Allgemein

„Man kann immer von Null anfangen“

09.06.2023 • 20:09 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Inhaber Mahmoud Aljardi und Fotos von Frühstücksteller, ihm beim Verkaufen und den Regalen, dem Geschäft
Inhaber Mahmoud Aljardi und Fotos von Frühstücksteller, ihm beim Verkaufen und den Regalen, dem Geschäft

Dieses Café Wolfurt hat seit diesem Jahr einen neuen Betreiber. Mahmoud Aljaratli bringt mit arabischen Spezialitäten frischen Wind hinein.

Auf den ersten Blick scheint alles beim Alten zu sein. Der Name und der Standort am Wolfurter Marktplatz sind noch jeweils der gleiche wie im Sommer 2016, als der Bioladen dort das erste Mal geöffnet hatte. Bioprodukte sind hier auch immer noch im Regal aneinandergereiht. Doch beim Betreten des Lokals fallen doch Veränderungen auf.

Beim Avocadoteller hatte der Koch bei der Entwicklung das Säurespiel im Kopf.  <span class="copyright">Hartinger (3)</span>
Beim Avocadoteller hatte der Koch bei der Entwicklung das Säurespiel im Kopf. Hartinger (3)

Neuer Betreiber

Es steht der neue Geschäftsführer Mahmoud Aljaratli an der Theke und schneidet Avocados für den Frühstücksteller. Er hat das Lokal übernommen, nachdem sich Anfang Jahr die Genossenschaft, die das Dreierlei vorwiegend mit ehrenamtlichen Mitarbeitern betrieben hatte, aufgelöst hatte. Das Problem sei gewesen, dass Mitarbeiter gefehlt hätten und dadurch der Laden zuletzt nur noch bis Mittag offen gehabt hatte, erzählt der neue Betreiber.

Normalerweise sind es nicht sie, die unter dem lauschigen Baum am Marktplatz am Frühstückstisch sitzen, sondern sie bereiten Frühstück für die Gäste zu. <span class="copyright">Hartinger</span>
Normalerweise sind es nicht sie, die unter dem lauschigen Baum am Marktplatz am Frühstückstisch sitzen, sondern sie bereiten Frühstück für die Gäste zu. Hartinger

Doch dem Wahlwolfurter war wichtig, dass der Bioladen mit Café dem Dorf erhalten bleibt. Seit er dort in der Küche steht und an der Theke verkauft, haben sich das Speisenangeobt und die Öffnungszeiten ausgeweitet.

Der Orangensaft zum Frühstück ist frisch gepresst. <span class="copyright">Hartinger</span>
Der Orangensaft zum Frühstück ist frisch gepresst. Hartinger

Auf der Tafel über dem Brotregal, wo Dinkel- und Roggengebäck aufgereiht ist, sind verschiedene Frühstücksvariationen mit Kreide notiert, wie etwa Avocado mit Granatapfel und Feta oder auch selbstgemachter Hummus. Doch nicht nur am Morgen wird hier mittlerweile der Hunger durch den gelernten Koch gestillt. Neu ist: Mittags gibt es immer ein veganes oder vegetarisches Menü. Meist ist es ein Eintopf, Couscoussalat oder eine Suppe – teilweise aus heimischen Produkten verfeinert mit arabischen Gewürzen.

Mittags gibt es ein veganes oder vegetarisches Menü. <span class="copyright">Hartinger</span>
Mittags gibt es ein veganes oder vegetarisches Menü. Hartinger

Familienbetrieb

Dieses Mal schöpft Mahmoud Aljaratli Linsendal mit einer Kelle auf den Basmatireis in die Take-Away-Gläser der Kunden. So wird Verpackungsmüll gespart. Nicht nur dort dreht es sich im Dreierlei um die Reduktion von Müll. Im Topf landet das Gemüse, das auch im Bioladen verkauft wird. Denn manche Gemüsesorten wie etwa Mangold oder Paprika können für den Verkauf nur in großen Mengen bestellt werden. Damit jedoch so wenig Müll wie möglich anfällt, wenn dieses nicht in den Einkaufstaschen der Kunden landet, wird es dann einfach zu Speisen verarbeitet – wie etwa zu einer Quiche oder einer Suppe. Eigentlich wäre das Dreierlei bei dem Onlineanbieter „Too Good to Go“ eingetragen, bei dem Kunden über eine App kurz vor Ladenschluss Essensreste verbilligt kaufen können. Doch bisher sei nie etwas übrig geblieben, welches sie über die App anbieten hätten können, erzählt die Ehefrau des Betreibers Yasemin Aljaratli.

Frisches Gemüse. <span class="copyright">Hartinger</span>
Frisches Gemüse. Hartinger

Sie ist als Mutter derzeit noch in Karenz, hilft aber im Laden mit. Während die Küche sein Lieblingsort ist, backt sie vermehrt oder kümmert sich um den Verkauf. Ihr liegt vor allem Nachhaltigkeit und die Reduktion von Müll und Verpackungen am Herzen. Hier ortet die Boku-Absolventin Verbesserungsbedarf und möchte zukünftig das Produktangebot verfeinern. Derzeit gibt es schon die Möglichkeit, trockene Produkte aus einer verpackungslosen Station abzufüllen.

