Kein Platz für den kleinen Theodor

Martina Bickel aus Feldkirch-Tosters versteht die Welt nicht mehr.
Das muss ein Versehen sein, dachte sich Martina Bickel, als sie Ende April von der Stadt Feldkirch darüber informiert wurde, dass ihr Sohn Theodor einem Kindergarten in Feldkirch-Gisingen zugeteilt wird. Denn die alleinerziehende Mutter wohnt gar nicht in Gisingen, sondern im benachbarten Stadtteil Tosters, nur wenige Gehminuten von einem Kindergarten entfernt.
Umgehend rief sie im Rathaus an, schilderte ihre persönliche und berufliche Situation, schickte E-Mails an die zuständige Abteilung und an die verantwortliche Stadträtin, sogar ihre Eltern brachten sich ein und sprachen beim Tostner Ortsvorsteher vor.
Ohne Erfolg
Vor etwa einer Woche kam die Mitteilung, dass ihr Änderungswunsch nicht berücksichtigt werden kann. Auch im zweiten Kindergarten in Tosters – diesen besuchte die 28-Jährige einst selbst – fand sich kein Platz für den kleinen Theodor, der im Juli vier Jahre alt wird. „In dem Schreiben der Stadt wurden eigentlich nur die Kriterien für die Zuteilung erklärt, auf meine persönliche Situation ist man jedoch überhaupt nicht eingegangen“, ärgert sich die junge Frau.
Es war nicht die erste Absage für Martina Bickel. Schon im vergangenen Jahr hatte sie erfolglos um einen Kindergartenplatz angefragt. Dabei war sie damals sehr optimistisch. „Ich dachte mir, dass ich als alleinerziehende, berufstätige Mutter schon einen Platz bekomme.“ Ihr Sohn, damals drei Jahre alt, kam dann noch kurzfristig in einer Spielgruppe unter. Allerdings in Götzis, wo Martina Bickel in Teilzeitanstellung als Projektmanagerin arbeitet.

70 Kinder
Die Geschichte der Feldkircherin ist kein Einzelfall. Sie steht stellvertretend für viele Eltern, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Die Zahlen für das kommende Betreuungsjahr 2023/24 sprechen für sich. Laut NEUE-Anfrage gab es in der Altersgruppe der Dreijährigen bislang 930 Anmeldungen. In 105 Fällen hatten Eltern – so wie Martina Bickel – Änderungswünsche hinsichtlich des zugeteilten Kinderbetreuungsplatzes. Davon konnten 70 nicht erfüllt werden. In der Altersgruppe der Ein- bis Zweijährigen – hier gibt es noch keinen Versorgungsauftrag – haben die Eltern von 100 Kindern keine Zusage für einen Platz einer städtischen Kleinkindgruppe erhalten.
Das viel zu knappe Platzangebot in den Kinderbetreuungseinrichtungen ist allerdings kein Feldkircher Problem. In Dornbirn, der einwohnerstärksten Stadt Vorarlbergs, ist die Situation nicht viel besser. Dort konnten knapp 80 Kinder nicht im gewünschten bzw. wohnortnächsten Kindergarten untergebracht werden. Entspannter scheint die Situation in Bregenz zu sein, wo dies nur auf 6 von 740 Kindergartenkinder zutrifft.

Gründe für Misere
Was sind Gründe für die Kinderbetreuungs-Misere? „Extrem verschärft“ habe sich die Problematik durch das neue Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz, sagt Nathalie Koch, ressortverantwortliche Stadträtin in Feldkirch. „Mit so einer Entwicklung in so kurzer Zeit können die Plätze und vor allem das Personal nicht mithalten. Es wurde unterschätzt, was hier auf die Kommunen noch alles zukommt.“ Sie begrüße zwar den Hintergedanken des Gesetzes, die Umsetzung stelle aber vor allem große Gemeinden wie Feldkirch vor enorme Herausforderungen. Koch würde sich wünschen, dass der Versorgungsauftrag für die zweijährigen Kinder von 2025 auf das Jahr 2026 „oder besser noch auf 2027“ verschoben wird. „So hätten wir zumindest eine Chance, mit den jetzt gesetzten Maßnahmen den Anforderungen gerecht zu werden.“
Einen weiteren Grund für das immer knapper werdende Platzangebot nennt auf Anfrage Ulrike Porod, Leiterin der Abteilung Sport, Schule und Kinderbetreuung im Amt der Stadt Feldkirch. Ihren Angaben zufolge ist die Zahl der Kinder mit erhöhtem oder besonders hohem Förderbedarf stetig angestiegen. „Das Gesetz sieht vor, dass für diese Kinder spezielle Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Je nach Art des Förderbedarfs stehen dann pro Gruppe vier oder sieben Plätze weniger zur Verfügung.“
Kritik an Sozialplanung
Im Stadtteil Tosters, der in den vergangenen Jahren rasant gewachsen ist, wird aber auch immer wieder Kritik an der Sozialplanung laut. Martina Bickel sieht hier ebenfalls Versäumnisse. „Es wird ein Wohnblock nach dem anderen gebaut, doch die soziale Infrastruktur wächst nicht bedarfsgerecht mit. Wer plant hier bitte, und worauf setzt Feldkirch seinen Fokus? Familienfreundlichkeit und Kinder sind es wohl eher nicht.“
Könnte die alleinerziehende Mutter nicht auf ihre Eltern zurückgreifen, müsste sie ab Herbst ihre Arbeitszeit reduzieren. Dabei wollte sie doch von 25 auf 30 Stunden aufstocken. „Aufgrund der längeren Fahrtzeit und der Busverbindungen geht sich das Hinbringen und Abholen nicht mehr aus, da komme ich nicht auf meine Stunden“, sagt sie. Doch Martina Bickel treiben noch andere Sorgen um. Sie befürchtet, dass ihr Sohn den Anschluss im Dorf verlieren könnte und dadurch in der Schule zum Außenseiter wird. Denn anders als bei der Kinderbetreuung gilt im Schulbereich das Sprengelsystem. Das heißt, dass Theodor nach seiner Kindergartenzeit in Gisingen im Stadtteil Tosters in die Volksschule gehen wird.

Facebook-Posting
Weil sie sich ihren Ärger von der Seele schreiben und auf den Missstand aufmerksam machen wollte, teilte die 28-Jährige ihre Erfahrungen auf Facebook. Knapp 90 Kommentare zeigen, wie brisant das Thema ist. Einige Verfasserinnen befinden sich in einer ähnlichen Situation. „Ich wollte auch, dass mein Sohn in den Kindergarten Alvier in Tosters gehen kann, und nun haben wir einen Platz in Nofels bekommen. Jetzt müssen wir zwangsläufig mit dem Auto fahren. Wo das klima-, familien- und kinderfreundlich ist, frage ich mich echt“, schreibt Eva Ulmer.
Eine andere Mutter, Sabrina Peter, beklagt, dass ihre Tochter nicht denselben Kindergarten besuchen darf wie ihr großer Bruder. Martina Bickel hat jetzt eine Whatsapp-Gruppe erstellt, um sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen.