Ein Wald, der noch in 100 Jahren steht

Conrad Amber hat ein Projekt angestoßen, das es Bürgern ermöglicht, quadratmeterweise Naturwald in Niederösterreich für 100 Jahre unter Schutz zu stellen. Ob Vorarlberg dem Beispiel folgt?
Was kann man mit einem Euro heute noch machen? Die Kaffeekasse bei der Arbeit kurz klingeln lassen, nach dem Mittagessen ein flüchtiges Trinkgeld-Lächeln hervorrufen oder dafür sorgen, dass ein Quadratmeter Wald 100 Jahre lang unangetastet bleibt. „100 Jahre, das ist mein Leben bis zum Ende, das Leben meiner Kinder bis zum Ende und das Leben meiner Enkel wahrscheinlich bis zum Ende. Sich das vorzustellen ist Wahnsinn!“ Der Naturdenker und Vordenker Conrad Amber aus Dornbirn wirkt, als könne er es nicht glauben. Dabei war er selbst der Anfang von dem allem.
Am Anfang war die Idee
Er hat dem Chefredakteur der Fernsehzeitschrift Tele, Hans Metzger, etwas weit Wirksameres vorgeschlagen, als nur als Klimagesicht der Woche zur Verfügung zu stehen. Wäre es nicht möglich, irgendwo in Österreich einen naturnahen Wald finden, der langfristig unter Schutz gestellt werden könnte? Als Klimaflaggschiff und als Mit- und Nachmachanreiz? Jeder Österreicher sollte ein Stück aus einem sozusagen reservierten Bereich des Waldes in selbstgewählter Größe schützen können. Hans Metzger war begeistert, und so kam der Stein ins Rollen. Der hinter der Fernsehzeitschrift stehende Verein „Tele-Klimainitiative“ – eines der Mitglieder ist Russmedia – suchte und fand das Stift Altenburg in Niederösterreich. Ihm gehört ein bedeutendes Stück Wald entlang des ungebändigten Flusses Kamp. Im Stift stieß man auf offene Ohren. „Die Padres dort denken in längeren Zyklen, als wir das gewohnt sind. Ein Stück Wald für 100 Jahre unter Schutz stellen, das war für sie kein befremdlicher Gedanke“, sagt Amber.
Er sitzt an einem Tisch in seinem Arbeitszimmer in Dornbirn. Es ist ebenerdig gelegen und zum Garten ausgerichtet. Amber sitzt beinahe im Grünen, zumal ein Efeu von draußen zu ihm hineinwächst. Von hier kann er die vielen Vögel beobachten und seinem jungen Baum beim Wachsen zusehen. Der mächtige alte Baum, der zuvor an der Stelle stand, ist leider abgestorben. Aber das ist das Leben, bemerkt Amber. Und Bäume sind sein Leben. Er deutet auf einen Stapel rechts auf dem Schreibtisch, „meine Projekte dieses Jahr“, und nimmt die obersten Ordner herunter. Das Urwald-Projekt ist ihm ein besonderes Herzensanliegen. Er möchte, dass möglichst viele Menschen Flächen in dem naturbelassenen Waldstück sozusagen pachten.

„Wald versorgt uns nicht nur mit Sauerstoff und bindet CO2. Wald ist Erholungsraum für uns, versorgt uns mit Trinkwasser, ist Lebensraum für unzählige Arten.“
Conrad Amber, Naturdenker
Wald verjüngt sich
Dieses Stück Wald soll nicht nur seine vielen guten Wirkungen für uns Menschen entfalten. Es soll uns auch daran erinnern, dass wir ihn brauchen, den Wald. Er braucht uns umgekehrt nicht, davon ist Amber überzeugt: „Förster, die den Wald nutzen möchten, argumentieren, dass er gezielt verjüngt werden muss. Außerdem weisen sie auf natürliche Waldstörungen hin. Dass der Wald Schneebruch erleidet, Insekten ihn befallen oder Teile abbrennen. Aber auf lange Sicht gesehen ist ein naturbelassener Wald gesünder, weil sich Arten ansiedeln, die dauerhaft bestehen können. Der Wald verjüngt sich selbst, wir müssen ihm nur die Zeit dafür geben.“
Für Vorarlberg stellt Amber in Sachen schonende Waldwirtschaft nur regionenweise ein gutes Zeugnis aus. „Besonders im Oberland ist der Wald weitgehend in schlechtem Zustand. Und das, obwohl er zu der Natur gehört, mit der nicht zuletzt Touristen angezogen werden sollen.“
Flächen in Vorarlberg?
