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Wie KI, Sicherheit und das Bundesheer zusammenhängen

27.05.2023 • 23:00 Uhr / 9 Minuten Lesezeit
<span class="copyright">philipp steurer</span>
philipp steurer

Im zweiten Teil des Gesprächs mit Vorarlbergs Militärkommandant Gunther Hessel geht es um Künstliche Intelligenz, gesellschaftliche Spaltung und die Bedeutung von Sicherheit.

Herr Brigadier, beim letzten Mal haben wir unter anderem über aktuelle Bedrohungen gesprochen. Ist künstliche Inteligenz in dieser Hinsicht auch ein Thema?
Gunther Hessel: Als Militärexperte bin ich dazu aufgerufen, Sicherheit als Ganzes zu sehen und zu beurteilen. Künstliche Intelligenz birgt große Chancen in allen Bereichen, aber auch Gefahren, zum Beispiel im Zusammenhang mit Information. In dieser Hinsicht kann sie sehr gut zur Manipulation benutzt werden – es gibt ja bereits den Begriff „Deep Fake“, wo zum Beispiel in Interviews Protagonisten wie Politikern Worte in den Mund gelegt werden, die sie so nie gesagt haben. Nur spezialisierte Experten mit bestimmten Tools können das als Fälschung erkennen.

Es geht also um Täuschung?
Hessel: Ja, aber nicht nur. Meiner Meinung nach gibt es in Sachen KI drei Risikofaktoren: Erstens die Überwachung, das sieht man am Beispiel China. Dort wird der Bewegungsradius von Menschen, die sich etwa nicht regierungskonform verhalten, mittels künstlicher Intelligenz massiv eingeschränkt. Diese können vielleicht im Supermarkt um die Ecke einkaufen, sich aber kein Zugticket mehr in eine andere Stadt kaufen, nicht mehr als zehn Liter tanken, oder ihre Social-Media-Kontakte werden gesperrt.
Weiters kann es eine Bedrohung mit militärischem Aspekt geben, da fährt dann etwa der Lkw vor, die Türen springen auf, und tausend Minidrohnen schwirren aus, von denen jede ein Gesicht und Adressen eingespeichert hat, um Menschen gezielt zu töten. So kann man etwa Regimekritiker ausschalten, politischen Forderungen und Erpressungen Nachdruck verleihen oder auch einfach Angst und Schrecken unter der Bevölkerung verbreiten.


Und drittens?
Hessel: Der dritte Risikofaktor wird immer aktueller und ist subtil gefährlich, es geht um die gezielte Spaltung der Gesellschaft, zum Beispiel durch Extremisten oder Gruppierungen, die destabilisieren wollen. Da spielen soziale Medien mittlerweile eine große Rolle. Mittels Deep Fake und/oder glaubwürdig aufbereiteten Argumentationsketten kann man bestimmte Gruppen erreichen und bestimmte Botschaften verbreiten. So werden Menschen emotional angetriggert und auf eine Seite gezogen. Algorithmen sorgen dafür, dass eine Gruppe immer wieder ähnliche, bestätigende Botschaften empfängt, dadurch wird man immer überzeugter von der Sache. Gleichzeitig erhöht sich der Spalt zu anderen Gruppen, welche eine andere Meinung haben, aber in ähnlichen Social-Media-Gruppen zu Hause sind. Es gibt schon Studien, die zeigen, dass der Mensch neuerdings dazu tendiert, nur jenen zuzuhören, denen er sich zugehörig fühlt. So können sich Gruppen mit bestimmten politischen oder kulturellen Anschauungen bilden, die andere Gruppen mit anderer Meinung zunehmend ablehnen.

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philipp steurer

Und eine Gruppe mit anderer Meinung wird zum Feind?
Hessel: Genau, so eine Dynamik kann sich relativ schnell entwickeln. Das ist so gefährlich, weil eine Gesellschaft, die nicht in sich geschlossen ist, von extremistischen Kräften noch schneller gegeneinander aufgebracht und somit destabilisiert werden kann. Diese Spaltungstendenzen finden sich übrigens auch in der Sicherheitsjahresvorschau des Verteidigungsministeriums, sind also keine theoretische, sondern eine in Ansätzen schon beobachtete Gefahr. Auch Bürgermeister berichten mir zum Teil von solchen, Gott sei Dank noch sehr kleinen, aber doch Spaltungstendenzen in ihren Gemeinden seit Corona.
Sehr real wurde das ja auch während der Pandemie – da wurde sichtbar, dass Sicherheit für die Menschen eine teilweise sehr unterschiedliche Bedeutung hat.
Hessel: Richtig, dort konnte man das sehr gut beobachten, wenn es zum Beispiel um Ausgangssperren oder insbesondere die Impfung ging. Das war sehr ­emotional, es entstanden zwei Lager, und diese haben sich natürlich beide auch nur über ihre entsprechenden ­Kanäle informiert. Da wurde kaum hinterfragt und auch zu wenig differenziert, auf beiden Seiten.

