Stadttunnel: Hier explodieren 400 Kilo Sprengstoff

Drohnenaufnahmen zeigen Sprengung von oben. Erschütterungen rufen allerdings auch Hausbesitzer auf den Plan. Einer hat bereits Klage eingereicht.
Beim Mammutprojekt Stadttunnel Feldkirch wird derzeit an zwei Fronten gearbeitet. Während die Tunnelbauer im Stadtteil Tisis den zweiten Erkundungsstollen in den Berg treiben, wird in der Felsenau jede Menge Felsgestein aus dem Weg geräumt, um Platz für eine Radunterführung und Straßenbrücke zu machen. Die NEUE am Sonntag hat sich die beiden Bauabschnitte angesehen.


Insgesamt 12.000 Kubikmeter Gestein müssen für den Straßenbereich vor dem Portal Felsenau in Feldkirch weichen. Am vergangenen Mittwoch fand eine der letzten Sprengungen für diesen Bauabschnitt statt. Als Sprengmeister Daniel Hagspiel von der Firma HTB Bau an diesem Nachmittag zum ersten Mal in sein Signalhorn bläst, herrscht dort, wo sonst unablässig Fahrzeuge vorbeidonnern, eine eigenartige Stille. Sämtliche Straßen in der Felsenau werden kurzzeitig gesperrt, selbst auf dem Spazierweg am gegenüberliegenden Hang darf sich jetzt niemand aufhalten.
Hier das Video von der Sprengung in der Felsenau:
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Nach zwei weiteren kurzen Stößen ins Horn dreht der Sprengmeister schließlich an der Kurbel der Zündmaschine. Wenige Sekunden später explodieren 400 Kilogramm Emulsionssprengstoff, die vorher in Form von langen Würsten in mehrere Bohrlöcher verteilt wurden. Weißer Rauch steigt auf, einzelne kleinere Steine fliegen durch die Luft. Der Großteil der Felsbrocken wird von den 1200 Kilogramm schweren Sprengschutzmatten zurückgehalten. „Das hat planmäßig funktioniert“, sagt Hagspiel bei der Begutachtung des Sprengfelds.

Den überwiegenden Teil des gesprengten Materials bereitet die Baufirma an Ort und Stelle auf. Verwendung findet es etwa für den Straßenunterbau, die größeren Felsbrocken hingegen werden für den Hochwasserschutz an der Ill verwendet.

In den nächsten Wochen beginnen in der Felsenau schon die Arbeiten für die Radunterführung und die Brücke. „Bis Anfang des nächsten Jahres werden wir damit fertig sein“, sagt Bauleiter Harald Marte vom Landesstraßenbauamt. In der zweiten Jahreshälfte 2024 soll dann mit dem Vortrieb des Haupttunnels begonnen werden. Das Ausbruchmaterial – man rechnet mit bis zu 1000 Tonnen pro Tag – wird dann über ein eingehaustes Förderband auf die andere Seite der Ill transportiert und auf der alten Westbahntrasse automatisch in Zugwaggons entladen.


Zahlen und Fakten
Die vier Tunneläste Felsenau, Tisis, Tosters und Altstadt sind insgesamt vier Kilometer lang. Kostenschätzung (Stand Mai 2022) : 303 Millionen Euro (Bandbreite 280 bis 320 Millionen Euro). Daran beteiligen sich das Land, die Stadt Feldkirch und Vorarlberger Energienetze GmbH zu unterschiedlichen Teilen. Laut UVP-Bescheid muss der Tunnel 2030 in Vollbetrieb gehen.

Ortswechsel nach Tisis, wo Anfang Dezember des vergangenen Jahres der zweite Erkundungsstollen angeschlagen wurde. Dieser soll zum einen Aufschlüsse über die Beschaffenheit des Gesteins geben, zum anderen später als Flucht- und Wartungsstollen dienen.

Die Tunnelbauer sind mittlerweile etwa 150 Meter in den Berg vorgedrungen, gut einen Kilometer haben sie noch vor sich. Die einzelnen Arbeitsschritte wiederholen sich dabei ständig. Zyklischer Vortrieb heißt das in der Fachsprache. „Als erstes werden Sprenglöcher gebohrt. Diese werden dann mit Sprengstoff geladen. Anschließend erfolgt die Sprengung. Nachdem das Ausbruchsmaterial abtransportiert wurde – diesen Vorgang nennt man Schuttern – erfolgt die Sicherung mittels Faserspritzbeton“, erklärt Projektleiter Bernhard Braza.
Hier ein Video vom Erkundungsstollen in Tisis:
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Gesprengt wird derzeit etwa vier Mal am Tag. Dabei arbeiten sich die Tunnelbauer jedes Mal zwischen einem und 1,30 Meter vor. „Die Ladungsstärke wird genau abgestimmt auf die Schwingungsempfindlichkeit der Häuser über uns und natürlich auf die geologischen Verhältnisse“, sagt Braza.

Am Eingang des Ingrid-Stollens, benannt nach der Ehefrau des Feldkircher Bürgermeisters, findet sich eine Statue der Heiligen Barbara. Sie ist die Schutzpatronin der Bergleute. Die Zeiten, als unter Tunnelbauern noch die düstere Formel „Ein Toter pro Kilometer“ galt, sind glücklicherweise vorbei. Gefährlich ist die Arbeit im engen Tunnel aber immer noch. Größere Verletzungen gab es in Feldkirch bislang nicht.

