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“Kann es mir nicht leisten, mich so zu verrechnen“

15.04.2023 • 22:30 Uhr / 10 Minuten Lesezeit
Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink sprach über die Kinderbetreuung. <span class="copyright">Archiv/Steurer</span>
Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink sprach über die Kinderbetreuung. Archiv/Steurer

Landesstatthalterin und Neos-Familiensprecher lieferten sich im Landtag Schlagabtausch über Kostenschätzung zu Kinderbetreuung.

Ich bin in der Regierungsverantwortung. Ich kann es mir nicht leisten, mich so zu verrechnen, wie Sie es tun“, ließ Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink (ÖVP) Neos-Familiensprecher Johannes Gasser in der Landtagssitzung wissen. Auslöser dafür war die Debatte um eine kostenfreie Kinderbetreuung in Vorarlberg und Aussagen des Neos-Abgeordneten bezüglich der möglichen daraus entstehenden Kosten für die öffentliche Hand. Diese wollten die Pinken in einer Anfrage an die für die Kinderbetreuung zuständige Landesstatthalterin erfahren.

Neos-Familiensprecher Johannes Gasser hält die Schätzungen des Landes für übertrieben. <span class="copyright">Hartinger</span>
Neos-Familiensprecher Johannes Gasser hält die Schätzungen des Landes für übertrieben. Hartinger

Mit der Antwort zeigte sich Gasser in der Sitzung jedoch nicht zufrieden. Es dränge sich der Verdacht auf, dass „mit Fantasiezahlen“ bewusst der Teufel an die Wand gemalt werde. Seiner eigenen Schätzung zufolge müsse mit einem zusätzlichen Aufwand von etwa 18 Millionen Euro im Jahr für das Land gerechnet werden.

Rund 320 neue Gruppen

In der Anfragebeantwortung durch die Landesrätin sind deutlich höhere Zahlen zu lesen. Alleine durch den Wegfall der Elternbeiträge müsse das Land einer Modellrechnung zufolge jährlich rund 27,5 Millionen Euro zusätzlich aufwenden. Werde den Eltern ein symbolischer Beitrag von 20 Euro pro Kind und Monat verrechnet, verringere sich diese Zahl um etwa 3,5 Millionen Euro. Dazu müsse jedoch auch berücksichtigt werden, dass mit steigender Nachfrage auch ein zusätzlicher Personal- und Infrastrukturbedarf einher gehe. Rund 320 neue Gruppen wären gemäß der Modellrechnung notwendig. Auf das Land und die Träger der Einrichtungen kämen damit knapp 40 Millionen Euro an Mehrkosten für das Personal zu. Dazu kämen noch einmalig 64 Millionen Euro für die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur.

landtags-Splitter

Blick zurück. Die Gemeinde Langen bei Bregenz war auch Thema in der Landtagssitzung. Ein Bericht des Landes-Rechnungshofs über Bauvorhaben in der Kommune stand dabei zur Debatte. Aus diesem Anlass gab es vom Grünen-Abgeordneten Christoph Metzler auch einen Einblick in dessen berufliche Laufbahn. Er kenne den Vorgänger und den Vorvorgänger des jetzigen Bürgermeisters: „Denn ich hatte in Langen die Ehre, als Polier die Kläranlage zu bauen – vor mittlerweile über 30 Jahren.“

Nicht einfach. Keine Freude hatte Fraxerns Bürgermeister Steve Mayr (ÖVP) mit einer Aussage von Christoph Metzler (Grüne). Dieser meinte, dass es mit der politischen Vielfalt in Langen wohl nicht so weit her sei, weil es dort bei der letzten Gemeindewahl nur eine Einheitsliste gegeben habe. Dies wollte Mayr nicht so stehen lassen. Auch Einheitslisten könnten sehr kritisch bei der Bewertung der Arbeit des Ortschefs sein, sagte er. Man könne nicht automatisch davon ausgehen, dass Einheitslisten automatisch „Bürgermeister-Fanclubs“ seien. Ob der Fraxner aus eigener Erfahrung spricht, blieb unklar. Zwar traten bei der letzten Wahl zwei Listen an, in die Gemeindevertretung schaffte es nur jene von Mayr.