Inwieweit betrifft dies aber das Militär?
Hessel: Das österreichische Bundesheer ist das letzte Back-up für jede Krise, also müssen wir uns auch mit allen möglichen ­Bedrohungen auseinandersetzen. Schon allein, weil wir uns ­darauf gezielt vorbereiten müssen, und außerdem sollen wir ja auch die Politik darüber informieren, was gefährlich werden kann. Je früher wir die Bedrohungen einschätzen, und je besser wir uns darauf vorbereiten können, umso eher können wir als Staat den Frieden bewahren. Wir Soldaten wissen, was Krieg bedeutet, und darum sind wir wahrscheinlich die größten Pazifisten überhaupt und achten extrem auf gefährliche Entwicklungen.

Was aber kann man dieser Spaltung nun entgegensetzen?
Hessel: Da gibt es ein paar ganz entscheidende Faktoren. Erstens: Sicherheit ist nicht nur Aufgabe der Polizei oder des Bundesheers, sondern Sache jedes Einzelnen. Und das fängt schon damit an, wie ich mit meinem Umfeld umgehe und auf es einwirke. Bin ich jemand, der positiv, interessiert, neugierig ist und Neuem nicht ablehnend gegenübersteht? Der ausgleichend, tolerant und verständigend ist? Oder bin ich eher ablehnend, negativ emotional und vorverurteilend, und gehe ich schnell in Konflikte? So kann jeder Einzelne an Spaltungstendenzen mitwirken oder aber Friedensarbeit verrichten.

„Immer leichtere Desinformation erfordert immer gründlichere Aufklärungsarbeit.“

Bgdr. Gunter Hessel, Militärkommandant

Und die weiteren Schlüssel?
Hessel: Ganz wichtig ist, die Gesetzgebung muss einen klaren Rahmen schaffen, etwa Kennzeichnung von Deep Fakes, man muss wissen, wenn man mit KI kommuniziert, oder wenn eine Entscheidung durch KI getroffen wurde. Weiters wären die Technologien nach menschlichen Werten und Bedürfnissen zu formen.
Entscheidend ist auch der persönliche Umgang mit Medien, insbesondere mit Social Media. Es ist wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass man zu einem bestimmten Thema vielleicht einfach ungenügend informiert ist. Dann sollte man sich nicht gleich emotional auf eine Seite schlagen. Es gilt, Informationskanäle zu analysieren, Informationen kritisch zu hinterfragen und sich auch andere anzuhören. Die Grundintelligenz sollte einem eigentlich sagen, dass Extrempositionen nie die Wahrheit sein können. Grundsätzlich gilt: Immer leichtere Desinformation erfordert immer gründlichere Aufklärungsarbeit.

Für viele ist es wahrscheinlich schwierig, aus ihren Mustern auszubrechen.
Hessel: Ja, dafür braucht der Mensch eine gewisse Reife und Achtsamkeit. Emotionale und soziale Intelligenz sind hier wichtige Stichworte. Zu erkennen, dass die eigene Emotion angetriggert wird, man aber nicht nur aus dieser besteht. Ein wenig aus dem eigenen Ego rauszugehen und sich zu fragen, muss ich mich immer selbst verteidigen, positionieren, verwirklichen? Das Egozentrierte muss abgelegt werden, dann erkennt man, dass man ein integraler Teil der Gesellschaft ist – und die kann nur funktionieren, wenn sich ­möglichst viele positiv einbringen.

Gibt es noch einen dritten Schlüssel?
Hessel: Ja, und dieser ist mir ein ganz besonderes Anliegen: Bildung. Wenn ich mit verschiedenen Wissenschaftlern darüber rede, sind wir uns praktisch immer einig: Bildung muss neu gedacht werden. Wissen ist überall abrufbar, was wir in Zukunft brauchen, sind positive, stabile Persönlichkeiten. Das heißt, die Schulen müssen sich Persönlichkeitsentwicklung als oberstes Ziel auf die Fahnen heften. Themen wie emotionale und soziale Intelligenz, Umgang mit Medien, politische Bildung, Wertevermittlung wären entscheidend. Wir brauchen bewusste und achtsame Persönlichkeiten, die sich in den Dienst der Gesellschaft stellen, die differenziert und ausgleichend, über Interessengruppen hinweg, agieren können. Wir Menschen müssen mit den steigenden weltweiten Herausforderungen als integre Persönlichkeiten mitwachsen, nur so können wir den Frieden und die Sicherheit für uns alle wahren.