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Chinas bedrohliche Muskelspiele

18.09.2023 • 13:24 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Hier alles nur Spaß. Armdrücken zweier chinesischer Studentinnen bei einer Militärübung in Guiyang
Hier alles nur Spaß. Armdrücken zweier chinesischer Studentinnen bei einer Militärübung in Guiyang Imago/NurPhoto

Für Chinas Staatschef Xi Jinping wäre die Eingliederung der demokratisch regierten Insel die Erfüllung eines Lebenstraums.

“Taiwan darf keine zweite Ukraine werden!”, ruft Terry Gou in die Menge, nachdem er seine Kandidatur für das Präsidentenamt bekannt gegeben hat. Der 72-jährige Selfmade-Milliardär ist eine schillernde Figur, seinen Reichtum verdankt er seinem Unternehmen Foxconn, dem wichtigsten Zulieferer und Endfertiger für Apple-iPhones. Gou versucht als unabhängiger Kandidat, die Politik in Taiwan aufzumischen.

Gezwungenermaßen, denn bei der Vorauswahl der national-konservativen Partei Kuomintang ist er bereits zum zweiten Mal durchgefallen. Jetzt muss Gou bis November knapp 300.000 Unterschriften für seine Kandidatur sammeln.

Warnung vor ukrainischen Verhältnissen

Der Wahlkampf in Taiwan hat noch gar nicht richtig begonnen, doch die plakative Warnung Gous vor ukrainischen Verhältnissen setzt schon mal den Ton für die Wahl Mitte Jänner nächsten Jahres. Die Schuld an der steigenden Kriegsgefahr mit China gibt Terry Gou übrigens der liberalen Präsidentin Tsai Ing-wen, deren Kritik an China angeblich alles noch schlimmer mache, als es ohnehin schon sei.

Der Präsidentschaftskandidat der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei DPP, Vizepräsident William Lai, will hingegen den chinakritischen Kurs von Präsidentin Tsai Ing-wen beibehalten, also de facto unabhängig sein, das Wort “Unabhängigkeit” aber nicht in den Mund nehmen. Mit anderen Worten: weitermachen wie bisher.

Mehrheit ist China egal

Laut Umfragen wollen das mehr als zwei Drittel der taiwanesischen Bevölkerung, ein Viertel hingegen will Taiwans Unabhängigkeit auch offiziell ausrufen und nur drei Prozent wollen den Anschluss an das kommunistische China. Vor allem die junge Bevölkerung Taiwans will mit China nichts mehr zu tun haben, während die Älteren noch emotionale und familiäre Bindungen ans Festland pflegen und China nicht so negativ sehen.

Wie hoch die Kriegsgefahr für Taiwan nun tatsächlich ist, lässt sich schwer abschätzen. Chinas Staatspräsident Xi Jinping scheint fest entschlossen, Taiwan noch zu seinen Lebzeiten an die Volksrepublik China anzuschließen. Notfalls auch mit Gewalt, was er schon mehrmals in Reden erwähnt hat. Die chinesischen Streitkräfte werden stark aufgerüstet. Mit zahlreichen Manövern vor Taiwans Küste versucht Chinas Volksbefreiungsarmee, Taiwan einzuschüchtern, Luftraumverletzungen durch die chinesische Luftwaffe sind beinahe schon Alltag. Erst gestern kam es zu einem neuen Höchststand an Einschüchterungsversuchen: 103 chinesische Militärflugzeuge drangen in Taiwans Luftraum ein.

Krieg als Ablenkungsmanöver

Doch China steckt mitten in einem Wirtschaftsabschwung, Xi Jinping hätte eigentlich genug damit zu tun, das Wirtschaftswachstum wieder in Schwung zu bringen. Solange die Wirtschaft schwächelt, werde China keinen Krieg anzetteln, sagen viele Experten vor allem aus dem Bereich der Wirtschaft. Politstrategen hingegen halten eine Wirtschaftskrise eher für einen Kriegsauslöser. Nach dem bewährten Rezept aus dem Lehrbuch für Diktatoren: Kriege beginnen, um von internen Problemen abzulenken.

Für Xi wäre die Wiedervereinigung mit Taiwan ein wichtiger Schritt in der Erfüllung seines “Chinesischen Traums”, so nennt er das Streben Chinas zur Weltmacht. Damit hat er auch sein politisches Schicksal mit der Taiwan-Frage verknüpft, ein Aufschieben oder die Weitergabe des Konflikts an die nächste Generation kommt für ihn nicht mehr infrage.

Die bisherige Ein-China-Politik, also die Feststellung, dass es nur ein China geben könne, ohne dabei zu sagen, welches China nun gemeint sei, diese Politik hat den Konflikt um Taiwan in den letzten Jahrzehnten bloß eingefroren. Eine endgültige und friedliche Lösung scheint mit der Ein-China-Formel nicht erreichbar.

Alles ist China

Chinas Anspruch auf Taiwan stützt sich vor allem auf die Ereignisse im Jahr 1949. Mao Tse-tungs Kommunisten betrachteten die Niederlage der Nationalisten im Bürgerkrieg als endgültig, das Staatsgebiet der ehemaligen Republik China müsse daher auf die kommunistische Volksrepublik übergehen. Das gesamte Staatsgebiet, inklusive auch Taiwan.

Der unterlegene Nationalistenführer Chiang Kai-shek hingegen sah 1949 seinen Rückzug auf die Insel Taiwan lediglich als Kampfpause vor der Rückeroberung ganz Festland-Chinas durch die Nationalisten. Das ist zwar unrealistisch, hält aber das Unabhängigkeitsstreben Taiwans bis heute ideologisch am Leben. Außerdem hat sich Taiwan in den letzten drei Jahrzehnten zur lebendigsten Demokratie in Asien entwickelt.

Chinesische Identität und Demokratie sind kompatibel

24 Millionen Menschen beweisen seither, dass Chinesen sehr gut mit einer liberalen Demokratie umgehen können, während Chinas Kommunisten gebetsmühlenartig behaupten, dass Demokratie nicht zur chinesischen Kultur passe. Der taiwanesische Gegenbeweis direkt vor seiner Haustür dürfte Xi vermutlich zur Weißglut treiben. Noch ein Grund für ihn, das aufmüpfige Inselchen endlich zur Räson zu bringen.

Zudem dürfte sich Xi jedes Mal beim Blick auf die Weltkarte ärgern. Japan, Taiwan und die Philippinen – diese Inselkette blockiert Chinas freien Zugang zum Pazifik, ganz anders als auf der anderen Seite des Meeres, wo die US-Kriegsschiffe ungehindert auf den größten Ozean hinausfahren können.

Mit Taiwan hätte China auch Zugang zu Tiefseehäfen, aus denen U-Boote unerkannt in die Tiefen des Pazifiks abtauchen könnten. In Richtung US-Stützpunkte.