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Bülent Kacan erhält Literaturpreis

23.05.2023 • 23:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
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Der deutsche Schriftsteller und Essayist Bülent Kacan erhält heuer den achten ­Hohenemser Literaturpreis für seinen Text „Wir, Rotköpfe“.

Der neue Preisträger für den achten Hohenemser Literaturpreis steht fest. Der 1975 im deutschen Minden geborene Bülent Kacan wird den Preis für deutschsprachige Autorinnen und Autoren nichtdeutscher Muttersprache bei der Preisverleihung am 17. Juni entgegennehmen.

Erste Eindrücke

Bis dahin wird der komplette Siegertext „Wir, Rotköpfe“ noch geheim gehalten, einen kleinen Einblick in sein literarisches Schaffen gewährte der Autor aber schon gestern bei der Pressekonferenz im Rathaus Hohenems, als er online zugeschaltet einige Zeilen vortrug. „Mutter hat mir mal erzählt – ich war noch ein Kind –, dass Gespenster einen jeden Wunsch erfüllen würden, vorausgesetzt man hat viel Glück und begegnet einem, packt es am Kragen und pikst es ordentlich mit einer Nadel. Ich persönlich bin noch nie einem Gespenst begegnet, es sind die Geister der Gegenwart, die mir Angst machen und mit einfachen Nadelstichen lässt sich der Zeitgeist nicht beschwichtigen. Der Krieg in der Ukraine ist jedenfalls eine todernste Angelegenheit und der dritte Weltkrieg bleibt ein Schreckgespenst, das in letzter Zeit öfter aufkreuzt, nicht zur Geisterstunde um Mitternacht herum, sondern um Punkt zwölf Uhr in den Nachrichten. Man muss genau hinsehen, dann sieht man es auch.“

Jurybegründung

Online zugeschaltet war auch der Literaturkritiker Stefan Gmünder, der gemeinsam mit Literaturwissenschaftlerin Veronika Schuchter und der Autorin Julya Rabinowich die diesjährige Jury bildete. Zusammen haben sie sich über die 1500 Seiten Text aus rund 200 Einreichungen beraten und alle hätten den Eindruck gehabt, „dass ein Text heraussticht“, beschreibt Gmünder den Entscheidungsprozess.
Der Text handle von Tod, Liebe, mythologischen und familiären Verstrickungen ebenso wie „von jenen Geistern der Vergangenheit, die sich in die Festplatte der Seele eingebrannt haben“, so die Begründung der Jury. Erzählt werde vom Sterben einer Mutter, von einer Familie und der seelischen Kälte und dem Hass in der neuen Heimat. „Wir, Rotköpfe“ ist eine irrlichternde Odyssee zwischen Sprachen, Ländern, Tod und Leben, die dem Entsetzen über den Tod eines geliebten Menschen eine Sprache verleiht, wo sonst Sprachlosigkeit herrscht. Der expressive Ausdruck der eigenen Trauer ist ein Tabu in der deutschsprachigen Literatur, das dieser Text kunstvoll bricht. „Handwerklich virtuos, poetisch und mehrschichtig“ werde „ein kulturelles Panoptikum“ geöffnet, das auch eine politische Ebene einbeziehe.

Der Preisträger Bülent Kacan aus Minden<span class="copyright">christian schwier</span><span class="copyright"></span><span class="copyright"></span><span class="copyright"></span><span class="copyright"></span><span class="copyright"></span>
Der Preisträger Bülent Kacan aus Mindenchristian schwier

Schreiben als Rückzug

Für den Schriftsteller Bülent Kacan kam die Auszeichnung „völlig überraschend“. Das Schreiben bedeute für ihn Meditation und Rückzug. Der Text sei aus einer Begegnung entstanden, die dazu geführt habe, dass er sich literarisch mit dem Thema Familiengeschichte auseinandersetzen wollte. „In einer sehr intensiven emotionalen Verfassung“ habe er den Text in zwei Wochen im Jänner verfasst. Diese emotionale Verfasstheit als Ausnahmezustand sei für den Text entscheidend gewesen, so der Preisträger. Physisch sei seine Muttersprache zwar türkisch, allerdings habe Kacan in der Kindheit mit seinen Eltern deutsch gesprochen. „Wenn die Frage auf Türkisch kam, haben wir auf Deutsch geantwortet.“ Seine Großeltern wiederum hätten kurdisch gesprochen. Daher spricht der Autor von einem „Verlust der Sprache“, den er mit seiner literarischen Sprache versucht zur Sprache zu bringen. Seine Muttersprache ist das Deutsch, „weil ich mich in der deutschen Sprache einfach wohl fühle, ich kann mich auf Deutsch am besten ausdrücken“.

Brücken bauen

Der Hohenemser Literaturpreis ist mit 7000 Euro dotiert und wird seit 2009 alle zwei Jahre vergeben. Für den Bürgermeister Dieter Egger sei es „eine logische Sache“, Autoren mit nicht-deutscher Muttersprache auszuzeichnen, denn in der kleinen Stadt Hohenems mit rund 18.000 Einwohnern „leben Menschen aus 80 Nationen“. Literatur sei ein „wunderbares Instrument, um Brücken zu bauen und zu verbinden, denn Sprache verbindet.“ Beim Hohenemser Literaturpreis hätte man es mit Texten zu tun, die sich mit dem Sprachpotenzial und auch dem Potenzial der Sprachen bewegen. Die Texte würden an die „Ränder der Tragfähigkeit von Sprache“ gehen, die im erstsprachigen Sprachgebrauch nicht mehr deutlich wahrgenommen würden, beschreibt Frauke Kühn, Geschäftsführerin des Literaturhaus Vorarlbergs.
Mit der Veranstaltungsreihe „Hohenemser Literatur“ von 8. bis 17. Juni soll der Literaturpreis der Bevölkerung durch Begleitformaten nähergebracht werden. Neben öffentlichen Dialogen, einem Lesepicknick für Familien, Kinder und Jugendliche, Lesungen und Musik wird neben dem achten Hohenemser Literaturpreis auch die vom Literaturhaus Vorarlberg ausgeschriebene Auszeichnung „August* – der Jugendpreis der Sprache“ nun zum zweiten Mal vergeben.

Hohenemser Literatur: 8. bis 17. Juni

www.hohenems.at

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