Akzente für die jüngere Kulturgeschichte

Interview. Der Direktor des Vorarlberg Museums, Andreas Rudigier, folgt einem Ruf nach Innsbruck. Der Verlust für die Vorarlberger Szene ist unschätzbar groß.
Herzlichen Glückwunsch zur Übernahme der Tiroler Landesmuseen zum 1. Dezember 2023. Was werden Sie in Innsbruck haben, was Sie in Bregenz nicht haben?
Andreas Rudigier: Die Tiroler Landesmuseen besitzen enorm starke Sammlungen, wie vor allem die Kunstgeschichte, die Volkskunde, die Musikaliensammlung, die Naturkunde, die Bibliothek und darüber hinaus mit dem 2018 eröffneten Sammlungs- und Forschungszentrum in Hall ein fantastisches Depot für die ganze Sammlung, bei welchem Objekte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem Ort sind. Für mich persönlich auch sehr interessant ist die Nähe zur Universität, habe ich doch seit jeher die Kooperation mit den Universitäten gesucht. Sehr reizvoll ist auch die Aussicht, beim Neubau des Ferdinandeums (die Pläne von Marte. Marte. Architekten liegen vor) mitwirken zu können.
Was werden Sie am meisten vermissen?
Rudigier: Ganz klar die Menschen im Museum und um das Museum herum!

Wie haben Sie das Vorarlberg Museum im April 2011 übernommen?
Rudigier: Mit einem Büro in der Studiensammlung, das neue Vorarlberg Museum befand sich gerade im Bau. Die Situation war keine einfache, mehrere Stimmen (auch öffentlich) sprachen von einem Himmelfahrtskommando. Das Museum war im Bau, das Bespielungskonzept existierte hingegen nicht, es war gerade mal eine taugliche Ausstellung entwickelt worden, das Team war auseinandergefallen. Wir sind aber rasch in die Gänge gekommen und konnten im Juni 2013 fulminant starten.
Was waren die Highlights ihrer Ausstellungstätigkeit am Kornmarktplatz, was waren jene Schauen, die Ihnen am meisten am Herzen liegen?
Rudigier: Beide Archäologieausstellungen (die neue Maßstäbe in Österreich und darüber hinaus setzten), „Sein&Mein (wie klingt Vorarlberg)“, „Vorarlberg. ein Making-of“, die Felder-Ausstellung, die soziale Plastik zum Thema Flucht von Ines Agostinelli, viele Atriums-Ausstellungen (Tone Fink, Mariella Scherling, Johannes Ludescher), die Kabinettausstellung zu Egon Goldner, Romane Thane, der Fall Riccabona, Stoph Sauters Aberglaube, Sagmeisters Beauty, die sensationelle Krippensammlung, viele mehr, die hier keinen Platz mehr finden, bis hin ganz aktuell zur Ausstellung „Direkt“ mit unserer Outsider-Sammlung und die nun eröffnete Ausstellung zu Foto Hiller und die kommende Ausstellung zu Paul Renner. Dazu kommen eine Reihe von Ausstellungen außerhalb des Museums mit und bei unseren Kooperationspartnern.
Wie bewerten Sie die zeitgenössische Kunst in Vorarlberg im nationalen und internationalen Vergleich?
Rudigier: Das Urteil maße ich mir nicht an, habe ich doch nie ein Hehl daraus gemacht, mich in der zeitgenössischen Kunst nicht auszukennen. Wir haben mehrere Kolleginnen, die über ausgezeichnetes Wissen dazu verfügen und in der Szene gut vernetzt sind. Jedenfalls haben wir keinem Themenbereich derart viel Aufmerksamkeit geschenkt wie eben der zeitgenössischen Kunst. Bis zu fünf Ausstellungen pro Jahr (als Personalen, im Kollektiv) und im Schnitt alle vier Monate eine Publikation, entweder nur von uns oder in Kooperation. Dabei war es uns auch wichtig, Vorarlberger Künstler und deren Werk durch Aufnahme in österreichische Verlagsprogramme im ganzen Land zu verbreiten. Vielmehr scheint mir nicht drin für ein Landesmuseum, das ja die Kulturgeschichte der letzten 10.000 Jahre zum Inhalt hat.
Was hatten Sie für ein Verhältnis zum Bregenzer Kunsthaus, zu den heimischen Galerien, zum Rohnerhaus und anderen?
Rudigier: Zu den anderen Museen und Ausstellungshäusern hatten und haben wir ein gutes Verhältnis, wie gerade die vielen gemeinsamen Ausstellungsprojekte zeigen. Es gibt kaum ein Haus in Vorarlberg, mit dem wir nicht gemeinsam etwas „angestellt“ hatten. Die heimischen Galerien waren für uns leider kein geeigneter Partner, wurden wir vom Bund doch nicht mit einer Galerienförderung begünstigt. Der Bund hat hier die Vorstellung, nur einem Haus in Vorarlberg eine solche Förderung zukommen zu lassen, und das ist bei uns das Kunsthaus.
Ist das Vorarlberg Museum jene Landesgalerie für die Vorarlberger Künstler geworden, die immer wieder gefordert wurde?
Rudigier: In unseren Augen definitiv, wenn wir die Anlässe zum gemeinsamen Treff zum Maßstab nehmen, die wir in den letzten zehn Jahren ermöglicht haben. Gleichzeitig muss man wissen, dass wir zum Typus eines Universalmuseums (ohne Natur) zählen und nicht ein „Haus der Geschichte“ oder eine „Landesgalerie“ sind, um die zwei bekanntesten Typen landesgeschichtlicher Spartendarstellung zu nennen. Wir verstehen Museum oder Landesgalerie jedenfalls als dynamischen Begegnungsort und nicht als statischen Erinnerungsort und bewegen uns da sicher am Puls der Zeit. Eine Landesgalerie neben dem Museum (und dem Kunsthaus) hätte schwierige Voraussetzungen, weil die Definition dafür erst geschaffen werden müsste: Nur für zeitgenössische Kunst oder Werke ausgehend vom Mittelalter zeigen? Welche Sammlung steht zur Verfügung? Wer stellt dann Kauffmann, Wacker und Co. aus? Wenn die Sammlung des Landes Maßstab ist, dann müsste bei der Landesgalerie auch die Sammlungspflege mitgedacht und ein zweiter Apparat aufgebaut werden, und was ist, wenn das Landesmuseum auch mal ein Bild ausstellen möchte? Wer entscheidet? Je nach Charakter der Leitungspersonen ist Krach vorprogrammiert. Jedenfalls erweist sich das Prinzip der Landesgalerie in den österreichischen Bundesländern als schwierig, oder nennen Sie mir ein gut funktionierendes Beispiel? Ich habe jedenfalls Landesgalerien angesehen, mit den handelnden Personen gesprochen und (hinter vorgehaltener Hand) keine positiven Beurteilungen dieses Prinzips zu hören bekommen.

