Wie man mit Missbrauchstätern umgeht

Kindesmissbrauch ist durch den Fall Teichtmeister wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Neustart-Leiter Johannes Pircher-Sanou über die Täter und die Arbeit mit ihnen.
Am Mittwoch findet in Wien der Prozess gegen den Schauspieler Florian Teichtmeister statt. Er soll sich über einen längeren Zeitraum 58.000 Dateien mit Darstellungen von Kindesmissbrauch beschafft und gehortet haben. Laut seinem Anwalt ist er geständig. Dieser Fall war der Anlass dafür, dass der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen zuletzt wieder stark öffentlich diskutiert wurde. Die Regierung kündigte eine Verschärfung der Strafen für das Herstellen, Anbieten und Besitzen derartiger Missbrauchsdarstellungen an.
Verein Neustart
Der Verein Neustart in Bregenz arbeitet auch mit Missbrauchstätern. Ein Gespräch mit Leiter Johannes Pircher-Sanou.
Der Fall Teichtmeister hat unter anderem dazu geführt, dass der Missbrauch von Kindern wieder öffentlich thematisiert und diskutiert wird. Was bringt das?
Johannes Pircher-Sanou: Grundsätzlich ist es wichtig, dass solche Straftaten thematisiert und die Gesellschaft dadurch sensibilisiert wird. Die Frage ist, wie reagieren wir darauf? Oft sind die Debatten politisch geführt und sehr emotional. Da ist es wichtig, zu schauen, was hilft wirklich, um Kindesmissbrauch zu verhindern, und Maßnahmen zu setzen, die auch wirken.
Wie viele Missbrauchstäter betreut der Verein Neustart?
Aktuell haben wir 16 Klienten in Betreuung, die aufgrund eines oder mehrerer Delikte im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch verurteilt wurden – ausschließlich Männer. Die Straftaten reichen dabei von einer Verurteilung nach Paragraf 207a StGB (Beschaffung bzw. Besitz pornographischer Darstellungen Unmündiger, Anm.) in elf Fällen bis hin zu schwerem bzw. sexuellem Missbrauch von Unmündigen.
Was sind das für Menschen?
In diesem Zusammenhang ist vielleicht noch etwas bemerkenswert. 2021 hatten wir österreichweit 2147 Tatverdächtige, die pornografische Darstellungen von Minderjährigen besessen, betrachtet oder weitergeschickt haben sollen. Von denen waren 1073 selbst noch minderjährig.
Wie kommt es dazu?
Das hat damit zu tun, dass Kinder und Jugendliche etwa Apps wie Snapchat verwenden. Da verschickt man Bilder, auch mit pornografischem Inhalt. Meistens handelt es sich dabei um selbst produzierte Fotos oder Videos, die an Kolleginnen und Kollegen gesendet werden. Da ist das Bewusstsein gar nicht da, dass das eine Straftat ist bzw. negative Folgen für die dargestellte Person hat. Diese Kinder und Jugendlichen handeln auch aus ganz anderen Motiven als ein pädophiler erwachsener Sexualstraftäter.

Gibt es dazu Zahlen aus Vorarlberg?
2012 hatten wir im Land einen Tatverdächtigen unter 18 Jahren zum Paragraf 207a. 2021 waren es elf Kinder und 43 Jugendliche, insgesamt also 54 – knapp mehr als die damals 53 erwachsenen Tatverdächtigen.
Was kann man dagegen tun?
Da wäre es wichtig, sozialpädagogische Angebote für die Kinder und Jugendlichen zu schaffen. Man muss ihnen klarmachen, dass es sich um eine Straftat handelt, bei der es Opfer gibt. Auch die Medienkompetenz sollte geschult werden: Wie gehe ich mit diesen Apps, mit dem Internet um?
Zu den erwachsenen Straftätern. Um was für Personen handelt es sich dabei?
Unsere Klienten kommen aus allen Gesellschaftsschichten: vom gut situierten bürgerlichen Familienvater bis zum Arbeitslosengeldbezieher. Altersmäßig geht es bis zum Pensionisten.
Wie arbeiten sie mit Missbrauchstätern?
Wir arbeiten zunächst an der Tateinsicht. Der Täter sollte das Delikt eingestehen. Das ist ja oftmals sehr mit Scham besetzt. Dann versuchen wir, den Klienten dazu zu motivieren, etwas gegen diese psychosexuelle Störung zu tun.
Wie?
Es wird an einer Therapiemotivation gearbeitet und geschaut, dass er in niederschwellige Betreuungsangebote kommt, etwa in eine gesicherte Unterkunft oder ein Arbeitsprojekt. Als Bewährungshilfe haben wir auch als große Aufgabe die präventive Sozialkontrolle.
Was heißt das?
Wir schauen, dass er die Weisung einhält: Geht er zur Therapie, kommt er zu Gesprächen? Missbrauchstäter sind die am intensivsten betreuten Klienten. Meistens geht die Intensivbetreuung über zwei Jahre. Die Bewährungshilfe dauert mindestens drei Jahre. In einer ersten Phase klären wir auch ab, welche Risikofaktoren bei der Person vorliegen.
Was passiert da im Detail?
Es werden Akten studiert, wir lassen uns das Delikt vom Täter schildern, schauen uns an, wie sein Sexualverhalten ist, welche Opfer er sich ausgesucht hat. Das ist wichtig, um Hintergründe zu erfahren. Dann machen wir eine Einschätzung des Rückfallrisikos. Weiters ist es wichtig, mit dem Klienten das Delikt zu bearbeiten.

