Diesen Winter so viele Unfälle und Lawinen wie noch nie

Doppelt so viele Lawinenabgänge und jeder dritte Skifahrer begeht Fahrerflucht. Statistik zeigt erschreckende Entwicklungen in Vorarlbergs Skigebieten.
Die Alpinpolizei hat gestern bei einer Pressekonferenz in Bregenz eine erschreckende Winterbilanz gezogen: So viele Unfälle wie in der Skisaison 2022/23 gab es hierzulande noch nie. Auch die Zahl der Lawinenabgänge ist enorm gestiegen. Die Gründe dafür seien vielschichtig, heißt es von Seiten der Polizei.
Skiunfälle auf Pisten und Routen
Insbesondere im organisierten Skiraum, sprich auf markierten Pisten oder Skirouten, habe es im vergangenen Winter einen enormen Anstieg an Unfällen gegeben. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der durch die Polizei erfassten Fälle um 17 Prozent auf insgesamt 505. Diese Zahl inkludiert Skikollisionen, Pistenrandunfälle aber auch Liftunfälle. Blickt man allein auf die Zusammenstöße der Skifahrer, erfasste die Polizei im Winter 370 Fälle. Besonders eindringlich betonte die Alpinpolizei eingangs, man verorte die Skiunfälle und die dazugehörigen Zahlen ganz bewusst nicht. Das sei „unseriös und nicht richtig“.
„Wir können spekulieren, was die Gründe waren. Möglicherweise tragen die sehr harten Bedingungen zu Saisonbeginn dazu bei, ebenso wie die stark frequentierten Skigebiete zu Zeiten der holländischen Krokusferien“, meint Rainer Fitz, Leiter der Alpinpolizei Vorarlberg. Die Behörde habe zudem die Zahlen der Beförderungsstatistik eingeholt. Dabei stellte sich heraus, dass die Bergbahnen in diesem Winter ein Plus von circa 4,3 Prozent verzeichneten. „Allerdings stehen auch die 4,3 Prozent in keinem guten Verhältnis zu unseren 17 Prozent Zunahme“, so Fitz weiter.
Immer mehr “Fahrerflucht”
Erfasst wurden all jene Fälle, bei denen der Sturz durch das Einwirken Dritter ausgelöst wurde oder zumindest der Verdacht besteht. Stürze, die auf das eigene Verschulden zu begrenzen sind, laufen nicht mit in die Statistik ein. „Dann würden die Zahlen vermutlich explodieren“, gibt Hanno Waibel, Landesausbildungsleiter des Alpindienstes, zu bedenken. Neben der allgemeinen Zunahme der Skikollisionen, ist außerdem ein deutlicher Anstieg der „Fahrerflucht“ nach einem Unfall zu erkennen. War es früher nur etwa jeder Vierte, verlässt nun beinah jeder Dritte die Unfallstelle ohne seine Personalien zu hinterlassen. Die „Fahrerflucht“ sei jedoch nicht in allen Fällen böswilliger Natur. Immer wieder stoßen zwei Skifahrer zusammen. Die Beteiligten erkundigen sich nach dem Befinden des Skifahrers, im ersten Moment verneint der Betroffene aber eine Verletzung. Daraufhin setzen die Skifahrer ihre Fahrt anschließend fort. Erst im Nachgang, „wenn das Adrenalin nachlässt“, merken die Betroffenen dann, dass sie sich doch eine Verletzung zugezogen haben. „Jeder Unfallbeteiligte und auch Zeugen sind zur Ausweisleistung verpflichtet“, so Waibel. Das gerate gerne in Vergessenheit. Den Unfallgegner im Nachgang zu ermitteln sei mühsam und „gelingt nur sehr selten“, müssen die Alpinpolizisten zugeben.

