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„Das Leben kostet immer mehr“

16.08.2023 • 19:08 Uhr / 14 Minuten Lesezeit
Babler und Leiter kritisieren Bundes- und Landesregierungen. <span class="copyright">Steurer</span>
Babler und Leiter kritisieren Bundes- und Landesregierungen. Steurer

Der neue SPÖ-Bundesparteivorsitzende Andreas Babler und der designierte Landesparteichef Mario Leiter sprechen über die Teuerung, den Ärztemangel und warum man sich nicht vor Vermögenssteuern fürchten soll.

Wie läuft Ihre Bundesländertour bisher?
Andreas Babler: Den offiziellen Start hatten wir vor ein paar Tagen in Kärnten. Heute wollen wir in allen Bezirken in Vorarlberg haltmachen. Es gibt Treffen mit Funktionären, öffentliche Termine und Betriebsbesuche. In der Bundespolitik gab es früher eine gewisse Abgehobenheit vom Leben und den richtigen Sorgen. Wir haben in der Sozialdemokratie zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine Trendumkehr, mit einer Beitrittswille an Menschen, die sich politisch einbringen wollen, aber auch zusätzlichen Veranstaltungen. Es geht darum, diesen Trend zu bestärken. Wir hatten auf der Tour bisher eine gute Stimmung. Es ist eine Gelegenheit sich den Menschen vorzustellen, aber auch zuzuhören.

Von der politischen Themenlage her dominieren aktuell Themen, die klassischerweise die SPÖ anspricht: Wohnkosten, Lehrer- und Pflegekräftemangel oder der Ausbau der Kinderbetreuung. Dennoch ist die SPÖ in Vorarlberg bisher ein eher homöopathisches Phänomen. Wie kann es gelingen, hier zu punkten?
Babler: Diese Themen werden breiter diskutiert, seit ich SPÖ-Vorsitzender bin. Es ist wichtig, dass es Konzepte gibt, um mehr Gerechtigkeit herzustellen. Die Leute können sich das Leben nicht mehr leisten. Die Sozialdemokratie knüpft hier an und sagt: Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass man jeden Tag in der Früh aufsteht, arbeiten geht und trotzdem nicht weiß, wie man den Wohnraum, den täglichen Einkauf oder den Schulausflug des Kindes noch finanzieren kann. Ich bin hier sehr klar in der Sprache und verknüpfe das durch meine Geschichte auch mit einer Glaubwürdigkeit. Die Sozialdemokratie will zeigen: Wir sind die, die an der Seite der Vielen eingreift. Die Bundesregierung tut nichts, das weiß auch jeder.

Mario Leiter: Ich bin selbst im gemeinnützigen Wohnbau aufgewachsen und vermisse, dass in der Politik sonst niemand die Menschen fragt: Wie geht es dir? Wie kannst du deine Wohnung oder deine Ausbildung finanzieren? Zur Würde des Menschen gehört für mich: Man muss mit einer Vollzeitbeschäftigung die Miete bezahlen, eine Familie ernähren und die Bildung der Kinder sicherstellen können. In diesem Bereich macht mir die Landesregierung viel zu wenig. Das Leben in Vorarlberg kostet immer mehr. Man muss an zusätzlichen Preisschrauben drehen. Beim Strompreis hat man etwas getan, aber er ist immer noch zu hoch. Wir brauchen einen Mindestnettolohn auf Landesebene. Da kann das Land zumindest für die Gemeinde- und Landesbediensteten vieles Regeln. Jeder sollte wenigstens 2000 Euro netto bekommen. Die Lehrergehälter müsste man um 30 Prozent anheben – Bildung ist der Schlüssel zur Zukunft unserer Kinder. Auch die Ganztagsschule gehört endlich umgesetzt, mit einer vernünftigen Nachmittagsbetreuung. Es kann ja nicht sein, dass die Vorarlberger Eltern fünf Millionen Euro im Jahr für Nachhilfe ausgeben.

