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„Schiedsrichter muss raus aus der Buhmann-Rolle“

27.05.2023 • 19:48 Uhr / 14 Minuten Lesezeit
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Dem VFV fehlen ein Drittel der benötigten Schiedsrichter. Der einstige FIFA-Assistent Matthias Winsauer und Schiedsrichter Felix Streibert im Sport-Talk über den Schiedsrichtermangel.

Da herrscht beim Vorarlberger Fußballverband ein akuter Schiedsrichtermangel. Die Situation ist so prekär, dass der VFV die Arbeitsgruppe „Schiedsrichter 2025“ samt Imagekampagne ins Leben gerufen hat, um neue Schiedsrichter zu gewinnen. Und dann darf Hatlerdorfs nunmehriger Ex-Co-Trainer Ermin Dizdaric, der nach einer Attacke Ihnen gegenüber für dreieinhalb Jahre gesperrt wurde, in einer Tageszeitung behaupten, dass die Angelegenheit zu 90 Prozent wegen seines Nachnamens hochgeschaukelt wurde – und Ihnen sowie dem Straf- und Meldeausschuss Struma damit de facto Rassismus unterstellen. Dadurch geraten Sie als Opfer unter Druck. Das durchkreuzt doch jede Imagekampagne?
Felix Streibert: Zur medialen Aufarbeitung dieses Vorfalls sage ich besser nichts, denn natürlich hat es mich verwundert, was da alles ungeprüft berichtet wurde. Aber als Schiedsrichter bekommst du mit den Jahren ein dickes Fell, das habe ich, auch was den Vorfall mit Hatlerdorfs Co-Trainer Ermin Dizdaric betrifft. Es mag ein bisschen naiv klingen, aber ich lasse mir von diesem Zwischenfall nicht die Freude am Schiedsrichterwesen nehmen. Ich bin seit 15 Jahren Schiedsrichter und habe dabei so viele große Highlights erlebt, das zählt für mich viel mehr als dieser sehr unschöne Einzelfall.

Was ist denn bei der angesprochenen Partie zwischen dem SC Hatlerdorf und Viktoria Bregenz am 15. April genau passiert?
Streibert: Ich habe damals den Hatlerdorfer Co-Trainer Dizdaric nach mehrfachen aggressiven Reklamierens gegenüber mir und dem Schiedsrichter-Assistenten mit Gelb-Rot ausgeschlossen. Nach dem Spiel ist der Co-Trainer zu mir in den PC-Raum gekommen und hat mich gefragt, warum er Gelb-Rot kassiert hat. Ich wollte ihm klarmachen, dass er in dieser Art und Weise nicht auf dem Sportplatz kommunizieren kann. Daraufhin wurde er immer hitziger, ich habe trotzdem weiter versucht, ihm zu erklären, dass es gar nicht darum ging, was er während des Spiels gesagt hat – sondern, wie er es gesagt hat, weil wir Schiedsrichter uns nicht anschreien lassen müssen, schon gar nicht mit so einem Unterton. An diesem Punkt der Unterredung kam es bei Dizdaric zu einer Emotionsexplosion, er ist mir sehr unangenehm nahe gekommen. Ich wurde zwei Mal angespuckt von ihm, er drohte mir und beleidigte mich. Als der Schiedsrichter-Assistent ihn wegziehen wollte, kam es beim Losreißen noch zu einem Kontakt im Kieferbereich des Assistenten. Die Situation war so außer Kontrolle, dass ich die Polizei gerufen habe, weil ich die Sicherheit für mich und meine Assistenten nicht mehr gewährleistet gesehen habe, was, wie sich zeigte, die einzig richtige Entscheidung war. Denn auch beim Eintreffen der Beamten war das Aggressionspotenzial des Co-Trainers noch sehr hoch. Ich habe den Zwischenfall im Spielberichtsbogen erwähnt und später vor der Struma ausgesagt.

