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Erschreckend: Fast jeder zweite Minderjährige bekam Alkohol

19.04.2023 • 13:01 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Die Testkäufe im Vorjahr brachten ein alarmierendes Ergebnis.   <span class="copyright">Symbolbild ap/Sarbach</span>
Die Testkäufe im Vorjahr brachten ein alarmierendes Ergebnis. Symbolbild ap/Sarbach

Kinder- und Jugendanwalt Christian Netzer hat seinen ersten Tätigkeitsbericht vorgelegt.

Seit bald einem Jahr steht Christian Netzer an der Spitze der Vorarlberger Kinder- und Jugendanwaltschaft (Kija) mit Sitz in Feldkirch, die seit über drei Jahrzehnten die Interessen von Kindern und Jugendlichen vertritt. Gestern hat Netzer nun den Tätigkeitsbericht 2022 der Einrichtung präsentiert und über Schwerpunkte daraus informiert.

Einer der alarmierenden Punkte ist dabei das Ergebnis des sogenannten Mystery Shoppings: So haben 14- und 15-jährige Jugendliche bei 253 Alkohol-Testkäufen in 108 Fällen (42,69 Prozent) gebrannte alkoholische Getränke erhalten, die laut Gesetz erst ab 18 Jahren abgegeben werden dürfen. Bis 2019 konnte diese Quote kontinuierlich gesenkt werden, informierte Netzer. Damals lag sie bei 13,14 Prozent. Aber bereits 2021 stieg sie auf 31,73 Prozent.

Strafen

Wirklich erklären kann sich der Kinder- und Jugendanwalt diese Zunahme nicht, zumal die Zahlen auch regional stark divergieren würden, wie er berichtete. So war in der Region Bregenzerwald die niedrigste Zahl an Abgaben zu verzeichnen, in der Region Bregenz ohne den Bregenzerwald die höchste. Netzer fordert diesbezüglich eine weitere Sensibilisierung und Schulung des Personals sowie bei Übertretung entsprechend mit Verwaltungsstrafen zu sanktionieren.

Im Vorjahr wurden auch 94 Tabak- und Nikotin-Testkäufe durchgeführt. Hier waren nicht berechtigte Jugendliche in 33 Fällen (35,11 Prozent) „erfolgreich“ – eine Quote, die seit Jahren auf ähnlichem Niveau ist.

Christian Netzer präsentierte den Kija-Bericht 2022.         <span class="copyright">Kompatscher</span>
Christian Netzer präsentierte den Kija-Bericht 2022. Kompatscher

Ein weiterer Schwerpunkt der Kija im Vorjahr waren Kinderschutzkonzepte. Dabei wird von der Kija empfohlen, diese in allen Einrichtungen und Organisationen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, zu erarbeiten und umzusetzen. Das Kinder- und Jugendhilfesystem im Land stößt indes laut Netzer meist aufgrund von Personalmangel teils an seine Grenzen. So musste deswegen in einzelnen Regionen die Bearbeitung von Fällen ausgesetzt werden.

Zudem hätten sich die Wartezeiten auf freie Plätze für Kinder und Jugendliche im stationären Bereich verlängert. Hier soll laut Kinder- und Jugendanwalt unter anderem geprüft werden, ob die Plätze dort ausreichen. Empfohlen wird auch eine landesweit einheitliche Koordination der Kinder- und Jugendhilfe, um Engpässe in einzelnen Regionen ausgleichen zu können.

Psychische Gesundheit

Ein immer größeres Thema werde die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, sagte Netzer. So hätten laut einer Unicef-Studie 18 Prozent der Zehn- bis 19-Jährigen psychische Probleme. Andererseits würden sich die Wartezeiten für den Kinder- und Jugendpsychiatriebereich zunehmend verlängern – was wiederum zu einer Mehrbelastung in anderen Bereichen führe. Netzer empfiehlt daher unter anderem eine personelle und infrastrukturelle Aufstockung der Kinder und Jugendpsychiatrie in Rankweil.

Ein großes Thema bei der Kija war und ist auch das Kontaktrecht von Kindern und Jugendlichen, die in sozialpädagogischen Einrichtungen oder in Pflegefamilien leben, zu ihren Herkunftsfamilien. In Vorarlberg sind das pro Jahr rund 490 Kinder und Jugendliche. Dieses Recht könne insbesondere im Pflegekinderbereich offenbar nicht immer ausreichend gewährt werden, so Netzer. Hier sollte aber kein Abbruch zur Herkunftsfamilie erfolgen, der eine Rückführung erschwere, sagte der Kinder- und Jugendanwalt. In einigen sozialpädagogischen Einrichtungen war die Kija schon bisher als externe Vertrauensstelle vertreten. Ab heuer soll sie als Ombudsstelle in all diesen Einrichtungen implementiert werden.

Immer mehr Jugendliche melden sich bei der Kija. <span class="copyright">Shutterstock</span>
Immer mehr Jugendliche melden sich bei der Kija. Shutterstock

227 Einzelfälle hat die Kija im Vorjahr bearbeitet. 98 Personen davon wollten anonym bleiben. „Der Bedarf an Beratung nimmt zu, aber auch die Komplexität der Anfragen“, erklärte Netzer. Der Großteil der Einzelfälle bezog sich mit über zwanzig Prozent auf den Bereich Obsorge/Kontaktrecht/Scheidung, gefolgt von Rechtsfragen (über 18 Prozent) und Schule/Kindergarten (knapp 15 Prozent).
„Es melden sich immer mehr Jugendliche, die Probleme mit der Polizei bzw. mit Strafsachen haben“, so eine der Erfahrungen von Netzer und: „Die Kontaktaufnahmen von Eltern sinken und jene durch Jugendliche steigen“. Seine diesbezügliche Vermutung: „Viele müssen früher auf eigenen Füßen stehen.“

Workshops

Auch vermittelnd war die Kija im vergangenen Jahr mit Workshops wieder unterwegs. Über 1100 Schülerinnen und Schüler konnten damit erreicht werden. Zudem erhielten alle Volksschulen und Allgemeinen Sonderschulen einen Kinderrechtekoffer mit Infomaterial.

Bei der Kija ist auch die Opferschutzstelle für Menschen untergebracht, die in der Vergangenheit von Gewalt in Erziehungsheimen und Pflegefamilien betroffen waren. 14 Personen haben diese Stelle im Vorjahr kontaktiert. Acht Personen wurden einmalige Zahlungen in der Höhe von insgesamt 22.000 Euro zugesprochen. Seit Bestehen der Stelle im Jahr 2011 wurden 446 Meldungen bearbeitet. „Es gibt aber immer noch Bedarf“, stellte Netzer fest.