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Medienkünstler Peter Weibel 78-jährig gestorben

02.03.2023 • 16:28 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Peter Weibel starb im Alter von 78 Jahren
Peter Weibel starb im Alter von 78 Jahren (c) imago images/Arnulf Hettrich (Arnulf Hettrich via www.imago-images.de)

Der international renommierte österreichische Medienkünstler, Theoretiker, Kurator und Museumschef Peter Weibel ist tot.

Der international renommierte österreichische Medienkünstler, Theoretiker, Kurator und Museumschef Peter Weibel ist tot. Der langjährige Leiter des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) starb am Mittwoch im Alter von 78 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit, wie das ZKM am Donnerstag mitteilte.

Geboren wurde Weibel am 5. März 1944 als “Migrationsprodukt” in Odessa. “Dann flüchtete meine Mutter mit mir über Polen, Tschechien, den Schwarzwald nach Oberösterreich in ein US-Lager für ‘displaced persons'”, so Weibel in dem Interview. In Paris begann er Französisch und französische Literatur zu studieren, begann 1964 in Wien ein Medizinstudium und wechselte dann zu Mathematik und Logik. Eine Dissertation über mathematische Logik hat er zwar geschrieben, aber nie eingereicht.

War maßgeblich an Aktion “Kunst und Revolution” beteiligt

Von der visuellen Poesie, Textaktionen und Aktionstexten im Rahmen des Wiener Aktionismus der 60er-Jahre fand Weibel auf der Suche nach Erweiterungen des Materials, der Medien und Methoden der Kunstproduktion bald zur (konzeptuellen) Fotografie und zum Film, zum “erweiterten Kino” mit Aktionsfilmen, Filmaktionen, Film ohne Film, zu körperbezogenen Aktionen (etwa gemeinsam mit VALIE EXPORT). 1968 war er maßgeblich an der Organisation der skandalumwitterten Aktion “Kunst und Revolution” mit u. a. Günter Brus und Otto Mühl an der Uni Wien beteiligt.

Zehn Jahre später wandte er sich der Musik zu und gründete zusammen mit Loys Egg die Band Hotel Morphila Orchester. Früh befasste er sich mit den Fragen von Video- und Computerkunst und virtuellen Räumen. In seinem Werk verwendete Weibel ab 1966 bereits interaktive Praktiken und ab 1990 interaktive Computerinstallationen.

Von internationalen Kunstschulen begehrter Professor

Als kontroversieller Denker, der den Relativismus der Kunst zum Thema seines alle Medien einbeziehenden Werks gemacht hat und der, noch bevor die Postmoderne überhaupt aufgetaucht war, die verbindlichen Avantgarde-Theorien angekratzt hatte, wurde er bald zum gesuchten Lektor und Professor an internationalen Kunstschulen von Kassel bis Halifax. 1981-84 war er Gastprofessor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, 1984 bis 2011 an der Universität für angewandte Kunst Wien Professor für visuelle Mediengestaltung, später für Medientheorie. 1982 bis 1985 war er auch Professor für Fotografie an der Gesamthochschule Kassel. Von 1985 bis 1989 lehrte er auch an der State University of New York in Buffalo, von 1989 bis 1994 war er Direktor des Instituts für Neue Medien an der Städelschule in Frankfurt.

Seit 1988 künstlerischer Berater der Ars Electronica in Linz, war er von 1992 bis 1995 auch deren künstlerischer Leiter. Ab 1993 bis 1997 war Weibel auch künstlerischer Leiter der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz, wo er dann zum Chefkurator wurde. Zu den unzähligen Jobs, die Weibel in der Kunstszene bereits innegehabt hat, zählt auch der Posten des Kommissärs des Österreich-Beitrags bei der Biennale Venedig (1993 bis 1999).

1999 Leitung des ZKM

1999 übernahm Weibel schließlich die Leitung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe, dem weltgrößten Medienzentrum und für Weibel “das technisch avancierteste Museum der Welt”. Mit 1. April 2023 hätte offiziell der Wechsel mit seinem Nachfolger Alistair Hudson erfolgen sollen.

Urlaub und Freizeit waren für Weibel (“Kunst kennt kein Wochenende”) ebenso Fremdworte wie Ruhestand. “Die Arbeit liegt zu Hause herum und wird dann irgendwann im Nachlass erscheinen und wird die Leute verblüffen”, sagte Weibel einmal. “Bei mir ist ein Werk nie fertig. Ich bin berüchtigt dafür, dass ich nie Termine einhalten kann. Ich bin ein idealer Nachlasskünstler.” Erst kürzlich haben die Stadt Karlsruhe und das Land Baden-Württemberg Kunstwerke und Archivalien von Weibel für das ZKM angekauft, darunter große Teile seines Archivs. Weibel wollte Ende März wieder nach Wien zurückgehen. Geplant war unter anderem, dass er für seine 120.000 Bücher ein besonderes Bauwerk geplant hatte: eine bewohnbare Bibliothek.

“In Wien will ich zwei Container-Türme für meine Bücher bauen”, sagt Weibel noch Mitte Februar. Der Clou ist ein Aufzug in der Mitte. Der soll nicht zu einer Wohnung führen, sondern diese ersetzen. “Der Aufzug ist die Wohnung. Ich werde also in einem großen Lastenaufzug arbeiten, schreiben und schlafen”, freute sich Weibel.

Auch in Österreich präsent

Neben seiner höchst erfolgreichen Zeit in Karlsruhe war Weibel in den vergangenen Jahren auch hierzulande stets präsent – sei es als Kritiker, Förderer oder Ermöglicher. Im Herbst 2017 präsentierte er das “Peter-Weibel-Forschungsinstitut für digitale Medienkulturen” an der Universität für angewandte Kunst Wien. Die Einrichtung basiert auf einer 1.150 Exponate umfassenden Schenkung des Medienkünstlers. Anlässlich der Ausstellung “Ästhetik der Veränderung. 150 Jahre Universität für angewandte Kunst Wien” im MAK zeichnete er 2018 gemeinsam mit Angewandte-Rektor Gerald Bast für den Zukunftsblick der Schau verantwortlich. “Man kann die Zukunft gut voraussagen, wenn man sie selber macht”, gab er sich damals gewohnt humorvoll.

Kritisiert für Offenen Brief an Scholz

Mit durchaus scharfer Kritik sah sich Weibel konfrontiert, nachdem er im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine als Initiator eines umstrittenen Offenen Briefs aufgetreten war. Er forderte im Kern den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz auf, sich für einen baldigen Waffenstillstand in der Ukraine einzusetzen, und verurteilte deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Zudem wurde darin vor einem möglichen Atomkrieg mit Russland gewarnt.

Mit zahlreichen Preisen gewürdigt

Weibels Schaffen wurde oft gewürdigt: So wurde dem Oskar-Kokoschka-Preisträger etwa der Lovis-Corinth-Preis des Jahres 2020 zugesprochen, für 2017 erhielt er den Österreichischen Kunstpreis. Das deutsche Magazin “Cicero” führte ihn kurz vor seinem 75. Geburtstag im Jahr 2019 auf seiner Liste der wichtigsten Intellektuellen des deutschen Sprachraums auf Platz 75. Zum Jubiläum widmete ihm auch sein ZKM die große Ausstellung “respektive Peter Weibel”.

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