Wie kann es der SPÖ gelingen, diese Themen auch zu platzieren? Wir haben die höchste Inflation seit Jahrzehnten, aber alle reden übers Bargeld in der Verfassung.
Leiter: Das ist wirklich lächerlich!

Babler: Manche führen lieber Scheindiskussionen. Wenn wir übers Geld reden, müssen wir uns die großen Fragen stellen und auch über Gerechtigkeit sprechen. Warum steigen die Kreditzinsen immer sehr schnell, aber die Sparzinsen nicht? In einer Zeit, in der die Banken während einer Krise riesige Zusatzgewinne machen, müssen wir eingreifen. Es ist eine unglaubliche Ungerechtigkeit, wenn man Gewinne auf Kosten jener macht, die ihr Konto überziehen müssen, weil sie sich den täglichen Einkauf nicht mehr leisten können.

Der 50-jährige Andreas Babler wurde nach Problemen bei der Stimmauszählung im Juni zum neuen SPÖ-Vorsitzenden gekürt. <span class="copyright">Steurer</span>
Der 50-jährige Andreas Babler wurde nach Problemen bei der Stimmauszählung im Juni zum neuen SPÖ-Vorsitzenden gekürt. Steurer

Dann begrüßen Sie die Verbandsklage, die der für Konsumentenschutz zuständige Bundesminister Johannes Rauch gegen die Banken anstrengen lässt?
Babler: Man muss sich fragen, warum er so lange zugeschaut hat. Schon während der Coronapandemie konnte man erleben, dass die Banken auf Kosten unserer Leute Geld gemacht haben. Die Sozialdemokratie hat hier Konzepte auf den Tisch gelegt: Wir fordern etwa Mehrwertsteuersenkungen auf Grundnahrungsmittel. Wenn man über die Grenze fährt, zahlt man für dieselben Lebensmittel in Deutschland etwa 16 Prozent weniger, weil wir nicht bereit sind, in Österreich konkrete Maßnahmen zu setzen, wie etwa die Aussetzung der Mehrwertsteuer. Es braucht eine Preiskommission, die kontrolliert und in einer Zeit der Hochinflation auch eingreift.

Liegt der Grund für die höheren Lebensmittelpreise nicht auch an den höheren Löhnen in Österreich? In Deutschland sitzen zum Teil Pensionisten an der Supermarktkassa, weil sie von ihrer Rente nicht leben können.
Babler: Nein, wir brauchen gerechte Löhne, damit man sich das Leben leisten kann. Das Probem ist ein anderes: In Österreich gibt es eine sehr hohe Konzentration im Lebensmittelhandel. Drei bis vier Anbieter teilen sich den Markt untereinander – der Wettbewerb funktioniert hier nicht wie er soll. Gleichzeitig ist es so, wie Mario sagt: Die Leute stehen in der Früh auf und wissen nicht, wie sie sich ihr Leben noch leisten können. Das geht bis in den Mittelstand hinein: Die Wohnkredite schnellen in die Höhe. Alle die einen variablen Zinssatz haben, machen sich derzeit große Sorgen. Wir brauchen aber auch einen Mietpreisdeckel.

Leiter: Mich stört, dass sich die Politik mit Sorglosdebatten beschäftigt: Was ist „normal“? Soll das Bargeld in die Verfassung? Das sind nicht die Themen, die die Bevölkerung beschäftigen. Obendrein will der Wirtschaftsbund wieder ein Magazin mit Inseraten starten. Das ist skandalös. Zuerst heißt es, es wird darin 15 Prozent Inserateanteil geben – dann sagt der Geschäftsführer des Wirtschaftsbundes, dass es vielleicht auch 20 Prozent sein können. Wo ist da das Limit? Und wo ist der Landeshauptmann, der eingreift? Man muss die Wirtschaft vor diesem System des Wirtschaftsbundes schützen. Es hat dem Standort Vorarlberg massiv geschadet. Im April 2022 hat Markus Wallner erklärt, dass das Magazin eingestellt wird. Und jetzt kommt es wieder? Die Menschen fragen sich, ob sie noch von ihrer Arbeit leben können, während der Wirtschaftsbund bei einer drohenden Rezession lieber Inserategelder aus den heimischen Unternehmen ziehen will.

