisatorischen Strukturen und personellen Grundvoraussetzungen nicht sichergestellt.“ Bürokratendeutsch dafür, dass wesentliche Jobs zur Seuchenbekämpfung im Gesundheitsministerium schlicht über Jahre unbesetzt geblieben waren.

Eine Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit gab es Anfang 2020 ebenso wenig wie einen obersten Sanitätsrat, beides Schlüsselfunktionen im Kampf gegen neuartige Erkrankungen. Auch weiter unten in der Hierarchie fehlte Personal – das Ministerium wusste aber nicht, in welchem Ausmaß, denn wie viele Amtsärzte in den Bundesländern fehlten, wurde nur höchst unterschiedlich erfasst und weitergemeldet. (Nebenbei: Daten, die völlig unterschiedlich erfasst und gemeldet werden, sind bis heute ein Grundmotiv des Pandemiemanagements.)

Pandemieplan: In Ehren ergraut

In den rechtlichen Strukturen schaute es nicht viel besser aus. An sich sollte jeder Staat, so empfehlen das WHO und EU, einen Pandemieplan in der Schublade haben, den er jederzeit aktivieren kann. Obwohl das Bundesheer schon Jahre vor 2020 das Risiko einer weltweiten Pandemie in jährlichen Bedrohungsberichten als sehr hoch einstufte, war der österreichische Pandemieplan völlig veraltet: Er war 2006 das letzte Mal aktualisiert worden, einstweilen hatte die WHO ihre Empfehlungen mehrfach aktualisiert. Mitte 2019 wies ein interner Risikobericht im Gesundheitsministerium unter dem Titel „Mangelhaftes Krisenmanagement im Humanbereich“ darauf hin – interessiert hat das zu diesem Zeitpunkt niemanden.

Veraltet waren auch die rechtlichen Grundlagen: Das Epidemiegesetz stammt mit wenigen Überarbeitungen aus der Monarchie und damit aus einer überschaubareren Volkswirtschaft. Viele seiner Begriffe („Zusammenströmen größerer Menschenmassen“) passen nicht zu modernen Verwaltungsbegriffen, kaum jemand weiß, ob und wie es anzuwenden ist.

Föderales Durcheinander

Das gilt auch für die föderale Struktur Österreichs in der Krise – im Gesundheitsbereich gilt die „mittelbare Bundesverwaltung“, das heißt, dass der Gesundheitsminister die Landeshauptleute und diese wiederum die Bezirke zur Regelung einsetzt. Politik und Behörden sind mit der Situation völlig überfordert – so erfahren die Bezirksbehörden in Tirol aus einer Pressekonferenz des Bundeskanzlers, dass das Paznauntal (Ischgl) unter Quarantäne gestellt wird. Für das Chaos unter Gästen dort und deren Management gibt es keinen Plan. Das fängt sich zwar, je länger die Pandemie dauert – dafür entsteht ein Wildwuchs unterschiedlicher Gremien, Berater- und Expertenstäbe, mit dem auch die Verantwortung für das Pandemiemanagement verschwimmt.

„Lockdown by press conference“ ist überhaupt ein wiederkehrendes Motiv der Pandemie – und der Titel einer internationalen Forschungsarbeit von Juristen. Sie attestieren der türkis-grünen Regierung, in Lockdown-Ankündigungen regelmäßig übertrieben zu haben – etwa was die Ausnahmen angeht. „Es gibt nur drei Gründe, das Haus zu verlassen“ etwa, ein Stehsatz des damaligen Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP), war rechtlich nie korrekt, wurde aber von manchen Polizisten, die die Ausgangsregeln zu administrieren hatten, so gehandhabt.

Überhaupt altert auch die Ankündigungs- und Inszenierungspolitik der Regierung Kurz mit zunehmender Dauer der Pandemie. Die Corona-App (inklusive 300.000 Schlüsselanhänger-Sendern für Menschen ohne Smartphone), Impfungen (inklusive nie wirklich bestellten russischen Sputnik-Stoffes), einmalige Massentestungen, die Impf-Kooperation mit Israel usw: Die Liste der Ideen, die als „Gamechanger“ oder Ähnliches verkauft worden sind, war lang. Dass nichts davon neuerliche Lockdowns verhindert hat, wird seinen Teil zum Corona-Frust beigetragen haben.

Ebenfalls sein Scherflein beigetragen hat der kurze Horizont der österreichischen Corona-Politik: Nach dem ruhigen Sommer 2020 etwa sei man „blauäugig“ in den Herbst gegangen, kritisiert Komplexitätsforscher Peter Klimek. In der Begeisterung, alle Regeln wieder abzuschaffen, will die Regierung die Bürger nicht mit neuen Maßnahmen vergrämen, bis es zu spät ist.
Ein fataler Fehler – wie so viele im Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Pandemie.

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