„Ein Aufwachen aus einem Albtraum“

Vielfach ausgezeichneter Bischof Erwin Kräutler im Interview.
Erwin Kräutler war von 1981 bis zu seiner Emeritierung 2015 Bischof und Prälat von Xingu, der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens. Für seinen Einsatz für Minderheiten wurde der Vorarlberger, der neben der österreichischen auch die brasilianische Staatsbürgerschaft besitzt, vielfach ausgezeichnet. Kräutler ist mittlerweile seit über einem Jahr in Vorarlberg, nachdem er einige gesundheitliche Probleme hatte. Die NEUE am Sonntag traf ihn zu einem Gespräch in seinem Elternhaus in Koblach
Wie geht es Ihnen?
Erwin Kräutler: Besser. Es braucht aber noch einige Zeit, bis ich nach Brasilien zurückfliegen kann. Ich fühle mich noch nicht fit für den langen Flug. Ich möchte aber unbedingt wieder zurück. Ich bin seit 57 Jahren dort, das ist mein Leben. Ich bin zwar emeritierter Bischof, aber das heißt in Brasilien nicht viel. Man macht trotzdem weiter.
Brasilien ist also Heimat geworden?
Kräutler: Heimat, in dem Haus hier in Koblach bin ich auf die Welt gekommen. Meine Wurzeln sind hier, aber fast mein ganzes Leben habe ich in Brasilien verbracht. Ich bin dort, seit ich 26 Jahre alt war.
Stehen Sie in Brasilien immer noch unter Polizeischutz?
Kräutler: Ja, nach wie vor – seit dem 29. Juni 2006. Damals habe ich mich stark gegen das Belo-Monte-Kraftwerk und für die indigenen Völker eingesetzt. 2005 wurde Schwester Dorothy umgebracht, und seit damals vertrete ich die Meinung, dass das keine Einzeltat war, sondern dass eine Gruppe dahintersteckt. Damals habe ich auch Missbrauchsfälle angezeigt und in der Folge Morddrohungen bekommen.

Sie sind also in Brasilien immer noch in Lebensgefahr?
Kräutler: Ich weiß nicht, wie es heute ist. Ich wollte schon ein paar Mal auf den Schutz verzichten. Aber die zuständige Staatspolizei hat mich gebeten, ihn weiter zu akzeptieren, und ich habe mich daran gewöhnt.
Nach dem rechtsextremen Jair Bolsonaro wurde in Brasilien nun wieder Lula da Silva zum Präsidenten gewählt. Was bedeutet das für das Land?
Kräutler: Für das Land ist es ein Aufwachen aus einem Albtraum. Bolsonaro war eine Katastrophe für ganz Brasilien. Lula, den ich persönlich kenne, war zwei Mal Präsident. Er hat sich dafür eingesetzt, dass die Kluft zwischen den Armen und den Bessergestellten geringer wird. Amazonien hat er allerdings in seinen ersten beiden Präsidentschaftsperioden kein besonderes Augenmerk geschenkt. Aber jetzt ist auch der internationale Druck da.
Sie rechnen also damit, dass sich durch den Regierungswechsel etwas ändert, im Hinblick auf den Raubbau in Amazonien und die indigene Bevölkerung?
Kräutler: Ja. Besonders symbolträchtig ist da ja, dass Lula eine Indigene, Sônia Guajajara, die ich schon länger kenne, zur Ministerin für indigene Völker ernannt hat. Ich traue ihm schon eine Besserung zu.
Wobei das Wahlergebnis relativ knapp war. Wie groß ist die Spaltung in der Bevölkerung?
Kräutler: Die ist groß, aber die gibt es schon lange. Ich kann mir heute noch nicht vorstellen, wie ein Mann wie Bolsonaro Präsident werden konnte. Er ist gegen alle Minderheiten, gegen Frauen. Auf der anderen Seite ist er eingetreten für Gott und Vaterland. Da fragt man sich schon, wie das zusammengeht.
Der derzeitige Papst ist ein Lateinamerikaner. Wie zufrieden sind Sie mit seiner mittlerweile fast zehnjährigen Amtszeit?
Kräutler: Ich kenne ihn gut, weil ich ja bei der Bischofssynode zu Amazonien vor drei Jahren mitgearbeitet habe. Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, ich hätte mir ein bisschen mehr erwartet. Wir hatten im Vorfeld der Synode über 80.000 Wortmeldungen und damit auch Rückenwind vom Volk. Dafür ist zu wenig herausgekommen. In der katholischen Kirche gibt es heute eine Gruppe, die traditionalistisch im negativen Sinn und ziemlich lautstark ist. Gegen die anzukämpfen ist schwierig. Da tut sich auch der Papst schwer.
Was hätten Sie sich erwartet?
Kräutler: Ein Punkt wäre das Frauendiakonat. Zwei Drittel der kleinen kirchlichen Basisgemeinden in Brasilien werden von Frauen geleitet. Warum darf es kein permanentes Diakonat wie für Männer auch für Frauen geben? Dann gibt es verheiratete Männer, die sich für den Glauben, die Kirche einsetzen. Bei denen sagen selbst konservative Bischöfe, sie hätten absolut keine Hemmungen, diese Männer zu Priestern zu weihen. Da hätten wir uns für Amazonien erwartet, dass diesbezüglich eine Öffnung kommt. Ich bin nicht prinzipiell gegen den Zölibat. Aber es muss Ausnahmen geben, und das gibt es ja auch. Wenn etwa ein protestantischer verheirateter Pastor zur katholischen Kirche übertritt, dann kann er weitermachen.