„Man muss die Wirtschaft vor diesem System des Wirtschaftsbundes schützen.“

Mario Leiter, SPÖ Vorarlberg

Eine zentrale Forderungen von Ihnen, Herr Babler, ist die Rückübertragung der Selbstverwaltung der Krankenkassen in die Hände der Arbeitnehmervertreter. Wie stellen Sie sich diese Reform vor?
Babler: Es geht weniger um eine strukturelle Reform als um ein Zurückholen der Selbstverwaltung. Die Krankenkassen sind Arbeitnehmerschutzorganisationen. Es geht daher um das Recht auf eine kostenlose Gesundheitsversorgung. Im Gesundheitsbereich ist in den letzten Jahren viel schiefgegangen. Man hat sich etwa nicht die Frage gestellt, welchen Bedarf es geben wird. Die Zahl der Hausärztinnen und -ärzte sinkt, die Zahl der Wahlärztinnen und -ärzte kennt man hingegen nicht einmal. Viele davon arbeiten aber gar nicht hauptberuflich, sondern nebenbei noch in den Spitälern. Kein Bürger dieses Landes versteht es, wenn er am morgen die Zeitung aufschlägt und eine Schlagzeile über den Ärztemangel liest und eine andere darüber, dass tausende junge Menschen nicht Medizin studieren dürfen. Wenn jemand einen Facharzttermin braucht, muss es innerhalb von 14 Tagen in einer zumutbaren Entfernung einen geben. Die arbeitenden Menschen sind doch keine Bittsteller. Wir haben jetzt die Situation, dass unsere Leute unter Schmerzen keine Termine bekommen. Man muss hier auch bei den Primärversorgungszentren etwas tun.

Die Interviewgäste beim Durchblättern der NEUE. <span class="copyright">Steurer</span>
Die Interviewgäste beim Durchblättern der NEUE. Steurer

Muss man dafür die Macht der Ärztekammer einschränken?
Babler: Man muss einfach den Anspruch haben, dass man vom Bittstellertum wegkommt. In manchen Bereichen muss man einen drei- oder vierstelligen Betrag über den Tisch schieben, damit man einen Termin bekommt. Das Ziel der ÖVP dürfte es wohl gewesen sein, dass man die Einnahmen der privaten Zusatzversicherungen in die Höhe treibt. Das ist ein riesiges Geschäftsfeld geworden, die Einnahmen der Privatversicherungen sind in den letzten Jahren um die Hälfte gestiegen. Die ÖVP hat die Krankenkassen stückweise zerschlagen, wir wollen das wieder reparieren.

Leiter: Ich habe vor zwei- drei Wochen einen offenen Schlagabtausch mit der Ärztekammer geführt, weil sie meiner Ansicht nach die Wahlärzte privilegiert hat. Ich bin nicht gegen Wahlärzte, aber die Kammer hat alle Mediziner zu vertreten. Ich habe mich dann mit dem Präsidenten der Ärztekammer ausgesprochen und wir sind beide der Meinung, dass es mehr Kassenstellen braucht. Wir brauchen auch ein Stipendiensystem wie in Niederösterreich, wo man als Medizinstudent unterstützt wird, wenn man sich verpflichtet, danach für einige Jahre in einer Ordination am Land zu arbeiten. Wir planen im Herbst eine Antragswelle im Landtag, mit Vorschlägen, die das Leben der Menschen in Vorarlberg wieder besser und leistbarer machen sollen.

Babler: Ich spiele jetzt kurz den Journalisten …

Oje.

