Gefrorene Tränen im Vodka

Im Theater Kosmos inszenierte Augustin Jagg Edward Albees großartiges Ehedrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Am Donnerstag wurde Premiere gefeiert.
Eh schon alkoholisiert nach der Party sind die Eheleute Martha und George wieder zuhause, aber an eine ruhige Nacht ist nicht zu denken. Denn ohne sein Wissen hat Martha ein junges Paar eingeladen. Der Geschichtsprofessor George hat keine andere Wahl, als sich dem Willen seiner Frau, der Tochter des Unipräsidenten, zu unterwerfen. Die Gäste treffen ein. Die Flaschen werden geleert und mit dem steigenden Alkoholpegel kommen auch die Wahrheiten der Beziehungen ans Licht.
Schonungslose Schlacht
Was sich anfangs lediglich als kleine Reiberei anbahnt, wird schnell zur schonungslosen Schlacht. George und Martha sind beide hitzig, angriffslustig und schlagfertig, und beide werden nicht müde, den anderen in ihren Beleidigungen noch zu übertrumpfen. Sie spielen mit den Lügen und Wahrheiten, holen verborgene Verletzlichkeiten an die Oberfläche und nutzen das jüngere Paar als Projektionsfläche für gegenseitige Demütigungen.
In den Ecken stehen die leeren Flaschen aufgetürmt. Eine rechteckige Fläche und ein großer Plüschkreis als Wohnzimmer schaffen Raum für Edward Albees Bühnenklassiker, in dem er 1962 der amerikanischen Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Es sind die Illusionen und Enttäuschungen der letzten 23 Jahre, die in einer einzigen Nacht unbewusst über Martha und George hereinbrechen und buchstäblich zu einem Kampf führen, der rücksichtsloser und direkter nicht sein könnte. Das junge Paar, Nick und Honey, wird zu Zuschauern davon, wie George und Martha gegenseitig das Schlechteste aus dem anderen herausholen. Vor ihren Augen eröffnet sich eine mögliche Zukunft, die auch ihnen blühen könnte – schneller als sie denken. Es wird getrunken und getanzt. Unangenehme Gespräche und zynische Gesellschaftsspiele werden begleitet von Wodka, Whisky und Eis.

In Anzügen zanken sich Biologe und Historiker und bringen die „wahren und anderen Gründe“ ihrer Ehen ans Licht. Die gereizte Stimmung schaukelt sich auf zu einer verfeindeten Nacht, die, je länger sie dauert, kein Entrinnen mehr zulässt. Zu tief sind sie bereits gesunken in ihrer Wortwahl wie in ihrer Würde. Zu tief sind sie im Sog der Empörung, der rasenden Wut und der Verdrossenheit über den anderen. Die Fassung haben sie längst verloren und die vereinzelten Versuche, die Haltung zurückzuerlangen, versinken im Treibsand der Verhöhnung. Nur die jahrelang antrainierten Gemeinsamkeiten halten sie noch zusammen, in der Krise auch das Schlimmste mit dem anderen zu überwinden.
Das Stück zeigt ein Paar, das einen Streit perfekt bis zum Ende ausschöpft und sich nicht entfremdet, sondern durch überwältigende Wortgefechte die Ehe radikal zerlegt.
Geplatzte Lebenslügen
Schockiert, fasziniert werden Nick und Honey mitgerissen in den Abgrund der Umgangsformen und in unüberlegte Handlungen und impulsive Erzählungen. Was eine betrunken alberne Honey witzig und aufregend findet, wird Nick bald zum Verhängnis. Honey stürzt sich in eine scheinbare Ausgelassenheit, während ihr Mann mit den Provokationen des älteren Professorenkollegen schlecht zurechtkommt und seine privaten Geschichten wie eine Mauer vor ihm ausbreitet. Wahrscheinlich würde kein Paar einen Besuch bei Martha und George unbeschadet überstehen.

Die intensive und lebendige Inszenierung von Augustin Jagg holt die ganze Intensität und die rohen Gefühle der Figuren auf die Bühne, wo die Schauspieler durchaus dem brillanten Text von Edward Albee gerecht werden und eindrücklich die komplexen und miteinander verflochtenen Figuren in den ehelichen Beziehungen verkörpern.
Hubert Dragaschnig führt als beherrschter Historiker und Provokateur durch den Abend, schwingt ruhig, aber bestimmt seine Monologe. Die Rolle des Versagers passiv annehmend, scheint er trotzdem alles und vor allem seine aufbrausende Frau Martha (Sabine Lorenz) mit psychischen Spielen im Griff zu haben. Lorenz bringt stark die schwankenden Gefühlslagen von Martha zum Ausdruck. Kolja Heiß gibt den schnöseligen und abgestumpften Nick, und Kaija Ledergerber überzeugt als fragile und unschuldige Honey.
Weitere Vorstellungen am 3., 4., 5., 8., 10., 11., 12., 17. und 18. März im Theater Kosmos, Bregenz. Infos und Tickets: https://theaterkosmos.at/