Ein Überblick zum Bauskandal

Seit einem Monat beschäftigt der Vorarlberger Bauskandal rund um Siemens und die KHBG die Ermittler ebenso wie die Öffentlichkeit.
1. Was ist passiert?
Ausgehend von Siemens sollen mehrere Unternehmen in Vorarlberg über Jahre hinweg durch falsche Rechnungen insgesamt in Millionenhöhe geschädigt worden sein, darunter die Krankenhausbetriebsgesellschaft (KHBG) und Hirschmann Automotive. Nach einer Sachverhaltsdarstellung von Siemens an die Staatsanwaltschaft fanden am 2. August mehrere Hausdurchsuchungen und Festnahmen statt.
2. Wie sollen die Taten abgelaufen sein?
Zum genauen Ablauf des Betrugssystems hüllen sich Ermittlungsbehörden und Land noch in Schweigen. Nach den vorliegenden Informationen dürfte es sich aber um ein Korruptionssystem auf Gegenseitigkeit gehandelt haben. Der Ablauf lässt sich am besten mit einem Beispiel erklären: Der beschuldigte ehemalige Siemens-Mitarbeiter soll von einem Dachdecker Arbeiten an seinem Privathaus vornehmen haben lassen, die anschließend vom Handwerker an eines der geschädigten Unternehmen weiterverrechnet wurden. Grundsätzlich sollen also die Auftragnehmer der geschädigten Unternehmen davon profitiert haben, dass ihnen von den zentralen Beschuldigten Aufträge zugeschanzt wurden. Diese wiederum konnten über die Auftragnehmer mutmaßlich private Kosten abrechnen und sich über Kick-back-Zahlungen bereichern. Nachdem einige Beschuldigte und Personen in ihrem Umfeld in der Immobilienbranche tätig waren, ergaben sich so Möglichkeiten, Reparaturen oder ähnliche Aufträge für sie kostenlos erledigen zu lassen. Tatsächlich soll einer der Beschuldigten versucht haben, die Rechnung für eine Reperatur nach einem Wasserschaden bei einem Pool an die KHBG zu legen – die NEUE berichtete. Ob jener Handwerker, von dem die Rechnung stammte, diese im Wissen um den Betrugsversuch an den Beschuldigten weiterreichte, ist unklar. Zur Gewährleistung der gegenseitigen Bereicherungen könnte auch beigetragen haben, dass bei der KHBG häufig dieselben Auftragnehmer zum Zug kamen, wie die Wirtschaftspresseagentur berichtete. Ein Unternehmer gab an, trotz Urgenz nie zur Legung von Angeboten eingeladen worden zu sein. Inwiefern das Ausschreibungsrecht bei der KHBG lückenlos beachtet wurde, ist Gegenstand von Prüfungen. Laut Land wurden „bisher keine Funktionsfehler“ des internen Kontrollsystems festgestellt.
3. Wie lange lief das schon so?
Als Anfangszeitpunkt der Tathandlungen wird derzeit das Jahr 2013 angenommen. Jener Siemens-Mitarbeiter, der im Zentrum des Systems gestanden haben soll, war insgesamt 30 Jahre lang als Sales-Manager beim Unternehmen beschäftigt – seit 2011 in führender Position. Die beschuldigten KHBG-Mitarbeiter arbeiteten ebenfalls seit Jahrzehnten im Unternehmen.
4. Wie hoch ist der Schaden?
Die Schadenshöhe liegt im Millionenbereich, ist aber insgesamt noch nicht absehbar. Zwei Unternehmer haben bisher Selbstanzeige erstattet und zur Wiedergutmachung des entstandenen Schadens bei Gericht Geld hinterlegt. Ein Elektroinstallationsunternehmer soll dabei eine Million Euro bezahlt haben, ein Spengler und Dachdecker 100.000 Euro – die NEUE berichtete. Jener ehemalige KHBG-Mitarbeiter, der als Nebentätigkeit ein Bauunternehmen betrieb, hinterlegte zunächst 240.000 Euro als Wiedergutmachung und erhöhte die Summe mittlerweile auf 500.000. Weitere Zahlungen wurden angekündigt. Das Bauunternehmen, an dem der Beschuldigte Hälfteeigentümer ist, wies 2021 ein Umlaufvermögen von über einer Million Euro aus, davon eine Viertelmillion als Kassenbestand oder Guthaben. Zuletzt zahlte auch der beschuldigte Siemens-Manager 119.400 Euro. Insgesamt wurden damit etwa 1,7 Millionen Euro zurückgezahlt. Die Schadenshöhe hat auch Auswirklungen auf die Ermittlungen: Sollte der vermutete Gesamtschaden eine Summe von fünf Millionen Euro übersteigen, könnte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Wien die Ermittlungen übernehmen.