Wie erfolgt das?
Da wird eruiert, warum ist es zu der Straftat gekommen, was genau vorgefallen ist, wieso er sich entschieden hat, das Bildermaterial herunterzuladen oder sich an einem Kind oder Jugendlichen zu vergreifen. Welche Handlungsalternativen hätte es gegeben? Dann geht es darum, Opferempathie aufzubauen und rückfallspräventiv zu schauen: Was kann gemacht werden, um nicht mehr in die Situation zu kommen? Welche Handlungsalternativen gibt es, um niemandem zu schaden, wenn man merkt, dass man sich zu einem Kind oder Jugendlichen hingezogen fühlt?
Wie kann verhindert werden, dass ein Pädophiler die Grenze zwischen seinen Fantasien und einer Straftat überschreitet?
Ungefähr ein Viertel der erwachsenen Straftäter signalisiert, ein Therapieangebot in Anspruch zu nehmen. Denen ist bewusst, dass das nicht richtig ist, was sie tun, und sie Unterstützung brauchen. In Österreich gibt es dafür aber kein gutes präventives Angebot. Es gibt ganz wenige Stellen, an die man sich wenden kann, wenn man merkt, dass man sich zu Kindern und Jugendlichen hingezogen fühlt. Da müssten wir ansetzen. Wir bräuchten flächendeckend Beratungsstellen, bei denen man auch eine Therapie vermittelt bekommt, bei der geschaut wird, wie kann mit einer pädophilen Neigung umgegangen werden, ohne straffällig zu werden. In Deutschland gibt es das Projekt „Kein Täter werden“, bei dem sich Betroffene anonym an eine Beratungsstelle wenden können. Wenn wir verhindern können, dass jemand zum Täter wird, wäre das der allerbeste Opferschutz.
Wie hoch ist bei Kindesmissbrauch die Rückfallquote?
Ich habe keine genauen Zahlen, aber sie dürfte zwischen drei und vier Prozent liegen. In Vorarlberg sind in den letzten Jahren vier Personen innerhalb von vier Jahren nach einer Verurteilung nach dem Paragrafen 207a ein weiteres Mal verurteilt worden. Davon nur eine Person einschlägig im Sinne, dass wieder ein Sexualdelikt vorlag.
Der Fall Teichtmeister führte auch zu einer geplanten Straferhöhung für Herstellung, Angebot und Besitz von Missbrauchsdarstellungen. Wie sinnvoll ist das?
Eine Straferhöhung schreckt potenzielle Täter nicht ab. Wenn jemand ein Delikt begeht – das berichten uns auch unsere Klienten – ,denken sie nicht, „da kriege ich drei Jahre Haft“. Sie lassen sich auch von sechs Jahren nicht abhalten. Was sie laut unseren Erfahrungen und durch Studien belegt wirklich abschreckt, ist das Aufdeckungsrisiko. Eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine Straftat entdeckt wird, hat eine viel höhere präventive Wirkung. Da unterstützen wir das Vorhaben, verstärkt in Ermittlung und Aufklärung zu investieren. Das schreckt einen potenziellen Täter ab.
Zur Person
Johannes Pircher-Sanou
Geboren 1989 in Bregenz, aufgewachsen in Andelsbuch. HAK Bezau, Sozialarbeit an der FH Campus Wien. Masterstudium Kriminologie an der Uni Hamburg. Tätigkeiten in der Justizanstalt Wien-Simmering, der Justizanstalt Feldkirch, im LKH Rankweil und beim Vorarlberger Familienverband. Seit Juni 2022 Leiter von Neustart.
Lebt mit seiner Familie in Dornbirn.