Was macht heute einen Mann zu einem Mann?

Eine deutsche Studie hat die vergangene Woche für reichlich Diskussionen gesorgt. Demnach verkörpern junge Männer traditionelle Rollenbilder und befürworten Gewalt in der Beziehung.
Wer die vergangenen Tage Medien konsumiert hat oder durch den Newsfeed auf Social Media Plattformen gescrollt ist, kam an einem Thema leider kaum vorbei: Gewalt an Frauen. Erst wurden erschreckende Vorwürfe sexueller Übergrifflichkeiten gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann laut. Wenige Tage später war unabhängig davon eine deutsche Studie der Organisation Plan International zur Männlichkeit in aller Munde. Das scheinbar immer noch herrschende veraltete Männlichkeitsbild in Deutschland sorgte für Aufruhr.

Darüber hinaus wurde ebenso in Frage gestellt, ob diese Studie repräsentativ ist, also den Standards wissenschaftlicher Kriterien entspricht. Besonders die geringe Anzahl der Befragten, nämlich 1000 Männer und 1000 Frauen und die Auswahl dieser war Gegenstand der Kritik. In Vorarlberg etwa wäre die Anforderung laut dem Frauenzentrum Femail 400 Befragte für eine derartige Studie die Vorarlberg.
Vorarlberg hat jedoch etwa 394.300 Einwohner, Deutschland hingegen 84 Millionen. In der Methodikbeschreibung der Studie selbst heißt es, dass die amtlichen Statistiken Quoten-Vorgabe für die Stichprobe beachtet wurden.
Ob die Studie repräsentativ ist, müsste erst genauer unter die Lupe genommen werden. Was jedoch klar ist: Die Ergebnisse haben eine öffentliche Diskussion über Geschlechterrollen ausgelöst. Doch müssen Männer immer noch groß, stark, muskulös und Ernährer sein?
Die zwei starken Geschlechter
„Die Geschlechterrollen sind konservativ“, schätzt Geschäftsführerin Lea Putz-Erath vom Frauenzentrum Femail die Lage in Vorarlberg ein. „Stereotype Bilder von Männlichkeit sind leider nach wie vor präsent“, bestätigt dies auch Geschäftsführerin des Vereins Amazone Angelika Atzinger. Das beeinflusse sowohl die Vorstellung der Mädchen von Männlichkeit als auch das Streben der Jungs danach. „Geschlechterstereotype Bilder sind in unserer Gesellschaft tief verankert – stereotype Eigenschaften wie „Männer sind stark“ und „Frauen sind emotional“ sind leider in unser aller Köpfen noch präsent“, berichtet sie von ihren Erfahrungen aus dem Mädchenzentrum. Sie nehme aber auch wahr, dass das zunehmend reflektiert werde, insbesondere auch von Jugendlichen.

Die Geschlechterrollen befinden sich derzeit also im Wandel. Das bestätigt auch Putz-Erath. Sie meint, dass sich die Rollen verändern würden. Es gebe mehr Männer, die Teilzeit anfordern und diverse Familienmodelle wie Alleinerziehende, Regenbogenfamilien, zwei berufstätige Eltern oder Patchwork. Diesen Vorbildern fehle es jedoch an Sichtbarkeit, die essentiell sie um Veränderung herbeizuführen. Auch Christian Hofer vom Ehe- und Familienzentrum nimmt vermehrt Männer wahr, die reduziert arbeiten und die Familienarbeit teilen. Er betont jedoch, dass zu ihm in die Männerberatung vor allem Männer kommen, die reflektiert sind.

Männer wollen sowohl liebevolle Partner und Väter sein und gleichzeitig sich selbst verwirklichen, meint Hofer. Die Entwicklung hin zu modernen Geschlechterrollen kann aber auch zu Verwirrung und Unsicherheit führen und Druck auslösen. Etwa wenn in Marvel-Filmen immer mehr Heldinnen auf der Kinoleinwand und in der realen Welt Frauen in allen Jobsparten auftauchen, kann dies bei Männern Angst verursachen, wie der Leiter der Männerberatung erzählt. „Das Selbstbewusstsein von Frauen ist viel stärker als es womöglich bei den Eltern war“, ergänzt er. Damals hätte die Mama sich womöglich nicht so getraut etwas zu sagen und der Vater sei noch das Familienoberhaupt gewesen. „Dann kann Angst entstehen, dass es nicht nur ein einziges starkes Geschlecht, sondern es noch ein anderes starkes Geschlecht gibt“, so Hofer.

