Eine Partei für den Sachwalter

Die Vorsitzwahl hat sich für die Sozialdemokratie zum Desaster entwickelt. Fehler passieren, das muss man auch der SPÖ zugestehen – aber nicht solche.
Dass Hans Peter Doskozil am Montagnachmittag nicht nur seine Niederlage am Parteitag nachträglich eingestand, sondern sich auch um Schadensbegrenzung bemühte, war angesichts des Desasters rund um die verpatzte Abstimmung zwar einigermaßen selbstlos, aber gleichzeitig auch ein trauriger Versuch, ein brennendes Gebäude mit einem Zahnputzbecher voll Mitleid zu löschen. Die SPÖ hat sich als Partei an diesem Tag bankrott erklärt. Und sie wir lange brauchen, um darüber hinweg zu kommen – wenn sie es je schafft.
Man mochte noch lächeln, als die Sozialdemokratie nach der Ausgerufenen Mitgliederbefragung um den Vorsitz zunächst verhindern konnte, dass eine von Scherzbolden nominierte Giraffe für den Posten kandidierte. Dass nun auf der Suche nach einer verlorenen Stimme im zweiten Wahlgang am Parteitag festgestellt werden musste, dass die SPÖ auch keine Abstimmungen durchführen kann, lässt jedoch jeden erfahrenen Beobachter der politischen Landschaft einigermaßen fassungslos zurück.
Ich habe mich vor einigen Tagen sehr geärgert, als ich im Vorspann der Titelseite der NEUE Andreas Babler versehentlich zum Drittplatzierten der Mitgliederbefragung gemacht hatte. Wir sind eine kleine Zeitung und leider ist es in der Nachkontrolle nicht aufgefallen. Der Fehler war allein der meinige. Und Fehler passieren leider, das muss man auch der SPÖ zugestehen – aber nicht solche. Beim Bundesparteitag einer staatstragenden politischen Partei darf es nicht nur einen geben, der am Ende die Ergebnisse auswertet und in ein Excel-Dokument einträgt. Wir sprechen hier nicht nur von einem extrem peinlichen Fehler, sondern von einem Systemversagen, das sich in der österreichischen Sozialdemokratie breitgemacht hat. Wie kann es sein, dass nach monatelangen Grabenkämpfen und fliegenden Hackeln aus dem Burgenland plötzlich ein Mitgliederentscheid verkündet wird, ohne dass man sich auf die genauen Modalitäten einigt? Wie kann es sein, dass sich 70 Leute für den Vorsitz bewerben von denen am Ende drei übrigbleiben, weil man zwischendurch wieder die Regeln ändert? Wie kann es sein, dass man es am Ende nicht schafft, die Delegiertenstimmen am Parteitag auszuwerten? Und wie um alles in der Welt kann es sein, dass offenbar niemandem dieser Fehler aufgefallen wäre, wenn der ZiB-2-Journalist Martin Thür nicht darauf aufmerksam gemacht hätt, dass beim Endergebnis eine Stimme fehlt.
Der ganze Wahnsinn ist letztlich wohl nur deshalb aufgekommen, weil die SPÖ nicht nur keine Wahlen abhalten kann, sondern auch nicht weiß, wie man Stimmen addiert.
Gäbe es ein Konkursrecht für Parteien, die SPÖ wäre ein Fall dafür. In einem Land, in dem man von nicht klebenden Wahlkuverts bis hin zu Vizekanzlern im Feinrippunterleiberl, die die Republik verschachern möchten, vieles gewohnt ist, hat die SPÖ mit dieser Wahlfarce ein neues Kapitel in Sachen politischer Unfähigkeit aufgeschlagen. Bei jedem Menschen müsste man die Frage nach der Geschäftsfähigkeit stellen.
Die italienische Democrazia Cristiana war vor ihrem Zerfall in den 1990ern in einem vergleichsweise herzeigbaren Zustand. Was nun passiert ist, ist nicht vom Himmel gefallen. Man erntet nun vielmehr die Früchte des jahrzehntelangen Nepotismus in der Partei. Wenn Nichten von ehemaligen Geschäftsführern und Enkel von früheren Ministern versorgt werden mussten, gab es in der Sozialdemokratie lange kein halten. Die Partei war damit sicher nicht allein, aber sie büßt es nun gewaltig. Man hat im Mittelbau offenbar kein Personal mehr, das zum Plusrechnen fähig ist. Wenn sie sich diesem Problem nicht in aller Schärfe annimmt, wird von der SPÖ nicht mehr viel übrigbleiben als eine verbitterte Oppositionspartei aus Apparatschiks.
Dieses Systemversagen sollte auch eine Mahnung an die Postenschacher im Staatsdienst sein: Da wo diese Partei jetzt steht, hat sie ihre personelle Restlverwertung hingebracht.
Ob Andreas Babler nun die SPÖ führen kann, ist am Ende dieses roten Montags nur die zweitwichtigste Frage. Viel bedeutender ist jene nach der Existenzfähigkeit des sozialdemokratischen Trauerspiels. Wie will eine Partei Wahlen gewinnen, wenn sie keine abhalten kann? Die Ereignisse vom Montag treiben wie Schockwellen durch die Landes- und Ortsgruppen. Sie machen einen Zustand offenbar, den auch der geübteste Parteistratege nicht mehr weglächeln wird können. Die SPÖ muss in Wahrheit abgerissen und neugebaut werden. Ob Babler dazu im Stand ist, wird sich weisen. Bisher fiel er vor allem durch fragwürdige Doppelbezüge als Gemeindemitarbeiter und Bürgermeister sowie dezent jenseitige Feststellungen zur EU als schlimmstem Militärbündnis aller Zeiten auf. Das mag zur SPÖ so gut passen wie jene Abgeordneten, die sich bei der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Nationalrat durch Geburtstagsfeten und ähnliches verleugnen ließen anstatt zu ihrer traurigen Appeasementpolitik gegenüber dem russischen Aggressor zu stehen – ein tragfähiges Rezept für die Zukunft ist es eher nicht.
Die beiden widerstreitenden Parteiflügel haben nicht nur keinen Ausgleich gefunden, die desolate Parteiorganisation beide Kandidaten nachhaltig beschädigt. Während Hans Peter Doskozil nun hoffen muss, dass ihm die burgenländischen Wähler seinen Ausflug in den Bund nicht nachtragen und er weiterhin der Oberbauer auf seinem politischen Gut Aiderbichl bleiben darf, muss Babler die Scherben dieses Zustandes, der sich eine Partei nennt, zusammenkehren. Ob das gelingt, und wie lange es gegebenenfalls dauern wird, steht in den Sternen.
Es kann natürlich sein, dass Andreas Babler durch saftige Forderungen aus dem linken Eck der FPÖ das Wasser abgräbt und die SPÖ auf einen Höhenflug bringt, der alles Gewesene vergessen lässt. Aktuell sieht es aber eher danach aus, als bräuchte die Partei eine Herzdruckmassage.