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„Es gibt keine Alternative zur EU“

26.05.2023 • 19:41 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Die Tirolerin Barbara Thaler ist seit 2019 EU-Abgeordnete. <span class="copyright">Stiplovsek</span>
Die Tirolerin Barbara Thaler ist seit 2019 EU-Abgeordnete. Stiplovsek

Die EU-Abgeordnete Barbara Thaler (ÖVP) war zu Besuch in Vorarlberg.

Sie sind auf Besuch in Vorarlberg und haben dabei viele Menschen getroffen. Welche Anliegen wurden an Sie als EU-Parlamentarierin herangetragen?
Barbara Thaler:
Wir haben logischerweise über sehr viele europapolitische Themen gesprochen. Aus allen Gesprächen habe ich herausgehört, dass es natürlich einiges daran zu kritisieren gibt, was an neuen Gesetzen aus Brüssel kommt, aber trotzdem haben alle gesagt: „Wir brauchen die Europäische Union und sind froh, dass wir Mitglied sind. Es ist alternativlos.“ Die Menschen sind gerne Teil der Europäischen Union – nicht nur auf persönlicher Ebene in Bezug auf das Wertegefühl, sondern auch wirtschaftlich. So hat sich auch in Vorarlberg der Export massiv gesteigert. Das sorgt für Arbeitsplätze und Wohlstand. Das müssen wir uns erhalten. Denn davon hängen auch unser Gesundheitssystem und die Alterssicherung ab. Das ist den Menschen sehr viel wert.

Ihren Besuch nutzte Barbara Thaler für zahlreiche Begegnungen wie hier in Feldkirch. <span class="copyright">Timmermann</span>
Ihren Besuch nutzte Barbara Thaler für zahlreiche Begegnungen wie hier in Feldkirch. Timmermann

Der Europäische Binnenmarkt wird heuer 30 Jahre alt. Welche Bedeutung hat dieser für Österreich?
Thaler:
Ich freue mich sehr, dass wir heuer quasi Geburtstag feiern. Ich bin selbst in einem Grenzgebiet aufgewachsen: in Thiersee nahe Kufstein. Mit dem Rad sind es fünf Kilometer, und man ist in Bayern. Mein Taschengeld habe ich teilweise in Mark bekommen, und wenn wir ins Hallenbad fahren wollten, lag eine Zollkontrolle dazwischen. Irgendwann hat es das nicht mehr gegeben. Als Jugendliche ist für mich durch den Beitritt zur Europäischen Union die Welt größer geworden. Das hat in unser aller Privatleben sehr viel Positives gebracht. Wir können in der EU reisen, arbeiten, uns niederlassen und unsere Kinder aufziehen, wo wir wollen. Wenn wir weiter in der Geschichte zurückschauen, dann hat uns die EU Wohlstand und Freiheit gebracht. Es gibt sehr viele kleine, praktische Beispiele wie etwa das Roaming beim Handy. Gerade für Menschen, die in einem Grenzgebiet wohnen, wurde dadurch das Leben erleichtert. Ich war vorher bei einem Betriebsbesuch bei der Firma Doppelmayr. Dort hat man mir erzählt, dass das Thema der Zulassung durch die europäische Seilbahnrichtlinie wesentlich einfacher ist als vor dem EU-Beitritt. Solche Dinge machen für die Firmen in Vorarlberg einen Unterschied. Darum sollten wir froh sein, dass es den Binnenmarkt gibt, auch wenn es natürlich immer etwas zu verbessern gibt.

Zur Person

Barbara Thaler ist in der Gemeinde Thiersee im Tiroler Bezirk Kufstein aufgewachsen. Für die Schule und Ausbildung übersiedelte sie dann nach Innsbruck. Die 41-Jährige hat Politikwissenschaft und Wirtschaftsinformatik studiert und ist seit 2007 als Unternehmerin tätig. Seit 2019 ist sie als ÖVP-Abgeordnete im Europäischen Parlament. Zudem ist Thaler Verkehrssprecherin der Europäischen Volkspartei.

