Meine Tochter will Ausgang. Sicher nicht!

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Es ist nicht allzu lange her, dass meine Töchter zum Einschlafen ein kleines – von mir etwas falsch gesungenes, aber dafür mit einer extra Portion Liebe gewürztes – Liedchen brauchten oder eine Gutenachtgeschichte. Aber egal, was es war, das Einschlafritual hatte vor allem eines zum Ziel: Um 19:30 Uhr war spätestens Bettruhe. Heute trällert mir meine Tochter mit einem zum Ja-Sagen verführenden Augenaufschlag zu: „Mama, kann ich einmal bis 4 Uhr früh in eine Disko?“ Wie kurz vor dem Tod läuft innert Sekunden ein ganzer Teenie-Film vor meinem inneren Auge ab. Mit dem Hormon des Heranwachsens durchflutete junge Menschen mit wenig bis zero Vernunftbegabtheit im Rausch der Nacht. Alkohol im Überfluss, Zugang zu anderen bewusstseinsbenebelnden Substanzen, solchen, die die sowieso schon nicht vorhandene Urteilskraft in den Minusbereich abdriften lassen. Dann sind da womöglich auch noch junge Männer im Umfeld, und aus einer Nacht in der Disko wird schlimmstenfalls eine Dauergroßmutterschaft mit Erziehungsberechtigung.
„Nein!“, höre ich mich mit fester Stimme sagen, während ich mir gleichzeitig das Anmeldeformular für die Klosterschule dringend herbeiwünsche. Meine Tochter schaut mich verständnislos an. „Aber warum nicht?“ Ihre blauen Kulleraugen schwappen vor Trotz gleich über. „Weil, ja weil … weil du mit fünfzehn einfach noch nicht so lange hinaus darfst. So einfach ist das. Ich würde ja … Aber Gesetz ist Gesetz.“ Ich glaube, ich war noch nie so dankbar über rechtliche Ausformulierungen wie in diesem Moment. „Aber das merkt doch keiner!“ – „Das ist mir egal. Wenn du eine Bank überfällst und keiner merkt es, ist es dennoch nicht legal.“ Ich weiß in dem Moment, als ich es ausspreche, dass dieses Beispiel nicht das Beste war. „Aber dafür cool!“, meint meine Tochter nur trocken und verschwindet eingeschnappt im Zimmer. Durch die geschlossene Türe ruft sie mir noch ein: „Du vertraust mir nicht!“ entgegen. Ich würde jetzt gerne ein falsches Gutenachtlied trällern.
Mich mit Ausgehgedanken meiner Tochter auseinanderzusetzen, dazu bin ich noch nicht bereit. Ich weiß nämlich, wie ich in diesem Alter unterwegs war! „Außerdem bin ich nicht wie du!“, höre ich es aus dem Zimmer der Tochter in meine Richtung tönen. Ich nicke zustimmend. Da hat sie wirklich recht. „Noch ein Jahr, Mädel, dann geht das alles. Lass dir Zeit, du versäumst nichts! Und du weißt: Jugendschutzgesetz!“ Ich bin mir sicher, sie wird einen Weg finden, mich auszutricksen. Das gehört zum Erwachsenwerden dazu. Aber: Ich werde es ihr so schwer wie möglich machen. Auch das gehört zum Erwachsenwerden dazu.
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter in Hohenems.
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