Allgemein

Fotografierte Leben aus dem Bregenzerwald

25.05.2023 • 23:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
<span class="copyright">alexandra serra</span>
alexandra serra

Über sieben Jahrzehnte fotografierte die Familie Hiller die Menschen im Bregenzerwald. 5000 dieser Aufnahmen werden ab heute im Vorarlberg Museum gezeigt.

Mit 5000 Fotos auf schwarzen Stoffbahnen sind die Wände der 400 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche bedeckt. Als Anspielung auf die „Bilderflut von heute“ wirken sie nicht einzeln, sondern in der Menge und führen durch die zentralen Stationen des Lebens. Es sind inszenierte Aufnahmen von Menschen, die sich für besondere Anlässe ablichten lassen.

Fotografiegeschichte

Für ihre Erstkommunion, die Hochzeit, für Porträts oder nach der Mus­terung haben sich die Leute im Bregenzerwald einzeln oder in Gruppen im Fotostudio Hiller ablichten lassen, um eine Erinnerung für später zu schaffen. Das fotografische Gedächtnis des Bregenzerwalds erzählt vom Leben, aber auch vom Verschwinden und Sterben der Menschen und liefert in inszenierter Form Eindrücke aus dem 20. Jahrhundert.
Die Stärke der Fotografie sei „diese unmittelbare Begegnung mit Menschen, die zum Großteil schon verstorben sind“, aber in der Ausstellung nochmal bildlich präsent seien, beschreibt der Kurator Arno Gisinger in der gestrigen Pressekonferenz.
Die digital gescannten Bilder wurden alle aus dem Negativ-Bestand der Familie entwickelt. Damit wirft die Ausstellung einen Blick in die Fotografiegeschichte vom traditionellen Fotografenbetrieb bis zum modernen Umgang mit der Fotografie. Neben dem Beginn und dem Ende der analogen Fotografie werden Verbindungen zwischen damaligen Selbstporträts vorm Spiegel und heutigen Selfies thematisiert, und auch das „Sehen“ und „Inszenieren“ an sich wird hinterfragt. Kleine Bühnen im inszenierten Setting und teils mit Requisiten dienen als Selfie-Stationen. Wie die Analogfotografie funktioniert, können Besucher anhand einer Schaudunkelkammer und der Camera obscura erleben. Zudem sind auch Kameras aus der Familie Hiller zu sehen.

Die kompletten Wände sind mit Fotos auf Stoffbahnen versehen.<span class="copyright">Alexandra Serra</span>
Die kompletten Wände sind mit Fotos auf Stoffbahnen versehen.Alexandra Serra

Konstruktionen

Der Zeitraum der Bilder umfasst sechs Jahrzehnte und erstreckt sich von den 1930er-Jahren bis in die 1990er-Jahre. Die alten Bestände beginnen bei Johann Kaspar Hiller, der zur Jahrhundertwende vor dem Ersten Weltkrieg begann, seine bildhauerischen Werke zu fotografieren. Später machte er als Soldat im ersten Weltkrieg Bilder von der italienischen Front und richtete 1922 ein Fotostudio in Bezau ein. In das traditionelle Bauernhaus der Schwiegereltern baute er ein Nordlicht-Atelier und holte das Naturlicht ins Studio.
Hiller nutzte damals neueste technische Möglichkeiten, und Menschen aus dem ganzen Bregenzerwald ließen sich in seinem Studio ablichten. Mit dem aufkommenden Tourismus im Bregenzerwald ­fotografierte er auch Landschaften, die er als Postkarten an die Hotels verkaufte. „Wir haben in der Ausstellungskonzeption mitberücksichtigt, dass es keine klassische Dokumentarfotografie ist, sondern eigentlich eine Konstruktion einer Lebenswelt.“ Auch weil „die Fotografien als Fotografien zur Geltung kommen sollen und erst im zweiten Schritt Dokumente sind“, habe der Kurator komplett auf Bildlegenden verzichtet, erklärt Gisinger.
Der Heimatlandschaft als „Postkartenidylle“ werden Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg von Johann Kaspar Hiller in Schwarz-Weiß und Fotos (von seinem Sohn Kaspar) von der französischen Front 1944 gegenübergestellt. Damit sollen auch die weltgeschichtlichen Aspekte auf die Familiengeschichte, aber auch auf die Fotografie beleuchtete werden.
Nachdem seine beiden Söhne jung verstarben, fiel der Betrieb ab 1959/1960 in die Hände von Hedwig Hiller, die als erste Frau in Vorarlberg die Meisterprüfung als Fotografin ablegte und bis zu ihrer Pensionierung 1995 das Studio führte.

Thomas Feuerstein (Vorarlberger Landesbibliothek), Katrin Natter (Bregenzerwald Archiv) und Museumsdirektor Andreas Rudigier bei der Pressekonferenz <span class="copyright">alexandra serra</span>
Thomas Feuerstein (Vorarlberger Landesbibliothek), Katrin Natter (Bregenzerwald Archiv) und Museumsdirektor Andreas Rudigier bei der Pressekonferenz alexandra serra

Digitalisierung

Ausgangspunkt der Ausstellung ist die Familie Berchtel, welche die Bestände zur Verfügung stellte. Auch das Bregenzerwald Archiv habe „von den Ressourcen der Familie profitieren dürfen“, beschreibt Katrin Netter (Leiterin Bregenzerwald Archiv). Die Originale des rund 100.000 Fotos umfassenden Bestandes werden auf Basis eines Schenkungsvertrages mit der Familie Berchtel seit Juni 2020 sukzessive dem Bregenzerwald Archiv übergeben und verbleiben daher in der Region.
Im Archiv wurden mehrere tausend Originalgralsplatten digitalisiert. Teile davon wurden neben der Ausstellung im Vorarlberg Museum auch online der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seit gestern sind fast 4000 Fotos aus dem Hiller-Bestand auf dem Fotoportal der Vorarlberger Landesbibliothek „volare“ online einsehbar und – anders als im Vorarlberg Museum, das auf Bildunterschriften verzichtet – auch mit Beschreibungen versehen. „Was einzigartig ist für einen Fotobestand, ist, dass die Familie Hiller sehr akribisch aufgezeichnet hat, welche Person auf dem Foto dargestellt ist und aus welchem Ort sie kommt“, daher können die Fotos konkreten Personen und Ereignissen zugeordnet werden, beschreibt Netter.

www.vorarlbergmuseum.at, ­https://pid.volare.vorarlberg.at/

Du hast einen Tipp für die NEUE Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@neue.at.