Auch vor Überraschungen wie Wassereinbrüchen blieb man bislang verschont. „Wir haben trockene Verhältnisse. Das Gestein ist gut. Derzeit befinden wir uns noch im Mergel, jetzt kommt dann bald der der härtere Kalkstein“, erklärt Braza.
Der 1200 Meter lange Stollen endet etwa unter dem Buddhistischen Kloster. Ganz in der Nähe wird sich später auch der bergmännisch hergestellte Kreisverkehr befinden, der alle vier Tunnelarme miteinander verbindet.

Chronologie Stadttunnel Feldkirch
1992 – 1998
Projekt Letzetunnel – als Südumfahrung von der Autobahn bis zum Grenzübergang Tisis – wird diskutiert, ausgearbeitet und vom BMVIT als Bestvariante bestätigt.
2005
Land Vorarlberg, Stadt Feldkirch und Marktgemeinde Frastanz entscheiden sich für ein konsensorientiertes Planungsverfahren.
2005 – 2008
„Verkehrsplanung Feldkirch Süd“ untersucht 15 Straßenoptionen unter neuen Rahmenbedingungen: Verländerung Bundesstraßen, neues UVP-Gesetz, Feldkirch wird IG-Luft Sanierungsgebiet
2009
„Stadttunnel Feldkirch“ (Variante 5.3) geht als Bestvariante hervor – Stadt Feldkirch, Gemeinde Frastanz und Land stimmen der Umsetzung zu
2013
Einreichung Umweltverträglichkeitserklärung (UVE)
2015
Positiver UVP-Bescheid 1. Instanz
2019
Bestätigung UVP-Bescheid durch 2. Instanz: Diese Bestätigung durch das Bundesverwaltungsgericht stellt eine “konsumierbare Baubewilligung” dar – Startschuss für den Stadttunnel
2020
Baubeginn – erste vorbereitende Baumaßnahmen: Steinsatz in der Ill und Weicheneinbau, Umlegung L191a Schulbrüderareal
Dez. 2020
Landesregierung gibt 23 Mio. Euro für weitere Teilbaulose frei
2021
Lärmschutzwand Fellengatter, temporäre Lärmschutzwand Duxgasse, Baubeginn Radwegbrücke Blödlebach, Anschlag Erkundungsstollen Altstadt
März 2022
Rückweisung des Revisionsantrages der Projektgegner und damit Abschluss des „außerordentlichen Rechtsweges“ vor den Höchstgerichten
2022
Landesregierung fasst Baubeschluss für Gesamtprojekt, Baubeginn Erkundungsstollen Tisis, Umbau L190 Felsenau
2. Jahreshälfte 2024
Baubeginn der Hauptarbeiten am Stadttunnel
2030
Fertigstellung und Inbetriebnahme des Stadttunnels Feldkirch

Risse wegen Sprengungen? Hauseigentümer Franz Solzesz klagte
Franz Soltesz wohnt ganz in der Nähe des Erkundungsstollens Altstadt und ist nicht gut auf das Stadttunnelprojekt zu sprechen. In seinem Haus in der Tschavollstraße sollen im Zuge der Sprengungen Schäden im Haus, an der Fassade sowie am Estrichboden der Garage entstanden sein. „Über vierzig Risse von verschiedener Größe sind es mittlerweile“, rechnet der Feldkircher vor. Nachdem er die Schäden entdeckt hatte, beschwerte er sich beim Land. Als Entschädigung sollen ihm 400 Euro angeboten worden sein. Er lehnte ab und reichte eine Klage ein.

Die Schäden an dem Haus und ein möglicher Zusammenhang mit den Sprengungen wurde bereits von einem Gutachter überprüft. Soltesz zweifelt jedoch an dessen Kompetenz. „Er hat behauptet, die Risse im Estrich wären auch ohne die Sprengungen entstanden, weil der Boden nicht schwimmend verlegt worden sei. Das stimmt aber nicht. Er liegt schwimmend auf.“
Nun sollen die Risse von einem weiteren Gutachter untersucht werden. Sorge bereiten Soltesz aber vor allem die noch bevorstehenden Sprengungen für den Haupttunnel. Denn dieser befinde sich vierzig Meter näher am Haus als der Erkundungsstollen. „Wer weiß, was dann passiert, fragt sich der pensionierte Lehrer.

Verärgert. Die Schäden an seinem Haus ärgern Soltesz sichtlich. Beinah mehr als die Risse stört ihn aber das Verhalten der Zuständigen beim Land. Diese würden ihn als „Vollidioten“ hinstellen und behaupten, dass die Risse nicht durch die Sprengungen entstanden sein können. Soltesz würde sich deshalb wünschen, dass auch andere Betroffene „sich nicht abfertigen lassen“, sondern ebenfalls Klage einreichen. Nur so könne man etwas bewirken.

Wie berichtet, hat das Landesstraßenbauamt vor Baubeginn eine umfangreiche Beweissicherung durch einen gerichtlich beeideten Sachverständigen durchführen lassen. Sämtliche Gebäude 100 Meter links und rechts der Tunneltrasse wurden bereits während des UVP-Verfahrens aufgenommen und nach Schwingungsempfindlichkeit eingeteilt. „Die vorgegeben Grenzwerte für Erschütterungen werden eingehaltem“, versichert Projektleiter Bernhard Braza.
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