Das Wandern ist Lust und Erkenntnis

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Es wird Herbst und etwas kühler. Aufgrund der landschaftlichen Beschaffenheit neigt man hierorts jetzt noch mehr dazu, die Lust auf das Erklimmen der Berge auszuleben. Ebenso wird das Befahren der einzig möglichen Straßen zwischen diesen Bergen mittels Fahrrad (elektrisch oder nicht) vielfältig ausgenutzt. Wandern und Biken sind die Frühling-/Sommer-/Herbst-Sportarten.
Im Winter wird natürlich auf die schneetauglichen Varianten umgesattelt. Skitouren und Skifahren sowie Kombinationen aus beiden. Immer haben diese Sportarten mit dem Erleben der Landschaft zu tun. Für mich durchwegs und in jeder Hinsicht nachvollziehbar, vor allem die Lust und das Bedürfnis, Berge zu erklimmen. Wenn man wie ich seine emotionale DNA von Hügellandschaften geprägt bekommt, ist das Verlangen, den Horizont zu sehen, sehr nachvollziehbar.
Gerade war ich wieder in meiner alten Heimat und der Blick in die Ferne wirkt unglaublich beruhigend auf mich. Wie weit man dort sehen kann! Städte, Hügel, Straßen, Felder, so weit das Auge reicht und irgendwo am Ende des Horizonts eine Regenwolke, die gerade ein fernes Sonnenblumenfeld gießt. Und will man noch mehr Landschaft erfahren, dann wandert man kurz die Hohe Wand hoch oder den Schneeberg und schaut, ob der Neusiedlersee noch genug Wasser hat. Mit dem Auto dorthin fahren würde bedeuten, zumindest eine Stunde unterwegs zu sein. Das wäre, wie wenn ich von Ems aus ins Montafon hineingucken könnte, „fadagrad“, wie man hier (glaub ich) sagt.
Damit ich hier ab und an mein Auge strecken kann, muss ich immer hoch hinaus, ein kleiner Spaziergang reicht mir nicht. Dann wandere ich zum Beispiel auf die Hohe Kugel. Was für eine unglaublich mächtige Landschaft breitet sich dort vor mir aus! Jedes Mal, wenn ich am Gipfel stehe, umgeben von Berglandschaften und Bodenseesicht, krabbelt in mir die Ehrfurcht vor dieser großartigen Welt hoch und meint, sie müsse mir ein wenig Wasser in die Augen treiben. Wie lange vor mir diese Berge schon ihre Spitzen gegen den Himmel gestreckt haben und wie lange nach mir sie das noch unbeeindruckt von meiner Existenz tun werden! Und schwups, nimmt man sich selber schon nicht mehr so wichtig. Das Überschreiten dieser landschaftlichen Grenzen vor meiner Nase ist für mich ganz wichtig. Ich muss das Ende der Welt sehen und den Anfang des Himmels. Ganz fest bin ich davon überzeugt, wenn man diese Sicht zulässt, ganz echt und tief ins Herz hinein, dann verändert sich auch die Sicht auf die vielen Dinge des Lebens und des Miteinanders.
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.