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Leben schützen und Perspektive schenken

23.09.2023 • 23:00 Uhr / 10 Minuten Lesezeit

Martina Rüscher findet, dass Leben schützen sowohl den Schutz des Ungeborenen als auch den Schutz der Schwangeren beinhaltet. Daher setzt sie sich für gute Beratungsangebote und das Errichten einer sicheren Ordination für Abtreibungen ein.

Frau Rüscher, die Nachrichten in den vergangenen Wochen zum Thema Abtreibungen in Vorarlberg überschlagen sich. Erst sollte es eine eigene Praxis im Personalwohnheim geben, weil das länger dauerte, dann aber eine eigene Ordination im LKH, nun wohl doch wieder in einem externen Gebäude. Woran liegt das und was ist der derzeitige Status Quo?

Martina Rüscher: Man muss, glaube ich gleich zu Beginn eins klarstellen: Unser ursprünglicher Weg hat sich nie verändert. Die Praxis ist im Personalwohnheim vorgesehen, war das von Anfang an und wird auch dort vorgesehen bleiben. Was sich verändert hat, ist die Übergangslösung, die wir gerade bis zur Fertigstellung der Privatordination in Laufe des Jahres 2024, suchen. Für diesen Übergang haben wir mehrere Möglichkeiten geprüft und wären eigentlich gerne für ein Jahr in Form einer Privatordination ins Spital gegangen. Die Praxis wäre also nicht auf der normalen Gynäkologie stationiert gewesen, sondern in einem separaten Bereich. Der Vorschlag hat nun aber sehr viele Emotionen ausgelöst, insbesondere Ängste und Sorgen. Das hat dazu geführt, dass das gesamte Thema in meinen Augen Schaden genommen hat und die generelle Akzeptanz gefährdet ist. Daher haben wir entschieden, den Übergang nicht im Spital anzubieten, sondern außerhalb des LKH eine Lösung zu suchen und es zeichnet sich bereits eine Möglichkeit ab.

Seit der Siemens-Skandal öffentlich wurde, befindet sich ein Großteil der Bauabteilung, die ja bekanntlich für das Suchen geeigneter Räumlichkeiten verantwortlich ist, in Untersuchungshaft beziehungsweise wurde gerade erst wieder aus solcher entlassen. Hat das die Suche nach Alternativen verzögert?

Rüscher: Das ist schwer im Detail zu beantworten, ob die genaue Zeitplanung darunter gelitten hat. Fakt ist aber, dass wir keine Bauabteilung mehr haben, sondern nur mehr eine Leiterin dieser, die relativ neu ist. Die Herausforderung für sie ist riesig, denn sie muss schauen, wie sie alle laufenden Bauprojekte mit einem fehlenden Team innerhalb der Krankenhausbetriebsgesellschaft auf die Beine stellt. Es laufen derzeit diverse interne Abstimmungsprozesse, die zum Gelingen beitragen sollen – das scheint auch gerade gut zu funktionieren. Es wird zwar weiter zu Verzögerungen kommen, wir haben aber glücklicherweise in allen Landeskrankenhäusern technische Spezialisten sitzen, die Aufgaben übernehmen können. Die Stellen waren glücklicherweise bereits vor dem öffentlich Werden des Skandals ausgeschrieben, da die Abteilung vergrößert werden sollte. Aber natürlich, der Skandal fordert den gesamten Baubereich sehr. Dieses Projekt, eine Privatordination einzurichten, ist für die Bauabteilung ein eher kleines Projekt. Was also den Ablauf eher verzögert sind Vergabefristen, Ausschreibungen oder Zeiträume für Bewilligungsverfahren.

Beratungsangebote sind für Rüscher entscheidend. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Beratungsangebote sind für Rüscher entscheidend. Klaus Hartinger

Es gab viele Proteste, unter anderem eine Demonstration vor dem Landeskrankenhaus in Bregenz, die die Praxis im LKH verhindern wollte. Warum sind sie diesem Wunsch nun nachgekommen? Die Ordination im LKH war ja eh nur als Übergangslösung gedacht, oder?

Rüscher: Weil wir gesehen haben, dass es ein Thema ist, das für Aufregung sorgt. Es war nicht ein Punkt, der uns dazu gebracht hat, die Entscheidung zu ändern, sondern die Fülle von Rückmeldungen. Ich versuche, mit möglichst allen Gruppen im Austausch zu sein. Dabei habe ich ungefähr gleich viele Stimmen bekommen, die dafür sind, wie Stimmen, die dagegen sind. Die Diskussion über den Ort hat das Thema enorm aufgeheizt. Allein das mediale Interesse daran, bestätigt das. Und diese Fokussierung auf das wann und wo schadet in meinen Augen dem Thema so sehr, dass es das Gesamtprojekt gefährdet. Das möchte ich verhindern. Aus meiner Sicht ist der Weg klar, und den werde ich gesichert so gehen. Es wird eine Privatordination im Personalwohnheim geben.

Warum ist es bei uns so ein großes Problem, Schwangerschaftsabbrüche in Spitälern anzubieten. In Wien gibt es gleich fünf Krankenhäuser, die diese Bahendlung anbieten.