Entschuldigt. Nicht an der Landtagssitzung teilgenommen hat dieses Mal Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). Er fehlte allerdings entschuldigt, denn er weilte in Wien für die Finanzausgleichsverhandlungen mit dem Bund.

Zweifel äußerte Gasser an den Betreuungsquoten, welche als Grundlage für die Modellrechnung gedient haben. Diese seien „illusorisch“ und würden nicht einmal von Spitzenreitern wie Dänemark erreicht. Der Neos-Abgeordnete nannte dabei die Gruppe der Unter-Einjährigen. In der Anfragebeantwortung wird angenommen, dass 30 Prozent aller Kinder in dieser Altersgruppe durchschnittlich 25 Stunden pro Woche betreut werden, wodurch Kosten in Höhe von rund vier Millionen Euro pro Jahr entstünden. Die angenommene Betreuungsquote sei deutlich zu hoch, meint Gasser.

Deutlich höhere Zahlen

Ein Blick auf die Zahlen aus der aktuellsten Kindertagesheimstatistik des Landes aus dem Mai 2022 scheint dem Neos-Abgeordneten zumindest in diesem Fall Recht zu geben. Denn zum Stichtag 1. September 2021 lag die Betreuungsquote bei den Unter-Einjährigen der Statistik zufolge bei 2,4 Prozent. In absoluten Zahlen waren es 108 Mädchen und Buben, welche ein Betreuungsangebot in Anspruch genommen haben. In der Modellrechnung aus der Anfrage wird hier dagegen ein Wert von 1307 betreuten Kindern angenommen. Eine Steigerung um das Zwölffache scheint durchaus hoch gegriffen zu sein. In den anderen Altersgruppen scheinen die Annahmen bezüglich der Betreuungsquoten im Vergleich zu den Zahlen aus dem September 2021 jedoch durchaus plausibel zu sein.

Nach einer Stunde war alles gesagt

Gleich mehrere Tagesordnungspunkte waren bei der Landtagssitzung der Kinderbetreuung und auch der möglichen Kostenfreiheit gewidmet. Die Diskussion über das Thema beschränkte sich jedoch auf die Besprechung der als dringlich namhaft gemachten Anfrage der Neos, in der es vor allem um die soziale Staffelung der Tarife ging. Eine Stunde lang hatten die Abgeordneten und die zuständige Landesstatthalterin am Vormittag Zeit, um ihre Standpunkte auszutauschen. Danach war scheinbar alles gesagt. Denn bei der Debatte über Anträge von Neos und SPÖ sowie eine schwarz-grüne Ausschussvorlage am Ende des Sitzungstages gab es keine Wortmeldungen mehr.

Sowohl die Neos als auch die Sozialdemokraten hatten sich für kostenfreie Kinderbetreuung stark gemacht. Zusätzlich stand auch noch ein SPÖ-Antrag zur Debatte, in dem ein „kostenfreies und qualitatives Mittagessen für Kinder in allen Betreuungseinrichtungen“ gefordert wurde. Alle drei Anträge fanden keine Mehrheit. Die Ausschussvorlage wurde angenommen. Darin heißt es, dass die soziale Staffelung der Tarife regelmäßig adaptiert werden soll, um Kinderbetreuung leistbar zu halten. Ebenso soll am Ziel gearbeitet werden, dass in allen Kinder- und Schulkindbetreuungen ein hochwertiges Mittagessen um drei Euro angeboten wird.