Matthias Winsauer: Als ehemaliger FIFA-Schiedsrichterassistent und auf Landesebene immer noch aktiver Schiedsrichter verstehe ich allzu gut, dass Felix als persönlich Betroffener nicht weiter auf die Berichterstattung zu diesem Vorfall eingehen will. Aber als Moderator der Arbeitsgruppe „Schiedsrichter 2025“ muss ich ganz klar festhalten: Die Berichterstattung war pures Gift für unsere Bemühungen, die öffentliche Wahrnehmung des Schiedsrichterwesens zu verbessern und Menschen für das Amt des Schiedsrichters zu interessieren. Der Zwischenfall an sich war schon unangenehm genug. Wenn dann aber auch noch die Berichterstattung ein so völlig falsches Bild vor den Ereignissen zeichnet, dann wird es sehr sensibel. Ich glaube Felix schon, dass er damit umgehen kann, aber mir geht es ums große Ganze. Wie sollen wir junge Menschen dazu motivieren, jedes Wochenende als Schiedsrichter auf dem Platz zu stehen, wenn die Berichterstattung suggeriert, dass derjenige, der Schiedsrichter attackiert, gar nicht so unrecht hat und sogar dem Schiedsrichter unwidersprochen haltlose Vorwürfe machen kann?

Streibert: Im betreffenden Fall durfte der Co-Trainer zum Beispiel behaupten, dass er gegen die Sperre Berufung einlegen wird, obwohl die Einspruchsfrist längst abgelaufen war. Die Unterstellung des Co-Trainers, es wäre alles ganz anders gewesen, und er sei wegen seines Nachnamens so lange gesperrt worden, ist der Tiefpunkt bei der Angelegenheit, weil sie eine fatale Signalwirkung hat.

Das heißt?
Winsauer: Solche Unterstellungen untergraben die Autorität des Schiedsrichters und der Instanzen. Dabei sind die endlich rigorosen Strafen bei Grenzüberschreitungen gegenüber dem Schiedsrichter sogar ein Bestandteil der Maßnahmen zur Attraktivierung des Schiedsrichterwesens. Mit diesen drakonischen Strafen wird nämlich endlich aufgezeigt, dass der Verband die Schiedsrichter schützt, was in der Vergangenheit mit dieser Konsequenz eher nicht der Fall war. Das heißt, eine längst überfällige Verbesserung der Situation der Schiedsrichter gerät medial ins Kreuzfeuer. Das ist nicht gut – und schon gar nicht fair.

Streibert: Es geht auch um Wertschätzung. Ohne Schiedsrichter gibt es keinen Fußball, das wird allzu oft vergessen.

Winsauer: Ebenso wird auf Vorarlbergs Fußballplätzen oft vergessen, dass wir von Amateurfußball sprechen. Wir sind nicht in der Champions League, es geht nicht um Millionen, sondern wir treffen uns für unser gemeinsames Hobby. Natürlich wollen die Spieler gewinnen, und genau so klar ist, dass wir Schiedsrichter fehlerfrei bleiben möchten. Aber ich würde mir wünschen, dass bei allem sportlichen Ehrgeiz schon auch ein bisschen mehr der Spaß im Vordergrund steht. Leider geht die Entwicklung genau in die andere Richtung, der Umgangston wird immer rauer, die Rudelbildungen nehmen immer mehr zu.

Streibert: Es muss menscheln auf dem Platz, ich glaube, das ist unabhängig von der Ligenhöhe und der Bedeutung der Partie wichtig. Ich bin zum Beispiel jemand, der während des Spiels schon auch mal das Gespräch mit den Spielern sucht. Ich bin mir nicht zu schade, einzugestehen, dass ich mir bei einer Szene nicht ganz sicher war. Genau mit dieser Ehrlichkeit nimmt man die Schärfe aus einer Diskussion. Vor ein paar Wochen hatte ich in der Vorarlbergliga eine Elfmetersituation, die für mich auf dem Feld kein Strafstoß war. Hinterher habe ich mit Spielern und Vereinsvertretern in Ruhe über die Entscheidung diskutiert, und da hat sich dann die Meinung herauskristallisiert, dass es sicher keine klare Fehlentscheidung war, aber dass ich auch auf Elfmeter entscheiden hätte können. Diese Gespräche sind wichtig, weil man sich in Zivil völlig anders begegnet. Man muss als Schiedsrichter wissen, dass man nicht als Person angefeindet wird, sondern in seiner Rolle als Schiedsrichter. Solange die Emotionen in einem vertretbaren Rahmen bleiben, kann ich und können, glaube ich, die allermeisten Schiedsrichter mit Protesten umgehen.