Besonders erschreckend ist auch die Statistik der Lawinenabgänge. Heuer kam es im Ländle zu insgesamt 22 erfassten Abgängen. Das sind im Vergleich zu den Vorjahren, in denen durchschnittlich zehn Lawinen abgingen, mehr als doppelt so viele. Dabei wurden 17 Menschen verletzt und es musste ein Todesopfer im Kleinwalsertal beklagt werden. Der Großteil der Lawinen, 16 insgesamt, ging im Bezirk Bludenz ab. Dabei gab es 15 Verletzte. Vier Abgänge mit zwei Verletzen gab es im Bregenzerwald, zwei Lawinen und mit insgesamt einem Todesfall sind im Kleinwalsertal zu verorten.
Die Ursachen für diese deutliche Zunahme der Lawinen ist nicht ganz klar. „Ich denke, dass sich der Skitourengeher sehr wohl mit dem Lawinenlagebericht auseinandersetzt. Ein Skitourengeher kann in meinen Augen auch meist die Hangneigung einschätzen oder messen. Ich denke, dass von Skitourengehern bewusst ein hohes Risiko in Kauf genommen wird“, so Waibel. Das entspreche aber seiner subjektiven Wahrnehmung. Als Begründung für diese Einschätzung erzählte er aus seinem Alltag aus dem Hubschrauber. „Wenn ich an Neuschneetagen über die Gebiete fliege, kann ich oft nur mit dem Kopf schütteln, welche Hänge bei hohen Lawinenstufen schon verspurt sind und vor allem mit welcher enormen Anzahl an Spuren.“ Dass die Klimabegebenheiten mit dem Anstieg der Abgänge zu tun haben, glaubt die Alpinpolizei nicht.
Keine Radarkontrollen auf Pisten
Insbesondere alte Skifahrer beklagen, das Tempo in den Skigebieten habe stark zugenommen. Immer wieder fordern Skifahrer daher ein Tempolimit auf den Pisten. „In diese Richtung ist nichts geplant, wir haben gar nicht das Personal, um Geschwindigkeitsmessungen durchzuführen“, versicherten die Polizisten. Im Falle einer Skikollision spielt es aber sehr wohl eine Rolle, wie schnell der Skifahrer unterwegs war. Die erfassten Fälle gehen zur verwaltungsrechtlichen Prüfung an die örtlich zuständige Bezirkshauptmannschaft und zur strafrechtlichen Verfolgung an die Staatsanwaltschaft Feldkirch. Die Bezirkshauptmannschaften ziehen unter anderem die FIS Pistenregeln heran. Die zweite Regel reguliert die Kontrolle über die Geschwindigkeit, sowie die Gefahr für Mitmenschen. Überhöhte Geschwindigkeit und daraus resultierender Kontrollverlust können gegen diese Regel verstoßen.
Aufgaben der Alpinpolizei
Die Alpinpolizei ist in Vorarlberg immer dann zuständig, wenn ein Fremdverschulden bei Unfällen im Gebirge nicht ausgeschlossen werden kann. Sie ist einerseits für die Unfallerhebung und andererseits für die Fahndung zuständig. Zusätzlich unterliegen ihre Mitglieder der Hilfeleistungspflicht und dienen der Gefahrenabwehr. In alpinen Ballungszentren und bei Großveranstaltungen, wie zum Beispiel bei Skiopenings oder Weltcup-Veranstaltungen, leistet die Alpinpolizei auch allgemeine Sicherheits- und Ordnungsdienste. Zusätzlich stellt die Alpinpolizei die Besatzungen der Hubschrauber des Bundesinnenministeriums.

Innerhalb der Polizei ist die Alpinpolizei eine sogenannte Sonderverwendung. Polizisten, die im Außendienst tätig sind, können sich für die Alpinpolizei bewerben und müssen einen skifahrerischen Test sowie eine psychische und physische Aufnahmeprüfung absolvieren. Ist das gelungen, folgt eine einjährige Ausbildung zum Alpinpolizisten. Nach ersten gesammelten Erfahrungen ist es möglich, die Ausbildung fortzuführen und als letzte Stufe Ski- und Bergführer der Polizei zu werden. In Vorarlberg gibt es lediglich drei hauptamtliche Alpinpolizisten. 36 weitere Mitglieder sind auf die Einsatzgruppen Vorarlberg Nord, Kleinwalsertal und Vorarlberg Süd aufgeteilt. Im Winter kommen 34 zusätzliche Skiunfallerhebungsbeamte dazu, die speziell für die Aufnahme von Skiunfällen ausgebildet sind.