Rüscher: Die Frage haben wir ganz zu Beginn auch diskutiert. Die Ärztinnen und Ärzte wären durchaus bereit dazu gewesen. Unsere Antwort und die Entscheidung dann ist aber ziemlich einfach. Vorarlberg ist mit seinen 400.000 Einwohnern und den kleinen Spitälern weniger anonym als Wien. Das sonst so hervorgehobene anonyme Betreten des Krankenhauses ist hier spätestens auf der Station nicht gegeben. Unsere Mitarbeiter kommen nunmal aus dem ganzen Land. Zum Schutz der Frauen möchten wir also Begegnungen mit Bekannten verhindern. Außerdem kann man eine Frau, die gerade eine Schwangerschaft abgebrochen hat, nicht mit einer Mutter auf ein Zimmer legen, die gerade ihr Baby verloren hat. Daher müsste man dann Zimmer festlegen, in die die Betroffenen gelegt werden. Das führt dazu, dass jeder weiß, wer in dem Zimmer ist, hat abgetrieben.

Warum halten Sie es für wichtig, betroffenen Frauen eine Anlaufstelle zu bieten?

Rüscher: Weil wir geltendes Recht umzusetzen haben. Es gibt in Österreich die Fristregelung. Und aus meiner Sicht gibt es für ein Bundesland keinen Grund zu sagen, bei uns geht das nicht. Ich sehe es als meine Verpflichtung, das zu ermöglichen. Zusätzlich kommt die persönliche Situation der Frauen dazu. Wer in einer solchen Lage ist, soll nicht nach Tirol oder Deutschland fahren müssen, um einen Abbruch durchführen zu können. Außerdem steigt ohne offizielle Anlaufstelle die Gefahr von selbst durchgeführten Abbruchversuchen. Ich kenne Familien, in denen aufgrund eines versuchten Abbruchs in einem nicht-medizinischen Setting ein Kind mit Behinderung zur Welt gekommen ist. Ich glaube, in der heutigen Zeit ist es unsere höchste Verantwortung, solche Notsituationen gar nicht erst entstehen zu lassen.

Welchen moralischen Status hat das menschliche Leben für sie vor der Geburt?

Rüscher: Das ist eine schwierige Frage. Ich habe drei Kinder und war glücklicherweise nie in der Situation, mich mit so einer Frage auseinandersetzen zu müssen. Ich hab erlebt, was für eine Bereicherung Kinder für eine Familie sein können. Gleichzeitig liegen Kinder mit Behinderung in meinem Zuständigkeitsbereich, das fördert sicherlich mein Ja zum Leben. Jedes Leben ist lebenswert und schützenswert. Wenn eine Familie aber entscheidet, den anderen Weg zu gehen, dann will ich nicht die Person sein, die das wertet.

Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch muss in der Regel die Frau selbst tragen. In Wien gibt es die Möglichkeit, dass die Stadt die Kosten übernimmt, sofern „Sie in einer materiellen Notlage sind und alle weiteren Voraussetzungen gegeben sind.“ Ist so etwas auch für Vorarlberg geplant?

Rüscher: Nicht aus dem Gesundheitsbereich. Wir werden sicherstellen, dass es das Angebot gibt. Ob es infolgedessen dann Unterstützungsmöglichkeiten gibt, liegt in der Zuständigkeit meiner Kollegin Katharina Wiesflecker.

Das Gesetz verlangt im Vorfeld eines Abbruchs ein Beratungsgespräch. Sind dafür spezielle Anlaufstellen geplant?

Rüscher: Das ist einer der Bereiche, den wir derzeit mit den Ärzten ausarbeiten. Die Ärzte selbst haben uns schon mitgeteilt, dass sie sich vor allem auf die Durchführung der Operation konzentrieren möchten. Daher werden wir ein Beratungsangebot installieren, dass dem Gesetz nachkommt und den Lebensschutz sicherstellt. Wie und in welcher Form ist noch offen.

Man hört immer wieder, dass Ärzte, die Abtreibungen durchführen, bedroht werden. Auch in Vorarlberg gibt es offenkundig Abtreibungsgegner. Gibt es Pläne, wie die Sicherheit in der neuen Praxis gewährleistet werden soll?

Rüscher: Wir hoffen, dass durch die Nähe zum Spital nicht so offensichtlich ist, wer welche Aufgabe übernimmt. Und deshalb haben wir auch bislang keine Namen bekannt gegeben. Wir möchten sie so gut wie möglich schützen.

Im kommenden Jahr stehen die Landtagswahlen an. Befürchten Sie, dass die Diskussion das Ergebnis negativ beeinflussen könnte?

Rüscher: Was ich jedenfalls nicht hoffe, ist, dass es ein Wahlkampfthema wird. Mein Ziel wäre, dass wir so klare Fakten schaffen, dass der Vorarlberger Weg ersichtlich ist. Und das möglichst vor der Wahl. Ich werde alles daran setzen, dass bis zum Ende meiner Amtsperiode die Praxis in Betrieb gehen kann.

Ratlos, wie es weiter gehen soll? Das Kind bekommen oder eine Abtreibung – beide Möglichkeiten sind für Sie nur schwer vorstellbar? Haben Sie sich schon entschieden, zweifeln aber, ob Sie das schaffen? Versuchen andere, Ihre Entscheidung zu beeinflussen? In solchen Situationen ist es hilfreich, mit einer außenstehenden, professionellen Beraterin zu sprechen. schwanger.li bietet innerhalb von zwei Tagen einen persönlichen Beratungstermin an.

Andere Sorgen? Hier gibt es eine Übersicht über Hilfsangebote.