Die Kosten für das Land dürften aus Sicht von Gasser jedoch ohnehin kein Grund sein, um keine Gratis-Kinderbetreuung anzubieten. Es gebe schließlich finanzielle Mittel, welche man für Zukunftsinvestitionen in den chancenreichsten Lebensraum für Kinder nutzen könne. Er nannte beispielsweise die Zahlungen für Illwerke-Heimfallsrechte, die laut Landtagsbeschluss für derartige Projekte genutzt werden sollen. Eine Umsetzung der kostenfreien Kinderbetreuung sei auch „eine Frage der politischen Prioritätensetzung“.

Anfang der Woche haben die Neos eine Petition für Gratis-Kinderbetreuung im Landtag eingereicht. <span class="copyright">Hartinger</span>
Anfang der Woche haben die Neos eine Petition für Gratis-Kinderbetreuung im Landtag eingereicht. Hartinger

Landesstatthalterin Schöbi-Fink zeigte Verständnis für die Forderung nach Gratis-Betreuung. Man müsse aber in der Debatte ehrlich sein – auch der Öffentlichkeit gegenüber, sagte sie in Richtung der Neos und auch der FPÖ und SPÖ, welche ebenfalls für kostenfreie Kinderbetreuung eintreten. Man könne nicht Dinge versprechen, welche in der jetzigen Situation nicht umsetzbar seien. Die Gemeinden seien ohnehin jetzt schon gefordert, das Angebot mit Unterstützung des Landes auszubauen und dabei die Qualität sicherzustellen.

Nur scheinbar gratis

Schöbi-Fink wollte zudem „zwei Legenden entzaubern“, welche es rund um die Kinderbetreuung gebe. Einerseits stimme es nicht, dass diese in Vorarlberg extrem teuer sei. Andererseits müsse man auch die oft als Vorbild genannten Gratis-Angebote in anderen Bundesländern wie Salzburg oder Wien genau anschauen. Denn diese seien in den seltensten Fällen tatsächlich gratis. Für ein dreijähriges Kind koste in Vorarlberg die Betreuung für 40 Stunden pro Woche unter 90 Euro im Monat, rechnete die Landesstatthalterin in einem Beispiel vor. Für 45 Stunden pro Woche liege der Preis immer noch unter 100 Euro. Im Vergleich dazu sei in Salzburg der Vormittag zwar gratis, aber dennoch müssten Eltern für die ganztägige Betreuung des dreijährigen Kindes immer noch bis zu 260 Euro bezahlen.

Bei genauerem Hinsehen sei auch in der Bundeshauptstadt Wien die Kinderbetreuung nichtwirklich gratis, gibt die Landesstatthalterin zu bedenken.<span class="copyright"> APA/ROLAND SCHLAGER</span>
Bei genauerem Hinsehen sei auch in der Bundeshauptstadt Wien die Kinderbetreuung nichtwirklich gratis, gibt die Landesstatthalterin zu bedenken. APA/ROLAND SCHLAGER

Auch der Blick nach Wien lohne sich. Denn dort gebe es zwar in den öffentlichen Einrichtungen Gratis-Kinderbetreuung. Allerdings sei nicht einmal ein Drittel der Stellen in öffentlicher Hand. Während die Stadt 350 Einrichtungen führe, würden 1600 von Privaten betrieben. Bei Letzteren würden dort im Schnitt 130 Euro pro Monat für einen ganztägigen Betreuungsplatz fällig. Die Landesstatthalterin forderte mehr Seriosität in der Debatte ein.

Nicht schlechtreden

Es könne nicht sein, dass die Opposition mit Verweis auf andere Bundesländer Dinge für Vorarlberg fordere, welche es andernorts so gar nicht gebe. Ebenfalls müsse ein Ende damit sein, das heimische Kinderbetreuungsangebot so darzustellen, als wäre es besonders teuer oder als hinke man beim Ausbau hinterher. Sie widerspreche derartigen Aussagen zwar regelmäßig, aber gute Nachrichten würden oftmals nicht gehört oder geglaubt, bedauerte Schöbi-Fink. Dabei müsse man gar nichts glauben, sondern „man muss nur die Zahlen richtig lesen“.

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