Was erfüllt Sie mit Zorn? Was hat Sie in Ihrer Direktorenschaft, die über ein Dutzend Jahre dauert, besonders geärgert?
Rudigier: Zorn war nie dabei, Ärger schon, vor allem das fehlende Vertrauen vorgesetzter Menschen hat diesen ausgelöst, gerade wenn sie uns immer wieder geprüft haben, nach dem Motto, irgendwas muss man doch finden. Aber das Museum und seine tollen Kolleginnen und Kollegen sind so sauber, wie es die Einrichtung noch nie war, und das Land darf stolz auf die hier tätigen Menschen sein.
Was sind die Aufgaben eines Museums, das den Namen eines Bundeslandes im Titel trägt?
Rudigier: Oh da verweise ich auf die von ICOM International 2022 verabschiedete neue Museumsdefinition, die uns genau sagt, worum es geht: „Ein Museum ist eine dauerhafte Einrichtung, die keinen Gewinn erzielen will, öffentlich zugänglich ist und im Dienst der Gesellschaft und deren Entwicklung steht. Sie erwirbt, bewahrt, beforscht, präsentiert und vermittelt das materielle und immaterielle Erbe der Menschheit und deren Umwelt zum Zweck von Studien, der Bildung und des Genusses.“ Die Definition ist sinngemäß und inoffiziell, weil sie noch nicht in einer autorisierten deutschen Übersetzung vorliegt. Der immaterielle Bezug ist zum Beispiel neu aufgenommen worden und im Vorarlberg Museum seit der Neueröffnung nicht mehr wegzudenken. Und der Bezug auf das Bundesland bedeutet, dass das hier angesprochene Tun und Verhalten in unserem Fall eben auf Vorarlberg zu beziehen ist.
Wie übergeben Sie das Haus an Ihren Nachfolger? Was soll Ihr Nachfolger können müssen?
Rudigier: Meine Nachfolgerin beziehungsweise mein Nachfolger kann sicher auf ein starkes Team und den guten Ruf des Hauses bauen. Menschen mögen, neugierig sein, mutig sein, Respekt haben, guten Ideen nicht im Wege stehen, nicht eitel sein, Leidenschaft für die Sache, kein Populismus, Kritik und Druck aushalten, sich also auch nicht hetzen lassen… aber ich halte mich da ganz sicher raus und werde keine „guten Tipps“ geben.