Wie bewusst sind diese Vorzüge den Menschen, und wie schwierig ist es, ihnen die Vorteile bewusst zu machen?
Thaler:
Es ist eine Kommunikationsaufgabe. Die Bewusstseinsbildung kann nur mit Reden funktionieren. Vieles hängt auch davon ab, wie alt man ist. Meinen Großeltern, meinen Eltern und selbst mir sind die Vorzüge nach wie vor bewusst, weil wir das Vorher und Nachher erlebt haben. Ich bin auch sehr viel in Schulen unterwegs, und die Schülerinnen und Schüler lernen natürlich im Geschichtsunterricht vom EU-Beitritt. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man Dinge in der Schule lernt oder diese selbst erlebt hat. Deshalb ist es gerade für uns Politikerinnen und Politiker eine wichtige Aufgabe, immer wieder über die Vorteile zu sprechen und Beispiele aufzuzeigen. Denn vieles, was lange gut funktioniert, wird selbstverständlich. Bei einem meiner letzten Gespräche mit einer Schülergruppe hat mich eine Schülerin gefragt, was die Vorteile von einem „Öxit“ wären. Meine Antwort war ganz klar: Es gibt null Vorteile und 100 Prozent Nachteile. Jeder, der etwas anderes behauptet, lügt. Es gibt keine Alternative zur EU.

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European Parliament

Wie schwierig ist es im politischen Alltag für Politikerinnen und Politiker, bei Gesprächen über die EU, die nicht perfekt ist und das wohl auch gar nicht sein kann, nicht zu sehr das Negative hervorzuheben?
Thaler:
Das ist eine sehr gute Frage, denn das passiert mir auch manchmal. Wir haben in den vergangenen vier Jahren sehr viele Klimaschutzgesetze verhandelt, und es gibt einiges, bei dem ich die Europäische Kommission kritisiere. Zum Beispiel schießt die Gebäuderichtlinie massiv über das Ziel hinaus. Wenn man aber zu intensiv über die einzelnen Gesetze innerhalb des Klimaschutzpakets redet, dann muss man sich selbst manchmal daran erinnern, dass es auch positive Beispiele gibt. Die Erneuerbare-Energie-Richtlinie haben wir in der Verhandlung sehr gut hinbekommen. Ich war selbst im Verhandlungsteam des Europäischen Parlaments mit dabei. Wir haben es geschafft, dass es keine zusätzlichen Hürden für die Wasserkraft gibt und dass die Biomasse weiterhin als erneuerbar gilt. Die Kommission wollte das ganz anders. Manchmal muss man sich eben mit solchen Erfolgserlebnissen selbst daran erinnern, dass es bei aller Kritik auch positive Beispiele gibt.

Atomkraft ist nicht nachhaltig, betont EU-Abgeordnete Barbara Thaler. <span class="copyright">APA/Hans Klaus Techt</span>
Atomkraft ist nicht nachhaltig, betont EU-Abgeordnete Barbara Thaler. APA/Hans Klaus Techt

Sie haben die Erneuerbare-Energie-Richtlinie angesprochen. Nach der Einigung wurde der Beschluss verschoben, nachdem vor allem Frankreich Kritik daran geäußert hat. Wie ist hier der Stand?
Thaler:
Ich bin gerade dabei, mich noch einmal tiefer mit der Materie zu befassen. Denn eigentlich waren die Verhandlungen schon beendet. Der Prozess läuft normalerweise immer so ab, dass nach den Verhandlungen zwischen Parlament und Rat ein Kompromisstext steht, über den dann jede der beiden Institutionen noch einmal abstimmen muss. Das ist der letzte Schritt, der uns noch fehlt. Jetzt haben aber die Franzosen gesagt, dass es aus ihrer Sicht – ein wenig laienhaft ausgedrückt – zu wenig Freiheiten beim Nuklear-Thema gibt und die Abstimmung verschoben werden soll. Nun gilt es, zu schauen, was die Franzosen wollen. Das ist aber nicht die Aufgabe des Europaparlaments, sondern des Rats. Wenn dort eine neue Einigung erzielt wurde, wird wahrscheinlich noch einmal über Kompromisstext verhandelt werden müssen.

<span class="copyright">Stiplovsek</span>
Stiplovsek

Wie sehen Sie die Frage der Atomkraft?
Thaler:
Für mich ist Atomenergie keine nachhaltige Energie, auch wenn die Kommission sie so eingestuft hat, und das auch von einer Mehrheit der Mitgliedsstaaten so bestätigt worden ist. Ja, die Atomkraft ist wesentlich CO2-ärmer als vieles anderes, aber sie ist für mich nicht nachhaltig, weil es bei der Lagerung des Abfalls keine Lösung gibt. Andererseits hat jedes Mitgliedsland die Aufgabe, CO2-Emissionen zu reduzieren, und jedes Land hat andere Möglichkeiten dazu. In Österreich haben wir nicht so viel Wind und Sonne wie im Norden oder Süden. Darum finde ich es gut, dass wir dafür zusätzlich Wasserkraft und Biomasse verwenden können. Die Franzosen argumentieren bei der Atomkraft gleich.

Bis wann rechnen Sie im Bezug auf die Richtlinie mit einer Entscheidung?
Thaler:
Ich glaube, dass das noch vor dem Sommer erledigt sein wird.