Chuck Zlotnick Image
Männer werden vermehrt mit neuen Erwartungen konfrontiert, sowohl gefühlsvoll zu sein als auch die Frau zu unterstützen, schnell nach der Geburt wieder im Beruf Fuß fassen zu können. Gefühle zeigen ist jedoch immer noch Frauensache. 71 Prozent der befragten jungen Männer der Studie von Plan International glauben, persönliche Probleme selbst lösen zu müssen, ohne um Hilfe zu bitten. 53 Prozent der Teilnehmer sagten zudem, es sei ihnen unangenehm, über ihre Gefühle zu sprechen.
Hofer beobachtet den Wunsch bei Männern, Gefühle zeigen zu können und eine gleichzeitige Angst vor der Reaktion der anderen und davor, die Stellung in der Partnerschaft zu verlieren. Doch junge Männer hätten meist den Umgang mit den eigenen Gefühlen zu wenig gelernt. Das fängt schon im jungen Alter an, wenn in der Erziehung einen Unterschied zwischen Mädchen und Buben gemacht wird oder gelehrt wird, dass ein Bub keine Schwäche und Gefühle zeigen darf. Wie wenn etwa Mädchen länger getröstet werden, nachdem sie gestürzt sind. Zu Beginn würden Burschen auch männlichen Vorbilder fehlen, da in Kindergarten und Volksschule meist weibliche Pädagogen arbeiten, so Hofer.
„Über einen Mann, der daheim strickt und Wäsche aufhängt, aber nicht weiß, wie man den Gartenzaun repariert und zwei linke Hände hat, über den wird auch getuschelt.“
Christian Hofer, Leiter Männerberatung in Ehe- und Familienzentrum
Zwischen den Stühlen
Die Anforderungen, mit denen Männer nun konfrontiert werden, bringen diese in einen Zwiespalt. Dadurch, dass sich die Gesellschaft im Wandel befinde, würden gleichzeitig neue und alte Eigenschaften erwartet werden, beschreibt Hofer, wie die Männer zwischen den Stühlen stehen. Es sei eine Herausforderung, einerseits ein moderner und feinfühliger Mann zu sein, aber auch die alten Rollen des starken Mannes und Ernährer zu verkörpern. „Über einen Mann, der daheim strickt und Wäsche aufhängt, aber nicht weiß, wie man den Gartenzaun repariert und zwei linke Hände hat, über den wird auch getuschelt.“
Wenn die eigenen vier Wände nicht sicher sind
Besonders die Ergebnisse der Studie „Spannungsfeld Männlichkeit“ zur Gewalt in Beziehungen haben für Aufruhr gesorgt. Laut der Studie von Plan International sollen 34 Prozent der befragten Männer gegenüber der Partnerin schon mal handgreiflich geworden sein, um Respekt einzuflößen und jeder Dritte empfindet es als akzeptabel, wenn beim Streit gelegentlich die Hand ausrutscht.
Ein Blick auf andere Erhebungen zeigt, dass diese Zahlen nicht absurd sind.
„Gewalt von Männern an Frauen im häuslichen Kontext ist weltweit eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen und stellt die häufigste schwere Menschenrechtsverletzung dar“, so die Leitung der Gewaltschutzstelle Angelika Wehinger. „Die Familie ist kein sicherer Ort, im Gegenteil: Für Frauen stellen die eigenen vier Wände den gefährlichsten Ort da. Laut der „Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich“ ist jede dritte Frau in Österreich von körperlicher und oder sexueller Gewalt betroffen. Auch in Vorarlberg ist es ähnlich: laut der Studie des Frauenzentrums Femail von 2020 sind 40 Prozent der befragten Frauen von psychischer Gewalt, wie immer wiederkehrende verbale Attacken etwa, betroffen. Gewalt steht im engen Zusammenhang mit Macht.
„Gewalt wird genutzt, um die Machtungleichheit in Beziehungen aufrechtzuerhalten und das patriarchale System zu stabilisieren“, erklärt Wehinger. Abhängigkeiten, wie etwa finanzielle, können den Ausstieg aus gewaltsamen Beziehungen erschweren. Voraussetzung für ein gewaltfreies Leben sei vor allem Geschlechtergerechtigkeit, betont Lea Putz-Erath von Femail.

Fallzahlen gestiegen
Doch wer denkt, dass durch den derzeitigen Wandel in Sachen Gleichberechtigung und Geschlechterrollen die Gewalt abgenommen hat, wird mit einem Blick auf die Statistik besserem belehrt. Die Zahl der betroffenen Menschen, die sich an die ifs Gewaltschutzstelle wendeten, ist in den vergangenen Jahren angestiegen. 2020 waren es noch 795 Klienten und Klientinnen und 2022 waren es 935. Auch die Zahl der Betretungs- und Annäherungsverbote hat österreichweit und in Vorarlberg zugenommen. 202 waren es im Ländle noch 425 und 2022 518. „Das bedeutet, dass die Polizei in Vorarlberg teilweise mehr als ein Mal pro Tag aufgrund häuslicher Gewalt einschreiten muss“, so Wehinger.
Dabei sind mehr als 80 Prozent der Opfer Frauen, knapp 90 Prozent der gefährdenden Personen Männer. Besonders hoch ist die Gefahr von Gewalt dann, wenn sich Frauen entscheiden zu trennen oder sich gerade getrennt haben. Auch bevorstehende wichtige Ereignisse, wie Gerichtstermine, Scheidung, Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren können die Eskalationen begünstigen. Dabei stammen die Täter aus allen Schichten und Kulturen, wie Wehinger erzählt. „Häusliche Gewalt ist unabhängig von finanziellem Status, Bildung und Herkunft.“