Um Verpackungsmüll zu reduzieren, gibt es Getreide und Co. zum Abfüllen. <span class="copyright">Hartinger</span>
Um Verpackungsmüll zu reduzieren, gibt es Getreide und Co. zum Abfüllen. Hartinger

Durch verpackungsfreie Produkte und wenig Lebensmittelabfall sei es vermehrt möglich, sich Bioprodukte zu leisten, ist sie überzeugt. „Wenn ich darauf achte, nichts wegzuwerfen, kann ich auch mal zwei Euro mehr zahlen“, meint die Wolfurterin. Zudem ist etwa Reis in großen Packungen billiger, weil man nicht die Verpackung mitzahlen muss. Ihrem Mann liegt besonders am Herzen, dass etwa der Reis nicht in Verbindung mit Kinderarbeit hergestellt wird.

"Bio ist nicht gleich Bio", so Yasemin Aljaratli. Denn im Supermarkt würde es Biozitronen etwa im Netz zu kaufen geben. <span class="copyright">Hartinger</span>
"Bio ist nicht gleich Bio", so Yasemin Aljaratli. Denn im Supermarkt würde es Biozitronen etwa im Netz zu kaufen geben. Hartinger

So bringen beide eigene Schwerpunkte ein. Meist sind die zwei jedoch nicht gleichzeitig im Geschäft anwesend. Sie wechseln sich mit der Arbeit und der Kinderbetreuung ab. Gemeinsam haben sie zwei Töchter, ein einjähriges und ein vierjähriges Mädchen. Kennengelernt hat sich das Paar ebenfalls durchs Kochen – er hat bei einer Veranstaltung im Wolfurter Cubus gekocht und die 31-Jährige war dort zu Gast.

Er bietet immer noch derartige Caterings an, dann bekocht er auch mal bis zu 100 Personen. Im Dreierlei hingegen bewirtet er nur acht Sitzplätze – aufgrund der fehlenden Toilette sind nicht mehr erlaubt. Auch beim Speisenangebot wird er durch Komplikationen bei den Betriebsgenehmigungen eingeschränkt. Sein Talent für Falafel kann der 34-Jährige im Dreierlei dadurch gar nicht beweisen – denn durch die fehlende Lüftung darf er dort nicht braten oder frittieren.

Sonst sind sie nicht beide im Dreierlei. Sie wechseln sich ab mit Arbeit und Kinderbetreuung. <span class="copyright">Hartinger</span>
Sonst sind sie nicht beide im Dreierlei. Sie wechseln sich ab mit Arbeit und Kinderbetreuung. Hartinger

“Ich habe im Krieg alles verloren”

Der 34-Jährige hat immer schon eine Leidenschaft fürs Kochen gehabt, hat es früher jedoch nicht beruflich ausgeübt. Darüber hinaus war es sein Traum, selbstständig zu sein. Vor dem Schritt, ein eigenes Café und Bioladen zu betreiben, habe er keine Angst gehabt. „Ich habe im Krieg alles verloren. Man kann immer wieder bei Null anfangen“, erzählt der gebürtige Syrer, der seit acht Jahren in Vorarl­berg wohnt. Er ist aufgrund des Militärs übers Mittelmeer nach Griechenland geflüchtet, weil er nicht kämpfen wollte. „Wenn ich diese Entscheidung nochmals treffen müsste, würde ich sie nicht nochmals treffen“, erinnert er sich an die gefährliche Flucht mit dem Boot zurück, die er mit der Erfahrung nicht nochmals auf sich nehmen würde. Eigentlich war Vorarlberg nie sein Endziel, doch als durch ein fehlendes Visum in arabischen Ländern mehrere Monate lang nur Schwarzarbeit möglich gewesen wäre, war sein „einzig möglicher Weg“ nach Europa.

Yasemin Aljaratli backt selbst Kuchen. <span class="copyright">Hartinger</span>
Yasemin Aljaratli backt selbst Kuchen. Hartinger

Ebenso in Vorarlberg war es für ihn erst nicht einfach, in die Arbeitswelt zu starten. Denn er musste vollkommen neu beginnen. In Syrien hatte er in der Textilfirma von seinem Vater Kleidung produziert. In Österreich wurde ihm sein Lehrabschluss nicht anerkannt. Statt dieselbe Ausbildung ein zweites Mal zu absolvieren, entschied er sich für eine Kochlehre im Pier 69 in Bregenz. Später stand er im Bahi in Bregenz und im Kinderhaus Höchst als Koch am Herd. Schon dort hat er die Gerichte aus Bioprodukten zubereitet. Mittlerweile ist er Betreiber des Dreierleis und unterstützt seine Familie in Syrien monatlich mit Geld.