Felix Streibert muss bei der Partie Lochau gegen Hard dem Gäste­trainer Herbert Sutter Gelb zeigen. <span class="copyright">Beate Rhomberg</span>
Felix Streibert muss bei der Partie Lochau gegen Hard dem Gäste­trainer Herbert Sutter Gelb zeigen. Beate Rhomberg

Würde es mitunter Sinn machen, dass Spieler, die vom Platz fliegen, während ihrer Sperre selbst ein Spiel leiten müssen, zum Beispiel auf Nachwuchsebene?
Winsauer: Das ist aufgrund der aktuellen Bestimmungen nicht möglich, aber der Ansatz ist nicht uninteressant.

Streibert: Ich muss ein wenig schmunzeln, denn mit dieser Frage nehmen Sie einen Vorschlag vorweg, den ich bei diesem Interview diskutieren wollte.

Winsauer: In unserer Arbeitsgruppe „Schiedsrichter 2025“ haben wir einen Ansatz, der in diese Richtung geht. Und zwar sollen Teilnehmer von Trainerkursen zwei, drei Spiele im Nachwuchs leiten.

Streibert: Das finde ich gut, ich würde mir aber wirklich wünschen, dass auch die gesperrten Spieler ein Spiel leiten müssen, zumindest diejenigen, die aufgrund von Schiedsrichterkritik vom Platz fliegen. Ich glaube nämlich, dass bei den Spielern und den Trainern, die ständig am Kritisieren sind, eine Lernkurve einsetzen könnte, wenn sie zum Beispiel ein U14-Spiel leiten müssen. Dann spüren sie am eigenen Leib, wie schwierig es ist, in der Sekunde eine Entscheidung treffen zu müssen.

Winsauer: Ich bin bei einem Verein für die Vereinsschiedsrichter zuständig. Wenn ich dabei mal einen Spieler bitte, ein Nachwuchsspiel zu pfeifen, machen die das genau ein Mal, hinterher sagen eigentlich alle: Bitte frag mich nie wieder, es war der reinste Horror. Viele bemerken bei einer Spielleitung nämlich, dass sie überhaupt nicht regelsicher sind, außerdem erfahren sie, wie unangenehm es ist, wenn man als Schiedsrichter permanent von außen kritisiert wird. Es stimmt also schon, Spielleitererfahrungen können das Verständnis der Spieler für die Aufgabe des Schiedsrichters erhöhen.


Was soll und kann die Arbeitsgruppe „Schiedsrichter 2025“ erreichen?
Winsauer: Wir wollen bis zum Jahr 2025 die Zahl der Schiedsrichter von aktuell 120 auf 180 steigern, denn nur so ist eine geregelte Spielbetriebsabwicklung möglich. Es scheiden ja immer wieder Schiedsrichter aus Altersgründen aus – oder aus privaten oder beruflichen Gründen. Ich bin bei der Arbeitsgruppe beratend tätig, als Bindeglied zwischen dem VFV und dem Schiedsrichterkollegium und stehe dabei im intensiven Austausch mit VFV-Sportdirektor Andi Kopf. Wir haben mit eingeladenen Vereinen, dem Verband, der Struma und Schiedsrichtern zusammen einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, um das Schiedsrichterwesen kurz-, mittel- und langfristig attraktiver zu machen. Denn es reicht ja nicht, mehr Menschen für das Schiedsrichterwesen zu gewinnen, sondern es gilt vor allem, sie dann in weiterer Folge auch zu halten. Ganz wichtig ist uns auch, mehr Frauen für das Schiedsrichteramt zu gewinnen. Ich bin mir sehr sicher, das würde dem Fußball sehr guttun.