Rechnen Sie damit, dass diesbezüglich in den nächsten Jahren etwas passiert?
Kräutler: Der Papst ist jetzt 86 Jahre alt, ein alter Mann. Ich trau’ mich nicht zu sagen, ob da noch was kommt als Folge der Synode. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, wie es so schön heißt, und Kardinal Schönborn hat gesagt, die Hoffnung stirbt überhaupt nicht.
Sie sind in den vergangenen Jahren mit einer Vielzahl an Preisen geehrt worden, darunter dem alternativen Nobelpreis. Wie hilfreich waren diese vielen Auszeichnungen für Ihre Arbeit?
Kräutler: Ich habe das nie als persönliche Preise für mich gesehen. Ich war nie alleine, ich habe mit so vielen Leuten zusammengearbeitet, und es war immer ein Teamwork. Als Bischof stehst du natürlich im Rampenlicht, aber ich habe alle Preise als Bestätigung für das, was wir getan haben und immer noch tun, gesehen. Für den Einsatz für Kinder, Frauen bzw. die Rechte der Indigenen.
Für die Sie seit Jahrzehnten kämpfen.
Kräutler: Als ich 1965 nach Brasilien gekommen bin – zwei Onkel von mir waren dort – habe ich gefragt, wie geht es den Kayapó, ein indigenes Volk im Amazonasgebiet. Da haben mir die Männer gesagt, interessier’ dich nicht für die Indios, die gibt es in 20 Jahren sowieso nicht mehr. Das war für mich die erste kalte Dusche im Tropengebiet. Ich habe gesagt, das darf nicht passieren, und das ist nicht passiert. Ich war 17 Jahre lang Vorsitzender der Bischöflichen Indigenen Kommission, und wir haben uns ganz besonders für die Rechte der Indigenen in der Verfassung bemüht, und das haben wir hinbekommen, gemeinsam mit den Indios. Deren Rechte stehen heute in der Verfassung, und deren Missachtung ist ein Verfassungsbruch.
Sie sind nun seit gut sieben Jahren „in Pension“, allerdings dennoch sehr aktiv. Wie schauen Ihre nächsten Pläne aus?
Kräutler: Ich hoffe, im März oder April wieder nach Brasilien zurückkehren zu können. Ich habe dort zwar einen Nachfolger, allerdings auch noch eine Funktion in der Bischofskonferenz. Emeritus habe ich nie so aufgefasst, dass ich mich jetzt in einen Sessel setze und den ganze Tag fernsehe. Das würde ich vermutlich nicht aushalten.
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