Babler: Es gibt nämlich noch eine wichtige Zusatzfrage: Was ist mit dem Respekt gegenüber den Menschen, die krank sind und denjenigen, die in Gesundheitsberufen arbeiten? Es wird sich ja niemand einen Pflegeberuf antun, nur weil es zusätzliche Ausbildungsplätze gibt, wenn die körperliche und psychische Belastung so hoch bleibt, wie sie es aktuell ist. Wir müssen die Arbeitsbedingungen an vielen Stellen verbessern. Ich erinnere mich daran, dass die Vorarlberger Medien vor einigen Wochen verkündet haben, man werde alle Schulstunden besetzen können. Dann kommt der Bildungsminister daher und fordert den Einsatz von Milizsoldaten im Unterricht. Ich war selbst einmal Angehöriger des Bundesheeres, aber was sagt so etwas über den Respekt gegenüber Lehrerinnen und Lehrern aus? Die haben jahrelang studiert. Es ist doch eine Respektlosigkeit, wenn man ihnen ausrichtet: Das kann auch jeder andere machen.

Kassenreform

Die von der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung unter Sebastian Kurz betriebene Kassenreform führte 2020 zwar zu einer Reduktion der Zahl der Krankenkassen, die damals propagierte „Patientenmilliarde“, die man durch die Fusion einsparen wollte, entpuppte sich jedoch als Luftschloss. Zu diesem Schluss kam auch der Rechnungshof, der 2022 feststellte, dass die Reform vielmehr zusätzliche Kosten in Höhe von 250 Millionen Euro verursacht hatte. Wie Babler kritisiert die von ÖVP-Gewerkschaftern geführte Arbeiterkammer Vorarlberg die Kassenreform, mit der auch die Vorherrschaft der Arbeitnehmervertreter zugunsten der Arbeitgebervertreter gebrochen worden war. Der Verfassungsgerichtshof hatte diesen Teil der Fusion aber als verfassungskonform bestätigt, da auch Unternehmen „Mitglieder“ der Krankenkassen seien.

Wer soll all Ihre Vorschläge bezahlen? Nachdem was die aktuelle Bundesregierung derzeit ausgibt, wird sich die nächste vermutlich eher mit einer Budgetsanierung als mit mehr Ausgaben beschäftigen müssen.
Babler: Wir wurden in den letzten Jahren von einer Clique dominiert, die der Meinung ist, dass Politik käuflich sein muss. Das war reine Klientelpolitik für die Superreichen. Wir fordern eine Vermögenssteuer, die nicht einmal das Vermögen angreifen soll, sondern nur den Zuwachs. Die 100 reichsten Menschen in Österreich konnten ihr Vermögen im vergangenen Jahr von 200 auf 210 Milliarden Euro steigern. Mit einer gerechten Vermögensbesteuerung, wie wir sie fordern, hätten sie noch immer 208 Milliarden. Mit dem Rest könnten wir vieles finanzieren, beispielsweise 60.000 zusätzliche Stellen in der Pflege und an den Schulen.

Aber die SPÖ fordert schon lange Vermögenssteuern und die Leute haben trotzdem die ÖVP gewählt.
Babler: Nein, das haben sie nicht.

Zumindest haben bei der letzten Nationalratswahl mehr Menschen für die ÖVP als für die SPÖ gestimmt.
Babler: Es gibt gute Gründe, warum die ÖVP in den Umfragen aktuell weit hinter uns liegt – mit einem Minus von 17 bis 18 Prozent. Die Leute haben gesehen, wie während der Pandemie Milliarden an die größten Unternehmen ausgeschüttet wurden, ohne dass man wusste, welche Kriterien es gibt. Die kleinen Fliesenleger, Gewerbetreibenden und Ein-Personen-Unternehmen mussten währenddessen schauen, wo sie hinkommen. Wir leben in einem Land, in dem 353.000 Kinder arm oder armutsgefährdet sind. Die Kinderarmut abzuschaffen, würde nicht viel kosten, nur ein Stück mehr Gerechtigkeit von den Superreichen.

Zum Schluss noch eine richtge Sommerloch-Frage: Wie stehen Sie zur Canabislegalisierung?
Babler:
Das ist wirklich eine Sommerlochfrage. Dazu gibt es keine Offensivforderung der SPÖ.

Leiter: Mein Ansatz war immer Therapie statt Strafe, aber wir führen andere Debatten mit mehr Nachdruck.