Medial wurde nach der Vorstellung der Maßnahmen bei einer Pressekonferenz diese Attraktivierung des Schiedsrichterwesens vor allem auf die Erhöhung der Honorare reduziert.
Winsauer: Das habe ich als sehr schade empfunden, denn das ist nur ein Aspekt. Das Schiedsrichterhonorar wurde seit 2016 nicht mehr erhöht, das hat für immer mehr Unmut unter den Schiedsrichtern gesorgt. Das Honorar war einfach nicht mehr zeitgemäß, es stand in keiner Relation zum Aufwand. Mit dieser Honorarerhöhung um knapp 25 Prozent konnten wir verhindern, dass wir kurzfristig noch mehr Schiedsrichter verlieren. Eine langfristige Maßnahme war, die Schiedsrichterausbildung in die VFV-Trainerakademie einzubinden, das soll die Ausbildungsqualität erhöhen. Dank einer Kooperation mit dem ASVÖ entfallen außerdem die Kurskosten für Schiedsrichter-Aspiranten, wenn die Anmeldung über einen Verein erfolgt – und da sprechen wir von 300 Euro. Das reduziert die Schwelle, sich für einen Schiedsrichterkurs anzumelden. Eine strategisch ganz wichtige Entscheidung war auch, dass die Schiedsrichterneulinge im ersten Jahr einen Paten zur Seite gestellt bekommen, mit dem sie mindestens drei Spiele absolvieren und der für sie auch eine persönliche Anlaufstelle ist, um über die Erlebnisse auf und neben dem Platz zu sprechen. Viele Jungschiedsrichter hören nämlich nach den ersten Spielleitungen wieder auf. Weil sie die Ereignisse auf dem Platz belasten und es nicht verarbeiten und einordnen können, dass sie 90 Minuten von allen Seiten kritisiert werden – und sich auch nach dem Spiel noch einiges anhören müssen.


Streibert: Ich bin als Marketing- und Medienreferent bei der Arbeitsgruppe dabei und will dafür sorgen, dass die Schiedsrichter in der Öffentlichkeit präsenter werden. Wann wird über die Schiedsrichter berichtet? Wenn Fehler passieren, wie bei der Bundesligapartie zwischen LASK und Austria Lustenau. Sind die Spielleitungen gut, und das trifft auf die überwiegende Mehrzahl der Spiele zu, wird über den Schiedsrichter nicht gesprochen. Dadurch entsteht ein stark verzerrtes, sehr negatives Bild. Ich bin der Überzeugung, dass die Spieler gleichermaßen wie die Fans davon profitieren würden, wenn sie mehr über unsere Arbeit als Schiedsrichter wüssten. Weil sie dann verstehen könnten, wie viel hinter einer Spielleitung steckt, und im Idealfall begreifen, dass Schiedsrichter auch mal private Sorgen mit aufs Spielfeld nehmen und das eben, wie beim Spieler, zu Leis­tungsschwankungen führt.

Wie wäre es mit einer regelmäßigen Kolumne über das Schiedsrichterwesen in der NEUE?
Winsauer: Das ist eine wunderbare Idee, die ich gleich hier und jetzt im Namen der Arbeitsgruppe annehmen möchte.

Streibert: Vielen Dank für dieses Angebot. Ich finde, dass eine Kolumne ein ausgezeichnetes Kommunikationsmittel ist, Regeln näherzubringen, auf Entscheidungen einzugehen und generelle Einblicke zu geben. Schiedsrichter müssen endlich wahrgenommen werden. Und sie müssen raus aus der Rolle des Buhmanns, denn sie opfern für ihr Hobby viel Freizeit und, ich sage es noch mal, ermöglichen so überhaupt erst den Spielbetrieb. Es geht nur miteinander, das muss in die Köpfe aller rein.