Letztendlich ist es Ambers Idee, dass auch andere Bundesländer und Waldbesitzer nachziehen und Bürgern schützbare Waldflächen zur Verfügung stellen – auch in Vorarlberg. Aber er hat eine starke Lobby gegen sich. Trotzdem lässt er sich von seiner tief empfundenen Verbundenheit zum Wald nicht abbringen. „Wald versorgt uns nicht nur mit Sauerstoff und bindet CO2. Wald ist Erholungsraum für uns, versorgt uns mit Trinkwasser, ist Lebensraum für unzählige Arten. Er ist unser angestammter Lebensraum. Auch wenn manche von uns vor zehn Jahren zuletzt im Wald waren. Dort können wir entschleunigen und ankommen.“ In einem nicht bewirtschafteten Wald kann sich die Artenvielfalt ganz anders entwickeln, sagt er. Die Biomasse ist eine größere, es kann viel mehr CO2 gebunden werden. „Das ist auch logisch, wenn man sich das mal bildlich vorstellt. In einem Wald mit Holzeinschlag werden die Bäume in einem noch jugendlichen Alter geerntet. Wenn diese in einem Jahr zwei Zentimeter an Umfang zulegen, ergibt das lange nicht die Biomasse, wie wenn ein viel dickerer Baum rundherum zwei Zentimeter wächst. Außerdem sind die Gene von alten Bäumen viel besser, sie geben ihre ganze Erfahrung weiter.“ Das könne in Zeiten von durch den Klimawandel rascheren Anpassungsdruck wichtig werden. Letztendlich gehe es aber um viel mehr: „Viele verwenden den Wald als Teil des Fitnessprogramms. Sie hetzen hindurch, ohne seine heilsame Langsamkeit und Stille in sich aufzunehmen. Dabei ist der Wald für unsere Selbstheilung und Regeneration essenziell. Regelmäßig im Wald zu sein ist die beste Möglichkeit, möglichst günstig möglichst alt zu werden.“
Aktiv werden
Amber schaut hinaus, aber er sieht nicht seinen alten Baumstumpf und den jungen Baum daneben. Er sieht etwas ganz anderes. „Die Ruhe, wenn im Winter Schnee liegt, das Knistern und Glitzern. Der Duft nach feuchtem Laub und Pilzen im Herbst. Das Konzert der heimgekehrten Vögel und die blühenden Sträucher im Frühling, und die Fülle des Lebens im Sommer – der Wald ist stets im Wandel. Früher hat sich unser Kreislauf dem der Jahreszeiten und des Waldes angepasst. Heute kann uns der Wald immer noch lehren wahrzunehmen, zu beobachten, Teil zu werden, Gast zu sein.“
Ein erklärtes Ziel des Spendenprojektes ist es, dass die waldschützenden Bürger „ihre“ Bäume besuchen dürfen. Am entsprechenden Konzept wird noch getüftelt. Amber erwähnt, dass die sauberste Atemluft nicht die entlegener Orte wie der Sahara oder des Nordpols ist, sondern, dass sie in unseren Wäldern zu finden ist. Er ist sich sicher: Wenn wir alle etwas für den Wald, die Natur, den Umweltschutz tun, dann ist die Krise, die wir momentan haben, bewältigbar. Wir müssen nur anfangen. Und warum nicht mit einem Stück Wald, das die nächsten 100 Jahre geschützt sein wird?
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