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„Leute, die lesen, sind weniger manipulierbar“

07.05.2023 • 23:00 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Der "Schatzmeister" in seinem Reich.<span class="copyright">hartinger</span>
Der "Schatzmeister" in seinem Reich.hartinger

Unglaubliche zwei Millionen Bücher besitzt Kurt Arnoldini aus Rankweil. Die NEUE hat ihn in seinem „Bücherbasar“ besucht, wo etwa 30.000 Werke stehen. Was geschieht zukünftig mit diesen Schätzen?

Die deckenhohen Regale stehen in engen Reihen und sind fast zum Bersten gefüllt. Lesestoff jeglicher Art gibt es im „Bücherbasar“ von Kurt Arnoldini in Rankweil-Brederis. Krimis, Liebesromane, Jugendbücher, aber auch Theaterstücke, Vorarlbergensia oder Philosophie – hier kommt wirklich jeder auf seine Kosten.

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Rund 30.000 Bücher gibt es in dem Häuschen in der Madlenerstraße, mehr als in vielen Buchhandlungen. Sie sind aber nur ein Bruchteil des Bestands: Ingesamt nennt Arnoldini zwei Millionen Druckwerke sein eigen. Eine unglaubliche Menge, die in drei Lagerhallen im Umkreis aufbewahrt wird. Wie kam sie zustande?
Begonnen hat alles vor etwa 65 Jahren. „Ich war ein junger Bub aus sehr einfachen Verhältnissen, mein Vater war gelernter Buchbinder. Damals waren Bücher noch kostbar, man hat sie x-mal gelesen, weil man eben nicht viele hatte. Wenn sie dann schon sehr zerfetzt aussahen, hat mein Vater sie wieder schön hergerichtet, jedes einzelne wurde aufbewahrt“, so Arnoldini.

Tor zur Welt

Da habe die Leidenschaft zum Sammeln begonnen. Und es gibt auch noch einen zweiten Grund: „Das Buch war das Tor zur Welt, da gab es keinen Fernseher oder Radio. Doch mit Büchern hatten wir auf einmal Zugang zu Indianern, fremden Kontinenten und sogar dem Weltraum. Das hat mich noch mehr zum Sammeln begeistert, und wenn man etwas mit Begeisterung macht, ist Kraft dahinter.“

Zwei Millionen Bücher

Nun könnte man meinen, der heute 73-Jährige hätte auch beruflich mit Büchern zu tun gehabt. Doch mitnichten: „Ich habe 44 Jahre fürs Land Vorarlberg gearbeitet, genauer gesagt auf der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch. Natürlich wäre es mein Traum gewesen, Buchhändler oder Antiquar zu sein, aber mittlerweile bin ich froh, dass ich es nicht riskiert habe. All das, was ich aufgebaut habe, diese Nebenwelt, das hätte ich nicht machen können, hätte ich nicht eine Einkommenssicherheit gehabt“, erzählt Arnoldini. „Das war und ist ja auch eine teure Sache, gerade, was die Lagerkosten angeht. Mit dem Verkauf im Bücherbasar nehme ich nur einen kleinen Teil davon wieder ein. Zwei Millionen sind halt ein riesiger Bestand.“

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Wie kommt ein solcher eigentlich zustande? Vieles hat der Rankweiler selbst gekauft, anderes stammt aus Hinter- und Verlassenschaften, einige Leute bringen auch einfach ihre ausgelesenen Bücher vorbei. Den Überblick über eine solche Masse zu behalten, ist auch für Arnoldini nicht einfach: „Es ist natürlich unmöglich, alles im Kopf zu haben, ich kann gar nicht alles katalogisieren und manches liegt auch noch brach“, sagt der 73-Jährige. „Aber ansonsten ist es eigentlich ganz einfach, im Lager habe ich ein Nummernsys­tem, Fünf etwa ist Religion, 15 ist klassische Weltliteratur, 93 ist Science Fiction. Die Bücher werden in Kartons einsortiert, die ich dann mit der jeweiligen Zahl beschrifte.“

