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„Die Welt wird nicht friedlicher werden“

15.05.2023 • 07:00 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
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Interview. ­Vorarl­bergs Militär­kommandant Brigadier Gunther Hessel sprach mit der NEUE über seine ersten drei Jahre als Kommandant und aktuelle Herausforderungen

Herr Brigadier, Sie haben den Dienst als Vorarlbergs Militärkommandant im Jänner 2020 angetreten – kurz danach brach die Pandemie über uns herein. Ein schwieriger Start?
Brigadier Hessel: Für mich persönlich war es eigentlich sehr lässig. Man kommt mit einer großen Bereitschaft, Dinge anzugehen, und hat dann gleich auch konkrete Aufträge. Dadurch konnte ich auch meinen Stab und die Sicherheitskräfte im Land schnell kennenlernen, wir sind rasch und gut zusammengewachsen. So traurig der Anlass war – es war doch auch eine positive Erfahrung.

Welche großen Herausforderungen gab es in dieser Zeit?
Hessel: Zum einen war es politisch herausfordernd, vor allem, was die Miliz betrifft. In Vorarlberg hätte man sie zum Zeitpunkt der Mobilmachung nicht mehr gebraucht, aber es gab das Ansinnen der Politik, die Miliz endlich einzuberufen. Das ist zwar verständlich, weil sie sonst ein Papiertiger ist, aber andererseits war es zumindest bei uns nicht mehr nötig. Auch musste ich klarstellen, dass das Bundesheer immer das letzte Back-up ist. Wenn wir Tests oder Contact Tracing durchführen, sind wir nur so lange im Einsatz, wie es uns wirklich braucht. Wir sind nicht „Nice to have“, wir gehen als Letzte rein und als Erste raus. Das hat die Landesregierung zum Glück rasch verstanden. Die Zusammenarbeit war vorbildlich.

Die Pandemie ist vorbei, andere Probleme bleiben, wie Krieg, Blackout, die Auswirkungen des Klimawandels oder die Flüchtlingskrise.
Hessel: Richtig. Die Bedrohungen sind offensichtlicher geworden. Es ist jetzt Zeit, als Gesellschaft Antworten darauf zu finden. Wir als Bundesheer konzentrieren uns da auf die Schutzoperation, denn die Wahrscheinlichkeit wird immer höher, dass wir zukünftig Bedrohungen aus dem Untergrund erfahren können.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Hessel: Das sind etwa Terrororganisationen oder auch staatliche Akteure, die uns destabilisieren wollen. Ich denke da beispielsweise an den Ukraine-Krieg. Wenn ein Staat die Ukraine so massiv unterstützt, dass es den Russen ein Dorn im Auge ist, wieso sollten sie nicht versuchen, diesen Staat zu destabilisieren? Mit eingeschleusten Kräften, Anschlägen, Waffen oder Cyber-Angriffen. Dieses Szenario ist viel wahrscheinlicher, als dass Russland durch die Ukraine und Ungarn marschiert und bis nach Österreich kommt. Die Hauptbedrohung ist eine staatliche oder extremistische aus dem Untergrund.

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alexandra serra

Wo braucht es Landesverteidigung im klassischen Sinn?
Hessel: Etwa bei der Beistandspflicht gegenüber einem Angriff auf einen EU-Staat oder den Auslandseinsätzen. Da muss man mit Waffeneinsatz rechnen. Wir müssen vor allem unsere Kernfähigkeiten beherrschen, den Kampf – Katastrophenhilfe und Ausreisekontrollen sind nicht unsere Hauptaufgaben.


Gibt es genügend zeitliche, personelle und finanzielle Möglichkeiten, Soldaten für Einsätze ausreichend auszubilden?
Hessel: Wir haben Miliz- und Berufssoldaten, aber wir sind natürlich davon abhängig, dass die Miliz auch geschlossen übt, das ist derzeit nicht möglich. Und dann brauchen wir auch einen höheren professionellen Anteil. Wir bekommen jetzt einige Hägglunds (gebirgsbewegliches, gepanzertes Universalfahrzeug, Anm. d. Red.), die kannst du nicht mit einem Grundwehrdiener betreiben, der nur sechs Monate da ist. Da brauchen wir pro Fahrzeug drei Personen, die stolz sind, das zu machen, die auch damit fahren und schießen, um aus diesem System, das den Steuerzahler viel Geld kostet, das Optimum herauszuholen.

Wie sieht es budgetär aus?
Hessel: Da gibt es derzeit eine gute Entwicklung, wir rechnen damit, dass die Budgets zumindest bis 2026 halten. Wir müssen uns einer unsicher werdenden Zukunft stellen. Bei der derzeitigen Weltsituation ist nicht davon auszugehen, dass die Welt friedlicher oder weniger bedrohlich wird. Insofern kann ich mir nicht vorstellen, dass man es wagt, das Bundesheer nochmal in eine Abwärtsspirale zu schicken.

Wie schätzen Sie die Auswirkungen des Klimawandels ein?
Hessel: Da wird der Kampf um Ressourcen ein immer größeres Thema, ebenso die Zunahme der Flüchtlinge. Die UNO rechnet bis 2050 mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen. Da kommen vielleicht nicht nur die Braven, vielleicht nehmen die auch Ideologien mit und Hass auf den reichen Westen, der das zu verantworten hat.


Was muss das Bundesheer also angehen? Vielleicht auch speziell aus Vorarlberger Sicht.
Hessel: Grundsätzlich bin ich voller Vertrauen, dass wir die Ausstattung, die wir brauchen, wie etwa Schutzausrüstung, neue Waffensysteme oder die Hägglunds, bekommen. Der zweite Pfeiler wäre aber ausreichendes und hochwertiges Personal, das Landesverteidigung kann. Darum sollten wir den Grundwehrdienst verlängern, auch, damit wir wieder Übungsphasen haben.

Können Sie das näher erläutern?
Hessel: Wir brauchen den verlängerten Grundwehrdienst, um wieder üben zu können. Wir bekommen beste, moderne Waffensysteme, diese mit Grundwehrdienern zu betreiben, die nur sechs Monate da sind, ist deutlich zu wenig, um viele Waffensysteme professionell zu bedienen. In dieser Zeit können wir den Rekruten gerade zu Soldaten formen, aber nicht in eine gemeinsame, intensive Übungsphase gehen.


Wieso ist die Übungsphase so wichtig?
Hessel: Einerseits, um die Rekruten nicht nur zu Soldaten auszubilden, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, das Gelernte auch zu üben, um Sicherheit zu bekommen. Denn die ersten sechs Monate braucht man wie einen Bissen Brot, um aus einem 18-Jährigen überhaupt einen Soldaten zu machen. Noch wichtiger ist es für die Kommandanten. Die sind derzeit nur Ausbilder. Nach der Ausbildung der Rekruten regelmäßig Gefechtsaufgaben zu trainieren, wieder Vertrauen ins eigene Führen zu gewinnen, ist essenziell. Wir benötigen diese Zeit für unsere Kernkompetenzen unbedingt. Auch die Miliz ist ohne Übungspflicht ein zahnloser Tiger. Um diese wird man nicht herumkommen, und man kann sie nur mit der Verlängerung des Grundwehrdienstes einführen, Minimum wären 7+1 Monate. Neben ausreichend Personal würde auch ein besseres Gehalt dazu führen, dass das Heer als Beruf wieder attraktiver wird.