5. Welche Unternehmen sind betroffen?
Neben Siemens, der KHBG und Hirschmann Automotive sollen laut „Standard“ auch das Festspielhaus Bregenz und die Alpenländische Heimstätte von den Machenschaften betroffen sein. Zu beiden Unternehmen besteht eine Verbindung mit dem ehemaligen Bregenzer Wohnbaustadtrat Wilhelm Muzyczyn (SPÖ), der zugegeben hat, ein Handy von Siemens erhalten zu haben, aber jede strafbare Handlung bestreitet, wie der „Standard“ und die „VN“ berichteten. Laut „Standard“ soll auch Siemens-Geld an einen Fußballverein geflossen sein, dessen Obmann Muzyczyn war. Außerdem könnte es laut einer Siemens-Anzeige beim Umbau des Hallenbades Bregenz zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Die Stadt hat Überprüfungen eingeleitet. In der Politik geht man unter vorgehaltener Hand davon aus, dass sich die Zahl der betroffenen Unternehmen deutlich erhöhen könnte – von bis zu 50 Geschädigten ist die Rede.
6. Gab es Disziplinarmaßnahmen?
Siemens soll insgesamt 16 Disziplinarmaßnahmen gegen Mitarbeiter verhängt und etliche von ihnen freigestellt haben. Auch bei der KHBG gab es diese Woche eine weitere Freistellung, wie die „VN“ berichteten.
7. Wie viele Beschuldigte gibt es?
Aktuell gibt es zehn Beschuldigte. Davon sitzen drei noch in Untersuchungshaft – die beiden entlassenen Mitarbeiter der Bauabteilung der KHBG und der ehemalige Siemens-Manager. Ein ehemaliger Hirschmann-Mitarbeiter und ein pensionierter KHBG-Mitarbeiter wurden hingegen enthaftet. Eine Beschwerde gegen die Entlassung des 74-jährigen Pensionisten aus der Untersuchungshaft wurde verworfen. Neben diesen fünf zentralen Beschuldigten gibt es die erwähnten beiden Selbstanzeiger aus dem Baugewerbe. Hinzu kommen noch drei weitere nicht näher bekannte Beschuldigte, gegen die auf freiem Fuß ermittelt wird. Auf NEUE-Anfrage teilte die Staatsanwaltschaft Feldkirch mit, dass es bezüglich der Zahl der Beschuldigten derzeit nichts Neues zu berichten gebe.
8. Wie verantworten sich die Beschuldigten?
Jener pensionierte KHBG-Mitarbeiter, der aus der U-Haft entlassen wurde, verweigerte nach den Feststellungen des Oberlandesgerichtes bisher die Aussage gegenüber den Ermittlern. Von vier Beschuldigten wurden als Wiedergutmachungen Zahlungen geleistet. Inhaltlich hat sich allerdings nur jener ehemalige KHBG-Mitarbeiter über seinen Anwalt zu Wort gemeldet, der mittlerweile eine halbe Million Euro an Wiedergutmachung geleistet und weitere Zahlungen angekündigt hat. Sein Mandant bereue, „dass er sich als Geschäftsführer seines privaten Unternehmens zu Straftaten hinreißen lassen habe“, zitierte NEUE-Gerichtsberichterstatter Seff Dünser den Anwalt. 2015 hatte der Beschuldigte in einem Interview mit den „VN“ zum Ausbau des LKH Feldkirch gemeint, die Zusammenarbeit mit externen Baufirmen und Partnern laufe „höchst erfreulich“. Der Beschuldigte habe aber nicht gewusst, dass dadurch auch die KHBG geschädigt werde, so sein Verteidiger. Dringt er mit dieser Sichtweise durch, würde er zumindest als unmittelbarer Täter einer Untreue ausscheiden.