Enormer Zeitaufwand

Bemerkenswert ist neben dem logistischen auch der Zeitaufwand – der Großteil von Arnoldinis Tag geht für seine Bücher drauf. „Das ist ein Lebenswerk, ich bin fast ununterbrochen dran“, gibt er zu. „Am Vormittag bin ich im Laden, am Nachmittag in der Regel im Lager, außer, der Laden hat geöffnet. Grundsätzlich decke ich fast meine ganze Freizeit mit Büchern ab.“ Aber natürlich, wie Arnoldini lächelnd erzählt, verbringt er auch Zeit mit seiner Frau. Im Garten, bei einem schönen Mittagessen oder beim abendlichen Ausklang. Auch die beiden Söhne und die vier Enkel wollen gesehen werden.

In den langen Gängen findet sich für jeden etwas, wie etwa eine Schmuckausgabe von "Tausend und eine Nacht." <span class="copyright">Hartinger</span>
In den langen Gängen findet sich für jeden etwas, wie etwa eine Schmuckausgabe von "Tausend und eine Nacht." Hartinger

Nachts, vor dem Einschlafen, ist wieder Bücherzeit: Dann wird gelesen, allerdings sehr bewusst: „Für literarische Sachen fehlt mir ein bisschen die Zeit, um mich darauf einzulassen. Darum lese ich vor dem Schlafengehen meist spirituelle oder philosophische Werke“, so Arnoldini. „Wenn wir aber beispielsweise ein paar Tage im Urlaub sind, nehme ich mir dann auch einmal ein Buch mit, in dessen Welt ich richtig eintauchen kann.“ Urlaub ist aber grundsätzlich selten – immerhin muss sich jemand um die Bücher kümmern.

“Dann haben wir ein Problem”

Was passiert, wenn der 73-Jährige das einmal nicht mehr kann, ist ungewiss. Oder, wie er es selbst formuliert: „Dann haben wir ein Problem.“ Die Söhne leben in der Schweiz, haben dort ihre Familien und ihr Zuhause. Ein anderer Nachfolger ist derzeit nicht in Sicht. „Es wäre mir schon wichtig, dass sich hier einmal die Chance auf eine Lösung ergibt. Dass jemand eine Idee hat, was man mit alldem machen könnte, denn es ist nunmal mein Lebenswerk“, sagt Arnoldini sinnierend, „Man muss schon eine Möglichkeit finden, dass es nicht untergeht.“

Kurt Arnoldini ist Herr über zwei Millionen Bücher.<span class="copyright">hartinger</span>
Kurt Arnoldini ist Herr über zwei Millionen Bücher.hartinger


Allerdings, und das ist die Crux, kann er selbst in dieser Hinsicht kaum aktiv werden. „Es klingt vielleicht komisch, aber um alles am Laufen zu halten, muss ich jegliche Arbeit in dieses Werk hineinstecken, es bleibt mir zeitlich gar nicht die Möglichkeit, einen Weg zu suchen, wie es weitergehen kann.“
Zumal auch der finanzielle Aspekt geklärt werden muss: „Ich habe riesige Ausgaben, ich kann nicht zum Schluss alles verschenken, dann wäre meine ganze Arbeit ja wertlos. Zudem habe ich Verantwortung gegenüber meinen Söhnen. Sie wissen genau, was da an Zeit und Geld hineinfließt, und ich muss ihnen ja auch etwas hinterlassen.“ Dass sich also etwas tut, wäre Arnoldini ein großes Anliegen – für Ideen ist er immer offen.

Bücher sind seine Leidenschaft.<span class="copyright">Hartinger</span>
Bücher sind seine Leidenschaft.Hartinger

Bei all dem Stolz auf das eigene Lebenswerk – was würde Kurt Arnoldini machen, hätte er seine Bücher nicht? „Nun, dann würde ich wahrscheinlich etwas anderes sammeln, denn das liegt mir einfach im Blut.“ Es müsste aber etwas Sinnvolles sein, denn: „Ich will ja auch etwas weitergeben, einen Beitrag an der Gesellschaft leisten. Das mache ich jetzt eben mit Büchern. Leute, die lesen, die sich mit vielen verschiedenen Themen auseinandersetzen, glauben nicht gleich alles, was man ihnen vorkaut. Sie sind weniger manipulierbar.“