Erkenntnisse in den Fenstern des Museums

Interview. Die Vorarlberger Konzeptkünstlerin Veronika Schubert hat eine der öffentlichkeitswirksamsten Hausfassaden des Landes mit Schlagzeilen versehen.
Welche Headlines sind an der Fassade des Vorarlberg Museums in Bregenz von Ihnen zu lesen?
Veronika Schubert: Seit vielen Jahren sammle ich Zeitungsüberschriften, ich habe ein ganzes Archiv aufgebaut. Durch die Auswahl, die Kombination und die Platzierung entstehen dann aber aus diesem „found footage“ durchaus meine eigenen Texte. Das Vorarlberg Museum wird mit der Installation „Aufmacher“ selbst zu einer Art Zeitungsseite. Die Headlines auf den Fenstern sollen wie bei Printmedien als Eyecatcher neugierig auf den Inhalt machen. Die Sätze kreisen um das Thema Identität, viele beginnen mit „Ich bin …“, aber genauso wichtig sind Begriffe wie Du und Wir und die Zwischenräume. Gerade ein Museum mit kunst- und kulturgeschichtlicher Ausrichtung muss sich ganz stark mit Identität auseinandersetzen. Es geht um das Verstehen, wer wir sind und wer wir sein wollen.

Beschreiben Sie Ihre Video-Arbeit, die vom Land angekauft wurde und zurzeit im Kunstraum Remise in Bludenz zu sehen ist.
Schubert: Ist das Scrollen auf Instagram das Signum unserer Zeit? Ich sammle nicht bloß gedruckte, sondern auch gesprochene Sätze. Die Animation „Mindset“ basiert auf einer Toncollage aus Sätzen, die mir über gesponserte Beiträge in Social Media Kanälen reingespült werden. Um diese Sätze habe ich nicht gebeten, sie belästigen und bedrängen mich – ich reagiere darauf, indem ich sie mir zu eigen mache und daraus eine Arbeit über Social Media mache. Mir geht es um die Vehemenz, mit der mich der Algorithmus – und der ist ja völlig intransparent – zu beeinflussen versucht, weil kommerzielle Interessen dahinter stecken. Awareness um jeden Preis, Mindfulness auf Teufel-komm-raus und die volle Ladung Selfness! Das ist reine Werbung, es geht dabei immer ums Geld. Ich charakterisiere das Medium, es ist keine Kritik am legitimen Wunsch der Menschen, ihr Leben zu verändern.
Ist Wien als Wohnort für Vorarlberger Künstlerinnen der bessere Handlungsraum als das Ländle?
Schubert: In Bezug auf Animationsfilm habe ich in Wien mehr Austausch mit Kolleginnen, aber ich finde es ganz angenehm, an beiden Orten tätig zu sein.
Ist Jenny Holzers feministische Textarbeit für Sie Klassiker oder Rock ’n’ Roll?
Schubert: Für mich war Jenny Holzer bestimmt eine große Inspiration, ihre „Truisms“-Serie beschäftigt sich mit Binsenweisheiten. Phrasen und Floskeln sind zwar sehr oberflächlich und platt, aber können der Beginn einer intensiveren Konversation sein, also eine Art Türöffner. Meine gesammelten Zeitungsüberschriften sind ja auch eine sehr verknappte und auch plakative Form von Sprache.

Das Vorarlberg Museum will sich auf seiner Fassade als Ort darstellen, der das Verständnis („Verstehen, wer wir sind.“) vermittelt. Geben Sie mit Ihren Aphorismen Antwort darauf?
Schubert: Ein Zeitungsredakteur hat mir einmal erzählt, dass er in seiner Ausbildung noch gelernt habe, man dürfe keine Fragen als Überschriften einsetzen. Zeitungen hätten keine Fragen zu stellen, sondern Antworten zu geben. Gerade in Bezug auf kulturelle Identität geht es darum, die Vielfalt zu zeigen. Das hat mehr mit Fragen stellen zu tun als mit Antworten zu geben. Im Fall der Schriftarbeit „Aufmacher“ auf dem Vorarlberg Museum sind es vielstimmige Antworten. Unterstützt wird das auch durch die erhaltene Typografie der verschiedenen Zeitungen.
Ist der provokante Satz „Ich bin eine Idee“ ein Bezug auf Platon, der die Ideen höher als die sichtbare Welt einstufte?
Schubert: Ist dieses Ich ein schöpferischer Gedanke aus dem Garten Eden der Genesis?
Für mich schwingt mit diesem Satz nichts Metaphysisches mit, es ist mehr der Grundgedanke, der einem Museum zugrunde liegt. Um gestalterisch tätig zu sein, braucht es immer einen besonderen Gedanken als Ausgangspunkt. Zudem passt der Satz auch gut zum Panoramaraum, der ja an sich eine konzeptionelle Arbeit ist.
Die Germanisten unterscheiden zwischen dem lyrischen Ich und dem Ich des Dichters. Welche Differenz und Übereinstimmung gibt es zwischen dem Ich in Ihren Kunstsätzen und ihrem Ich als konkrete Veronika Schubert?
Schubert: Indem ich Sätze von anderen Menschen zitiere, kann ich Dinge ausdrücken, ohne mich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Die Arbeit „Aufmacher“ soll genau diese Frage aufwerfen. Spricht hier das Haus? Sind das die Gedanken der Künstlerin oder sind das verschiedene Ansätze, von denen auch einer auf mich selbst zutreffen könnte?
Der Ausruf „Das bin ja ich“ scheint das „Erkenne Dich selbst!“, das „gnothi seauton“, die Inschrift des Apollontempels im Delphi des alten Griechenlands fortzuschreiben. Ist Ihre Selbsterkenntnis für den Leserinnen und Leser der beste Weg zur Besserung?
Schubert: Das Erkennen der eigenen Rolle im Zusammenspiel mit anderen ist das, was eine Gemeinschaft ausmacht, es geht nicht um Besserung oder erhobene Zeigefinger. Es geht mir darum, wie man Begriffe wie Heimat – und das schwingt ja mit bei einem Museum, das den Namen eines ganzen Bundeslandes trägt – anders bezeichnet, nämlich über das Ich, das Du und das Wir und alles was sich dazwischen abspielt.

Sind Schlagzeilen an Häuserfassaden in einer Zeit des berechtigten Niedergangs der billigen Schlagzeile nicht ein veraltetes Verfahren?
Schubert: Mich interessieren nicht die ganz oberflächlichen Überschriften mit tagesaktuellem Gehalt, sondern jene, die Assoziationen ermöglichen, die etwas literarischer sind, die aus der Reihe tanzen, Fragen stellen oder sogar verunsichern. Besonders Wochenzeitungen haben da einen großen Vorteil gegenüber Tageszeitungen, da länger an den Texten gefeilt werden kann. Das schlägt sich oft auch in der Qualität der Überschriften nieder. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob Zeitungen in physischer Form noch lange erhalten bleiben. Sollten sie aussterben, dokumentiere ich das Printmedium, indem ich diesen für mich wertvollen Schnipseln einen Platz im Archiv gebe. Ich hoffe natürlich, dass Zeitungen physisch bestehen bleiben, da sie mir dadurch noch viel spannendes Material liefern werden.
Fassadenbespielung: Aufmacher, Veronika Schubert und das Spiel mit der Sprache, von 6. Mai bis 29. Oktober 2023, Vorarlberg Museum; Bregenz; Infos zur Künstlerin: veronika-schubert.at
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